Ein Chamäleon

Marion hat auf chillout.de einen interessanten Link gesetzt. Auf Ich schreibe wie kann man seinen Schreibstil analysieren lassen. Erfunden hat die Messmethode ein siebenundzwanzigjähriger Russe aus Montenegro namens Dmitry Chestnykh, ein Softwareentwickler, der vor ein paar Monaten die Internetseite „I write like“ ins Leben rief. Chestnykh hatte einen Algorithmus entwickelt, der so ähnlich wie ein Spam-Filter funktioniert: Man musste bloß ein paar englischsprachige Sätze in ein Textfeld kopieren, auf „Analysieren“ klicken. Innerhalb weniger Sekunden übermittelte das Programm einem dann das Ergebnis. Im besten Fall: „Sie schreiben wie William Shakespeare.“


Für FAZ.net fütterte Dmitry Chestnykh sein Programm mit Erzählungen, Gedichten und Romanauszügen deutschsprachiger Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem achtzehnten Jahrhundert bis heute: von Schiller bis Schnitzler, Heinrich Heine bis Kurt Tucholsky, von Hegel bis Nietzsche, Albert Ostermaier, Friederike Mayröcker, Alexa Hennig von Lange bis hin zu Ildikó von Kürthy, Daniel Kehlmann, Ingo Schulze, Dietmar Dath oder Rainald Goetz.

Ich habe die Probe auf’s Exempel gemacht und die Maschine mit dem Blogeintrag „Keine Ahnung“ gefüttert. Danach schreibe ich angeblich wie Melinda Nadj Abonji. Zweiter Versuch: Ein Kommentar zur Herbsttagung von IWF und Weltbank. Ergebnis: Ich schreibe wie Uwe Johnson. (Verständlich: Der Text war zwar für deutsche Hörer bestimmt, sollte aber auch für Hindi- oder Amharisch-Übersetzer verständlich und adaptierbar sein.) Drittens meinen Bericht über das Konzert der Gruppe Colosseum, den ich angeblich wie Frederike Mayröcker geschrieben habe.

Drei Tests, drei Ergebnisse. Das lässt mehrere Schlüsse zu. Erstens: Die Maschine ist sehr höflich, um nicht zu sagen schmeichlerisch. Zweitens: Ich bin ein stilistisches Chamäleon. Oder Drittens: Der Algorithmus kann nur die Ergebnisse liefern, mit dem man ihn vorher gefüttert hat. Und da waren bestimmt keine Jerry Cotton-Romane oder Buchauszüge von Ludwig Ganghofer, Dieter Bohlen oder Eva Herman dabei. Ich neige deshalb zur Erklärung Nummer drei. Aber kurzweilig ist dieser Link allemal. Dankeschön Marion!

Published by

2 thoughts on “Ein Chamäleon

  1. ich schreibe mal wie rainald goetz (ausschlaggebend war wohl der von ihm entliehene „gürteläquator“), dann – oh schande, wahrscheinlich war das das ein oder andere f-wort drin – wie charlotte roche, dann wieder wie ulla hahn oder joseph roth, andere haben die probe aufs exempel gemacht und da schrieb dann goethe wie schiller und thomas mann, man staune, wie thomas mann *g*

  2. Quod erat demonstrandum: Verlass Dich niemals auf eine Maschine, die Du nicht selbst gebaut hast. Und da wir alle keine Maschinen bauen können, sollten wir auch keinen trauen. Russischen sowieso nicht, oder? P.S.: Ist Dein Blog etwa nicht jugendfrei?

Comments are closed.