Schrecken an der Börse

Bulle und Bär vor der Börse in Frankfurt (Foto: Cornerstone / pixelio.de)

Deutschland bleibt ein Land der Aktienmuffel. Nachdem die Zahl der Aktienbesitzer zwei aufeinanderfolgende Jahre gestiegen ist, hat das Deutsche Aktieninstitut 2019 wieder sinkende Anlegerzahlen registriert.  

 

 

 

Für Anleger war die vergangene Woche die schwärzeste seit Beginn der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008. Der Kursrutsch an den Börsen ist eine Hypothek für die ohnehin fragile Aktienkultur in Deutschland. Denn nicht einmal im vergangenen Jahr, als die Börsen boomten, zog es die Deutschen in Scharen an die Aktienmärkte – im Gegenteil: Die Zahl der Aktionäre ist wieder gesunken, schreibt das Deutsche Aktieninstitut (DAI) in einer heute (28.02.2020) veröffentlichten Studie.

Insgesamt besaßen 2019 rund 9,7 Millionen Menschen Anteilsscheine von Unternehmen oder Aktienfonds. Das entspricht 15,2 Prozent der Bevölkerung oder knapp jedem siebten Bundesbürger ab 14 Jahren. 2018 legten dagegen noch 10,3 Millionen Menschen Geld am Aktienmarkt an. Im Vergleich zum Vorjahr kehrten damit knapp 660.000 Menschen der Börse den Rücken – obwohl  der Deutsche Aktienindex (DAX) im vergangenen Jahr um fast 26 Prozent gestiegen ist.

Continue reading „Schrecken an der Börse“

Die Rentenlücke wird größer

Foto: uschi dreiucker / pixelio.de

Wer in Rente geht, hat heutzutage gemischte Gefühle. Einerseits die Erleichterung: Es ist geschafft. Andererseits die Frage: Kann ich meinen Lebensstandard halten? Ökonomen sagen: Viele Neurentner müssen den Gürtel enger schnallen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist in einer Studie der Frage nachgegangen, inwieweit die drei Säulen der Alterssicherung bestehend aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge ausreichen, den Konsum der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen zu decken, wenn diese jetzt in den Ruhestand gingen. Dazu wurden Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) von 2012 zu Rentenanwartschaften, Vermögen und Konsum der Geburtsjahrgänge 1948 bis 1957 ausgewertet.

Die Forscher kamen zu dem Ergebnis: Rund die Hälfte der heute 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen wird als Rentner ihren aktuellen Lebensstandard nicht halten können. Und dabei haben die Forscher um den DIW-Rentenexperten Markus Grabka noch nicht einmal pessimistische Annahmen über das Ende eines Berufslebens getroffen: Sie gingen bei ihren Berechnungen davon aus, dass die Arbeitnehmer bis zum derzeit durchschnittlichen Rentenzugangsalter von 64 Jahren arbeiten und ihre letzte berufliche Position beibehalten

Das Studienergebnis dürfte den Befürchtungen der meisten Menschen entsprechen: Im Alter wird das Geld knapp werden – außer für Beamtinnen und Beamte, die gut dotierte Pensionen beziehen. Bekanntermaßen sinkt seit etwa zwei Jahrzehnten das Rentenniveau, das das Verhältnis der Rentenbezüge zu den Löhnen wiedergibt.

DIW-Forscher Grabka schreibt in der Studie: „Die Hälfte der Menschen, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, werden ihren gewohnten Konsum nicht decken können“. Dafür reiche die Rente nicht. Wer als Neurentner seinen Konsum nicht einschränke, müsse nach seinen Berechnungen pro Monat Schulden in Höhe von 540 bis 740 Euro machen.

Quelle: DIW Berlin

58 Prozent der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen könnten ihren Konsum nicht aus Anwartschaften aus der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge oder Beamtenpensionen decken, wenn sie jetzt in den Ruhestand gingen, heißt es in der Studie. Sie hätten im Schnitt eine potentielle Versorgungslücke von monatlich rund 700 Euro. Private Versicherungen wie die Riester- und Rürup-Rente würden den Anteil der 55- bis 64-Jährigen mit einer potentiellen Versorgungslücke lediglich um zwei Prozentpunkte senken. Auch wenn sie zusätzlich ihr privates Vermögen einsetzten, könnten gut 40 Prozent ihren aktuellen Konsum nicht decken. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der DIW-Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde. Continue reading „Die Rentenlücke wird größer“

IW: Zahl der prekären Jobs gesunken

Blauhelme (Foto: Rolf Wenkel)

Deutsche Unternehmen stehen im Verdacht, durch mehr Befristungen, Zeitarbeit oder Werkverträge ihre Kernbelegschaften abzubauen. Eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln stellt diese These in Frage. Sie sagt, das Gegenteil sei der Fall: Zwischen 2012 und 2017 sei die Zahl der flexiblen Arbeitsverhältnisse sogar gesunken, obwohl immer mehr Menschen einen Job haben.

Befristungen gehören zu den sogenannten atypischen Erwerbsformen. Dazu zählen auch Zeitarbeits- und Werkverträge, die genau wie befristete Verträge immer wieder in der Kritik stehen. Das IW hält den Ärger über die flexiblen Modelle unbegründet: Nur rund neun Prozent der Betriebe haben die atypische Beschäftigung erhöht, ohne auch die unbefristeten Stellen auszuweiten. Dafür haben knapp 36 Prozent der Unternehmen mehr normale und keine weiteren flexiblen Verträge abgeschlossen.

Die Zahlen stammen aus dem so genannten IAB-Betriebspanel. Das ist eine jährliche Wiederholungsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei stets denselben Betrieben in Deutschland. Das Panel startete zuerst im Jahr 1993 in Westdeutschland und wurde 1996 auch auf die neuen Bundesländer ausgeweitet. Befragt werden Betriebe in allen Branchen und aller Größen mit mindestens einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Das IAB sitzt in Nürnberg und ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.

Die Zahlen dieses Panels ergeben ein eindeutiges Bild: Zwischen 2012 und 2017 haben rund 42 Prozent aller deutschen Betriebe mehr unbefristete Arbeitnehmer eingestellt. Dagegen haben nur elf Prozent die befristete Beschäftigung ausgeweitet. Die weit verbreitete Überzeugung, dass unbefristete Arbeitnehmer nach und nach durch befristete ausgetauscht werden, ist also nicht erkennbar. Der Trend geht sogar in die entgegengesetzte Richtung, wie ein Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt: Im gleichen Zeitraum sank die Anzahl befristeter Beschäftigungen von 2,64 auf 2,55 Millionen.

Holger Schäfer, Autor der IW-Studie, glaubt auch nicht, dass Unternehmen aus Kostengründen flexible Arbeitsverhältnisse bevorzugen. „Vielmehr geht es den Arbeitgebern um Unsicherheit: Die Auswertung hat ergeben, dass Betriebe gerade dann mehr Befristungen eingehen, wenn die wirtschaftliche Zukunft sehr ungewiss ist.“ Die wirtschaftliche Entwicklung sei bis 2017 sehr stabil verlaufen. Deswegen hätten sie in dieser Zeit auch mehr unbefristete Mitarbeiter gesucht. „Dass Betriebe ihre Mitarbeiter willkürlich befristen, ist ein Mythos“, sagt Schäfer. „Vielmehr gibt es dafür gute Gründe, etwa wirtschaftliche Unsicherheit.“ Eine stärkere Regulierung, wie es die Bundesregierung derzeit bei Befristungen plant, würde den Betrieben und dadurch auch den Arbeitnehmern eher schaden, sagt Schäfer.

Die ganze Studie kann man hier nachlesen.

 

Fünf Millionen Jobs in Europa

Foto: Fritz Zühlke / pixelio.de

Die bösen deutschen Exporte machen angeblich Deutschland reich und die anderen Länder arm. Auch wenn dieses Narrativ ständig wiederholt wird, bleibt es ein Märchen: Von einer starken deutschen Industrie gehen keine Nachteile für die EU-Partnerstaaten aus, sagt eine Studie aus der Schweiz. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Aufgrund der intensiven Handelsverflechtungen der EU-Staaten untereinander profitieren die europäischen Handelspartner von einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Fünf Millionen Jobs in Europa hängen von der deutschen Nachfrage nach Gütern und Vorleistungen ab.

Die hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands der vergangenen Jahre stehen international in der Kritik. Donald Trump sieht sie als Ergebnis unfairer Handelspraktiken und denkt ab und zu laut über Strafzölle nach. Auch der Internationale Währungsfonds deutet an, dass Deutschland eine Mitschuld an den wachsenden Handelskonflikten trägt und empfiehlt regelmäßig höhere Staatsausgaben und kräftige Lohnsteigerungen. Die deutschen Überschüsse übersteigen auch deutlich die Zielvorgaben der Europäischen Union. Rund 7,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung hat Deutschland im vergangenen Jahr exportiert, die EU-Kommission hält höchstens sechs Prozent langfristig für angemessen. Im Rahmen des Makroökonomischen Überwachungsverfahrens könnte die Kommission ein Korrekturverfahren einleiten, an dessen Ende möglicherweise Strafzahlungen stehen, auch wenn die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heißt.

Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft – so wird behauptet – gingen zu Lasten anderer Staaten, insbesondere unserer EU-Partner. Die Kritik geht teilweise so weit, dass gefordert wird, Deutschland solle seine Wettbewerbsfähigkeit zu Gunsten seiner europäischen Partner gezielt schwächen. „Eine solche Argumentation ist absurd“, schimpft Bertram Bossard, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft vbw. Sein Verband hat das schweizer Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos AG beauftragt, einmal auszurechnen, ob und wie unsere Nachbarn vom deutschen Exportboom profitieren. Denn für fast alle EU-Länder ist Deutschland der wichtigste oder zweitwichtigste Exportmarkt. Die Nachfrage aus Deutschland sorgt für Wertschöpfung und Beschäftigung in ganz Europa, wie die Studie zeigt: Fünf Millionen Arbeitsplätze in den anderen EU-Staaten hängen unmittelbar an der Güternachfrage aus Deutschland.

Allein die Nachfrage der deutschen Industrie nach Vorleistungs- und Investitionsgütern sichert 3,3 Millionen Jobs bei unseren europäischen Partnern, heißt es in der Prognos-Studie, die 2019 erstellt wurde und sich auf Daten von 2017 bezieht. Szenario-Rechnungen zeigen, dass eine wirtschaftliche Stagnation Deutschlands ebenso wie eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auch den anderen europäischen Volkswirtschaften schaden würde. Es wäre also fatal, sich von unserem Erfolgsmodell der Internationalisierung abzukehren. Dies wäre nicht nur zum Schaden der deutschen, sondern der gesamten europäischen Wirtschaft. Continue reading „Fünf Millionen Jobs in Europa“

Deutschlands Überschuss wieder gestiegen

Foto: Ingo Fürchtenbusch / pixelio.de

Deutschlands Überschuss in der Leistungsbilanz ist im vergangenen Jahr wieder gestiegen und bleibt der weltweit größte. „Wir rechnen mit 293 Milliarden Dollar oder 262 Milliarden Euro, was 7,6 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung entspricht. 2018 waren es nur 7,3 Prozent“, schreibt Christian Grimme, Konjunkturexperte am ifo Institut im Ifo-Schnelldienst 2/2020. Die Europäische Union hält höchstens sechs Prozent für langfristig tragfähig.

„Die Rezession in der deutschen Industrie dürfte ein wichtiger Faktor sein, denn dadurch sind die Importe von Waren langsamer gestiegen“, sagt Grimme. Aber auch die so genannten Primäreinkommen, hinter denen vor allem die Erträge aus im Ausland angelegtem Vermögen stehen, haben 2019 weiter zugelegt. Die durch Primäreinkommen erzielten Überschüsse machen inzwischen 37 Prozent des Leistungsbilanzüberschusses aus. So werden hohe Nettoeinnahmen aus ausländischen Direktinvestitionen und Wertpapieranlagen erzielt. Dabei ist sich die Wissenschaft noch uneinig, wie rentabel die deutschen Investitionen im Ausland angelegt sind.

Deutschland dürfte also im Jahr 2019 wieder das Land mit dem größten Leistungsbilanzüberschuss gewesen sein, wie schon in den drei Jahren zuvor. Der deutsche Wert liegt weit vor Japan, das einen Überschuss von 194 Milliarden US-Dollar (3,8 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung) aufweisen dürfte. Auf Rang drei folgt China mit rund 183 Milliarden US-Dollar (1,3 Prozent). Dagegen dürften die USA weltweit wieder das größte Leistungsbilanzdefizit verzeichnen mit etwa 490 Milliarden US-Dollar, was aber nur 2,3 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung entspricht. Dahinter folgen das Vereinigte Königreich mit einem Defizit von 117 Milliarden US-Dollar (4,2 Prozent) und Brasilien mit 51 Milliarden US-Dollar (2,9 Prozent).

„Der Handelskonflikt zwischen den USA und China hat seine Spuren im internationalen Handel hinterlassen. Die Auswirkungen auf die Leistungsbilanzsalden fallen aber bisher insgesamt noch eher gering aus“, schreibt Ifo-Forscher Christian Grimme, wohl auch, weil die Handelszölle sowohl die Ausfuhr- als auch die Einfuhrseite belasten. Handelsverschiebungen infolge des Konflikts seien großflächig noch nicht zu beobachten, da Firmen Zeit brauchten, sich auf das neue handelspolitische Umfeld und die damit verbundenen Unsicherheiten einzustellen.

Für das laufende Jahr sehen die Aussichten für den internationalen Handel nicht rosig aus, glaubt Ifo-Forscher Grimme. Zwar wurde Anfang dieses Jahres ein erstes Handelsabkommen zwischen den USA und China abgeschlossen, allerdings wird ein Großteil der Zölle weiter in Kraft bleiben. Auch bleibt weiter ungewiss, ob es zu US-Zöllen auf europäische Kraftfahrzeuge und andere Güter kommen wird.

Zum Schluss geht Ifo-Forscher Christian Grimme auf die bilateralen Leistungsbilanzsalden ein, die besonders die US-Regierung gerne ins Feld führt, um über die Ungerechtigkeit der Welt zu lamentieren. Genau diesen Disput will Grimme nämlich nicht weiter befeuern. „Die vorliegende Studie beschäftigt sich bewusst nicht mit bilateralen Salden, da aktuelle Forschungsarbeiten Zweifel daran aufkommen lassen, wie verlässlich die außenwirtschaftlichen Datengrundlagen sind.“

So zeige eine Studie mit dem Titel „What do we really know about the Transatlantic Current Account?“  von Ifo-Forscher Martin Braml und Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, dass für jedes Jahr der gesamten letzten Dekade unklar ist, ob die EU einen bilateralen Leistungsbilanzüberschuss oder ein -defizit gegenüber den USA aufweist. Beim bilateralen Leistungsbilanzsaldo liegen europäische und amerikanische Statistiken um bis zu 180 Milliarden US-Dollar auseinander. Auch die EU weist für 2018 laut dem EU-Statistikamt Eurostat in Luxemburg einen Handelsüberschuss mit sich selbst in Höhe von 307 Millirden Euro oder knapp zwei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung aus – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

 

Plastikmüll – wie der Handel grüner werden will

Foto: Hartmut910_pixelio.de

Die einen fahren weiter mit ihren SUV-Panzern durch die Gegend, die anderen kriegen schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie im Supermarkt ihre Lebensmittel nur in Plastikverpackungen bekommen: Nachhaltigkeit ist aktuell stark in der Diskussion, auch was den riesigen Berg an Verpackungsmüll, angeht, den wir täglich produzieren. Der Handel, Konsumgüter- und Verpackungsindustrie lassen sich inzwischen einiges einfallen, um die Plastikflut einzudämmen und sich ein grüneres Image zu geben. Ob’s hilft?

Hilka Bergmann, Leiterin des Forschungsbereichs Verpackung und Versand beim Kölner EHI-Forschungsinstitut des Handels, hat für die Umweltaktivitäten ihrer rund 800 Mitgliedsfirmen drei Empfehlungen: Sie sollten RRR betreiben – will heißen, sie sollten die Vermeidung und Reduktion (reduce), die Wiederverwendbarkeit (reuse) und die Wiederverwertbarkeit (recycle) von Verpackungen anstreben. Allerdings gleicht das oft einer Quadratur des Kreises, denn einerseits soll die Recyclingfähigkeit von Verpackungen und der Einsatz recycelter Materialien erhöht werden, andererseits soll der Schutz der verpackten Produkte gewährleistet sein, die Verpackungen sollen „maschinengängig“ sein und nicht zuletzt auch noch die Verbraucher ansprechen.

Hilka Bergmann (Foto: EHI)

„Der Handel spielt bei diesem Thema eine sehr bedeutende Rolle“, sagt EHI-Forscherin Bergmann. „Zum einen schauen die Unternehmen in ihren Sortimenten, welche Verpackungen sich sinnvoll optimieren lassen – vor allem in den Bereichen Eigenmarken, Serviceverpackungen, Obst- und Gemüse, Convenience und E-Commerce. Zum anderen stellen sie Forderungen an die Industrie und tauschen sich mit Partnern entlang der Supply Chain aus, um ökologisch vorteilhaftere Verpackungen einzusetzen.“

Teilweise hätten sich Händler bereits mit anderen Unternehmen zu Initiativen zusammengeschlossen, um gemeinsam mehr bewirken zu können. Zusätzlich klärten Handelsunternehmen verstärkt die Kunden auf, welche Verpackungen ökologisch nachhaltig gestaltet seien, bei welchen Optimierungen vorgenommen wurden und wie Verpackungen getrennt und entsorgt werden müssten.

Die Kölner Rewe-Handelsgruppe zum Beispiel will bis Ende 2025 sämtliche Kunststoffverpackungen der Rewe und Penny Eigenmarken, die nicht vermieden werden können, recyclingfähig machen. Zudem wollen Rewe und Penny bis Ende 2025 insgesamt 20 Prozent weniger Kunststoff bei ihren Eigenmarkenverpackungen verwenden und bereits bis Ende 2020 für Papierverpackungen ausschließlich zertifizierte Rohstoffe einsetzen.

Aldi Nord und Aldi Süd haben laut Bergmann „Vermeiden, Wiederverwenden und Recyceln im Fokus“. Bis Ende 2022 sollen alle Eigenmarken-Produktverpackungen recyclingfähig sein. Zwei Drittel seien es bereits heute. Das Gesamtgewicht der Eigenmarken-Produktverpackungen soll bis zum Jahr 2025 um 30 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2015 reduziert werden.

Der dm drogerie-markt hat ein Forum Rezyklat gegründet, um sich gemeinsam mit Herstellern und Zulieferern dafür einzusetzen, Wertstoffkreisläufe entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses und bei der Kundschaft zu schließen. Partner des von dm initiierten Forums Rezyklat sind 34 Mitgliedsunternehmen, unter andrem machen auch Rossmann und Globus mit, sowie Konsumgüterhersteller, Entsorger und Verpackungsproduzenten.

Laut EHI-Forscherin Bergmann will auch der Onlinehandel künftig weniger überdimensionierte Verpackungen versenden. Firmen wie Otto oder Zalando dächten laut Bergmann zunehmend über Alternativen zu Kunststoffbeuteln und über Mehrweglösungen für die Versandverpackung nach. Bergmann: „Eine entscheidende Herausforderung liegt in der Verfügbarkeit von Rezyklaten. Aktuell existiert lediglich ein Kunststoff-Rezyklat-Standard für Lebensmittelverpackungen, Foodgrade genannt. Zur Erhöhung der Recyclingquote wäre es sinnvoll, für Verpackungen aus den Bereichen Kosmetik sowie Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel weitere rechtsverbindliche Rezyklat-Standards zu definieren.“

Allerdings hat die Branche ein grundsätzliches Problem: Neuer, aus Rohöl gewonnener Kunststoff ist günstiger als recycelte Produkte. Der Einsatz von Rezyklaten soll aber den Kreislaufwirtschaftsgedanken und damit die Vermeidung von Verpackungsmüll fördern. „Zwischen der Recyclingfähigkeit, dem reduzierten Materialeinsatz und dem Produktschutz besteht teilweise ein Zielkonflikt“, räumt Bergmann ein, deshalb müsse für jeden Artikel individuell eine optimale Lösung gefunden werden. In der öffentlichen Diskussion sei häufig nur der Handel im Visier. Doch der könne nur gemeinsam mit Konsumgüterindustrie, Verpackungsindustrie, Entsorgungsunternehmen, den Konsumenten und der Politik versuchen, den Konsum weniger umweltschädlich zu gestalten.

Abfüllstationen sind im Trend (Foto: Carola Langer_pixelio.de)

Inzwischen zieht auch der Verkauf loser Ware Kreise – von den Pionieren der plastik- und verpackungsfreien Läden, die die mitgebrachten Behälter ihrer Kunden befüllen, über Bio-Ketten bis hinein in den klassischen Supermarkt und andere Handelssparten. Zurzeit wird der Unverpackt-Trend in vielen Handelssparten erkundet, in Feldversuchen getestet und durchaus kontrovers diskutiert, weil in der Praxis noch eine Reihe Hürden zu überwinden sind. Dennoch ist das Thema, dauerhaft befeuert durch Umweltproblematik und Verpackungsgesetz, hochgradig virulent. Continue reading „Plastikmüll – wie der Handel grüner werden will“

Umsatzsteuerbetrug im großen Stil?

Foto: Tim Reckmann / pixelio.de

Die Europäische Union hat einen Handelsüberschuss von 307 Milliarden Euro – und jetzt raten Sie mal, mit wem? Mit sich selbst! Wenn alle Im- und Exporte in den europäischen Statistiken korrekt erfasst würden, müsste diese Salden eigentlich null sein. Logisch, oder? Messfehler allein jedoch können diese exorbitant große Abweichung nicht erklären.

 

Experten des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) und des ifo Instituts in München vermuten deshalb etwas ganz anderes. Sie glauben, dass ein massiver Umsatzsteuerbetrug eine der Ursachen für diese riesigen Diskrepanzen sein könnte. Träfe dies zu, entgingen den EU-Staaten 30 bis 60 Milliarden Euro pro Jahr, zeigt eine Datenanalyse der beiden Institute.

„Wenn Unternehmen Umsätze als Exporte deklarieren, sind diese von der Umsatzsteuer befreit. Werden diese Umsätze aber gar nicht im Ausland erzielt, sondern im Inland, fehlen sie in der Importstatistik des angeblichen Handelspartners und bleiben damit unversteuert“, erklären die Autoren, IfW-Präsident Gabriel Felbermayr und ifo-Forscher Martin Braml.

Nach ihren Schätzungen sind dem europäischen Fiskus so alleine im Jahr 2018 rund 30 Milliarden Euro verloren gegangen. Sie empfehlen einen digitalen, automatisierten Datenabgleich von Importen und Exporten innerhalb der EU, um Bilanzfehler künftig zu verringern und Betrug zu erschweren. Die Berechnungen sind nun als Working Paper erschienen.

Die Forscher haben die erfassten Handelsdaten aller 28 EU-Mitgliedsstaaten untereinander seit 1999 analysiert. Allein 2018 betrug der EU-EU-Handelsüberschuss beachtliche 307 Milliarden Euro. Dies entspricht knapp zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der EU und ist mehr als das BIP der acht kleinsten EU-Mitglieder zusammen.

Grafik: Ifo.de

Continue reading „Umsatzsteuerbetrug im großen Stil?“

Zölle – die Denkfehler des Herrn Trump

Foto: Bernd Sterzl / pixelio.de

Zwei Jahre lang schwelte der Handelsstreit zwischen China und den USA. Jetzt haben sich beide Länder auf ein Teilabkommen geeinigt. Sie wollen vorläufig keine neuen Strafzölle mehr einführen. US-Präsident Trump rühmt sich, mit seiner harten Haltung gegenüber China werde er die US-Industrie wiederbeleben. Er begeht dabei einen Denkfehler, zeigt eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Mit dem neuen Teilabkommen verbinden die USA große Hoffnungen: China soll wieder mehr in den USA einkaufen und so dazu beitragen, dass die US-Industrie eine Renaissance erlebt. Allerdings ist diese Hoffnung trügerisch: Zwar konnten die USA in den Monaten Januar bis November des vergangenen Jahres ihr Handelsbilanzdefizit gegenüber China um rund 62 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Vorjahreszeitraum reduzieren. China hat also deutlich weniger Waren in die USA geliefert als noch im Vorjahr. Allerdings wurden diese Waren nicht zwangsläufig von der heimischen Produktion ersetzt, zeigt die neue IW-Studie. In dem gleichen Zeitraum haben die USA netto nämlich deutlich mehr aus der EU, Mexiko, Kanada, Vietnam, Taiwan und der Schweiz importiert. Insgesamt übersteigt die Zunahme des Defizits gegenüber diesen Ländern sogar den Rückgang des Defizits gegenüber China.

Der Grund dafür: Wird in einer globalisierten Welt der Handel mit einem Partner unterdrückt, kommt es zu Ausweichreaktionen. Ein Beispiel: Fernseher, Smartphones und Computer gehören zu den wichtigsten Gütern, die die USA aus China importieren. Erheben die Amerikaner nun Strafzölle auf diese Güter, lohnt sich der Import weniger. Gleichzeitig lohnt es sich aber auch nicht unbedingt, diese Waren in den USA zu produzieren – zumindest, solange es noch Länder gibt, in denen sie deutlich günstiger produziert werden können. In der Folge importieren die USA mehr Waren aus Ländern wie Taiwan oder Hongkong.

IW-Mitarbeiterin Galina Kolev (Foto: IW)

Trotzdem brüstet sich Trump damit, dass sein protektionistischer Kurs erfolgreich war – schließlich ist das Handelsbilanzdefizit gegenüber China um fast 62 Milliarden geschrumpft und die gesamtwirtschaftliche Handelsbilanz hat sich laut Handelsstatistik insgesamt verbessert. Das hatte allerdings wenig mit Handelsbarrieren zu tun, sagt IW-Ökonomin Galina Kolev: So war zum einen der Ölpreis im vergangenen Jahr sehr niedrig. Zum anderen haben die USA weniger Rohöl importiert. „Rechnet man den Handel mit den OPEC-Staaten heraus, ist das US-Handelsbilanzdefizit nicht gesunken, sondern gestiegen“, sagt sie. „Es ist ein Trugschluss, dass Zölle gegenüber einzelnen Ländern in der Lage sind, die heimische Produktion spürbar anzukurbeln.“

Hier gibt’s die Studie: 

 

 

 

Raus aus der Schnarchphase

Foto: Frank Ulbricht / pixelio.de

Das ist schon ein recht ungewöhnlicher Schulterschluss, doch diesmal sind sich Arbeitgeber und Gewerkschaften einig: Die Regierung macht nach ihrer Auffassung zu wenig für die Zukunft. Sie fordern vehement mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung. Die Frage ist nur, ob die Öffentliche Hand überhaupt noch das nötige Personal hat, um das Geld für Zukunftsinvestitionen sinnvoll auszugeben. 

Deutschland sollte in den nächsten zehn Jahren zusätzlich mehr als 450 Milliarden Euro investieren, um seine Infrastruktur und sein Bildungssystem zu modernisieren, fordern Arbeitgeber und der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB seit dem heutigen Montag (18.11.2019) in seltener Einigkeit. Die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse stellen sie dabei ebenso in Frage wie die noch auf Jahre von der Regierung angestrebte Schwarze Null im Haushalt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz bleiben allerdings stur. Sie sagen, die Investitionen lägen bereits auf Rekordniveau.

„Deutschland muss aus der Schnarchphase rauskommen“, sagte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Dieter Kempf, in Berlin. Es müsse ganz neu gedacht und diskutiert werden. Es gebe die echte Sorge, dass die Regierung zu wenig mache. Der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann, erwartet, dass die große Koalition dazu in der zweiten Hälfte ihrer Amtszeit dazu klare Ansagen macht. Beide verwiesen darauf, dass es für große Bauvorhaben eine effizientere Planung und schnellere Genehmigungsverfahren geben müsse.

Merkel verteidigte die Schwarze Null, obwohl Deutschland zuletzt nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt ist. Finanzminister Scholz sagte, in den nächsten zehn Jahren seien Investitionen von zusammen weit über 400 Milliarden Euro geplant. Das Klimaschutzpaket bringe weitere 150 Milliarden Euro. Deshalb sehe er die Forderungen von Gewerkschaften und Industrie eher als Unterstützung seiner ohnehin schon expansiven Finanzpolitik.

Sebastian Dullien, der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans Böckler-Stiftung, ist überzeugt, dass der Staat ganze zwei Jahrzehnte zu wenig investiert hat. Im nächsten Jahrzehnt müssten 138 Milliarden Euro eingesetzt werden, um den Investitionsstau der oft klammen Kommunen abzubauen – eine Summe, die auch der Deutsche Städtetag und die staatliche Förderbank KfW errechnet haben. Weiterhin müssten 110 Milliarden in den Bildungsbereich fließen, 75 Milliarden zur Förderung einer CO2-neutraleren Wirtschaft eingesetzt und 60 Milliarden in die Deutsche Bahn investiert werden. Jeweils 20 Milliarden empfiehlt der Experte für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, von Fernstraßen und der Breitband-Infrastruktur. Und mit 15 Milliarden müsste der Wohnungsbau angeschoben werden.

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, Michael Hüther, kritisierte wieder einmal die Schuldenbremse als reformbedürftig, weil sie zu wenig flexibel sei. Die Regelung ist nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 eingeführt worden, als Deutschland noch deutlich höhere Verbindlichkeiten hatte. Hüther sagte, viele Studien sprächen dafür, dass die Zinsen auf lange Sicht niedrig blieben, was für kreditfinanzierte Investitionen spreche. Weil Bundesanleihen als sehr sicher gelten und daher bei Investoren besonders begehrt sind, verdient der Staat momentan sogar Geld beim Schuldenmachen.

Auch die Bauindustrie ist unzufrieden mit der großen Koalition. Sie fordert konstante Infrastrukturmodernisierungen, damit die Firmen vernünftig planen und ihre Kapazitäten aufstocken könnten. Gleichzeitig müsse mehr getan werden, um die Akzeptanz von Großprojekten zu steigern. BDI-Präsident Kempf ergänzte, der Staat müsse dort aktiv sein, wo es sich für Firmen nicht lohne – und effizienter werden. Beim Breitbandausbau seien zum Beispiel von Fördermitteln in Höhe von 4,5 Milliarden Euro gerade einmal drei Prozent auch abgerufen worden.

Das ist auch die Crux bei allen Forderungen nach mehr Zukunftsinvestitionen: Oft werden sie nicht nur durch die Bürokratie oder den Widerstand von Bürgerinitiativen behindert und verzögert, sondern auch durch mangelnde Planungskapazitäten bei Bund, Ländern und Gemeinden.

Oder anders: Die bereits genehmigten Gelder können nicht sinnvoll eingesetzt und ausgegeben werden, weil das Personal für Planung, Projektmanagement und Kontrolle fehlt. Rund 19,2 Milliarden Euro hat der Bund aus dem Haushaltsjahr 2018 in den laufenden Haushalt übertragen müssen, weil sie nicht abgerufen und verbraucht werden konnten. Nicht das Geld ist also oft das Problem bei den Investitionen, sondern der schleppende Abfluss. Jetzt rächt sich, dass die Öffentliche Hand jahrzehntelang massiv Personal abgebaut hat – nicht nur bei Lehrern und Polizei, sondern auch bei Planern und Ingenieuren.

 

Geld ist da – doch nichts passiert

Foto: © Bund der Steuerzahler Deutschland e.V

Die deutsche Wirtschaft im Abschwung – was kann die Politik tun? Einige Ökonomen fordern: Es müsse mehr investiert werden. Die schwarze Null sei nicht haltbar. Finanzminister Olaf Scholz hält dagegen: Es ist genug Geld für Investitionen da – nur wird es nicht abgerufen.

 

 

Wer in Berlin Steglitz an der Lepsiusstraße 110 vorbeikommt, kann dort die Schuldenuhr am Eingang der Zentrale des Bundes der Steuerzahler beobachten – die seit der Jahreswende 2017/2018 erstmals nach vielen Jahren rückwärts läuft. Es ist auch ziemlich klar, woran das liegt: Seit Jahren profitiert die Öffentliche Hand von sprudelnden Steuerquellen, die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank bringt enorme Zinsersparnisse, und schließlich zeigt die Schuldenbremse ihre Wirkung. Zudem weigert sich Finanzminister Olaf Scholz beharrlich, ein Markenzeichen seines Amtsvorgängers Wolfgang Schäuble über Bord zu werfen: Er hält eisern an der Schwarzen Null fest, obwohl immer mehr Experten das für ökonomischen Unsinn halten.

Die Schuldenbremse soll Politiker disziplinieren und die Belastung künftiger Generationen reduzieren. Sie geht auf eine Regelung der deutschen Föderalismuskommission aus dem Jahr 2009 zurück, die dem Bund und den Ländern beginnend mit dem Jahr 2011 verbindliche Ziele für die Absenkung der Haushaltsdefizite machte. Die Nettokreditaufnahme des Bundes durfte ab 2016 maximal 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt BIP) betragen. Die Länder dürfen ab 2020 überhaupt keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Der Bund hat diese Vorgaben bereits im Jahr 2014 erreicht und die Nettokreditaufnahme auf null gesenkt. Continue reading „Geld ist da – doch nichts passiert“