Die sieben Spinnen im Internetz

Foto: Marvin Siefke / pixelio.de
Foto: Marvin Siefke / pixelio.de

Snapchat geht an die Börse, sammelt Milliarden ein und bietet – nichts, außer einer weiteren Tuschel-Plattform für kleine Mädchen mit Smartphone. Zeit, einmal die Funktionsweisen der Plattform-Ökonomie zu beleuchten.

 

Die Mutter des Messengerdienstes Snapchat, Snap Inc., ist vor kurzem an die Börse gegangen. 17 Dollar haben die Erstzeichner für die Snap-Aktie bezahlt. Das erst fünfeinhalb Jahre alte Unternehmen erzielt damit Emissionserlöse von rund 3,4 Milliarden Dollar. Es war der größte Börsengang eines US-Technologieunternehmens seit Facebook im Jahr 2012.

Snapchat-Nutzer können sich Videos, Bilder und Textnachrichten zuschicken, die nach dem Ansehen wieder verschwinden. Das zieht vor allem jüngere Smartphone-Nutzer an. Analysten zufolge ist Snap damit im Bereich soziale Netzwerke zum Hauptkonkurrenten von Facebook aufgestiegen. Mit täglich 158 Millionen aktiven Nutzern kommt der Service auf 2,5 Milliarden „Snaps“ genannte Botschaften in 20 verschiedenen Sprachen, wie aus bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereichten Unterlagen hervorgeht.

Noch schreibt das Unternehmen rote Zahlen, doch hohe Wachstums- und Nutzerzahlen locken die Investoren an wie Motten das Licht. Denn je mehr Nutzer eine Internet-Firma auf ihrer digitalen Plattform zusammenbringt, desto lukrativer wird diese Firma für die werbetreibende Wirtschaft. Plattform-Ökonomie heißt diese Form der digitalen Wirtschaft, und vor allem Amerikaner haben bewiesen, dass sie Weltmeister sind im Entwickeln von Geschäftsmodellen, die einfach nur eine Internet-Plattform zur Verfügung stellen und damit jede Menge Dollars generieren.

Der Kunde hat die Arbeit

Der Charme dieser Ökonomie liegt darin, dass man selbst nicht viel dazu tun muss, um viele Dollars zu verdienen. Und, wenn man eine gute Idee hat, damit zum Global Player aufzusteigen. Man braucht im Grunde nur viele Server, um eine schnell wachsende Zahl an Nutzern reibungslos bedienen zu können, etwas Software – und eine gute Idee eben. Und zwar eine, die möglichst keine Arbeit macht. Denn die Arbeit sollen die Kunden erledigen – und möglichst noch dafür zahlen.

So ist Uber zum größten Vermittler von Transportdienstleistungen geworden, ohne selbst ein einziges Taxi zu besitzen. So ist Airbnb zum größten Beherbergungsbetrieb der Welt geworden, ohne ein einziges Bett oder Zimmer zu besitzen. So verdient Apple Millionen und Abermillionen mit der Arbeit von App-Entwicklern für das Betriebssystem iOS, Google ebenso mit der Arbeit von App-Entwicklern für das Android-Betriebssystem.

Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger und der Internet Economy Foundation (IE.F)
, eine 2016 in Berlin gegründete Interessenvertretung, man kann auch sagen: Lobby der deutschen und europäischen Digitalwirtschaft, hat sieben Giganten identifiziert, die inzwischen die Plattform-Ökonomie beherrschen. Google/Alphabet, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft als dominantes Quintett aus den USA; dazu Tencent (das chinesische Twitter) und Alibaba (das chinesische Amazon) als große Sterne auf dem – freilich gut abgeschirmten – chinesischen Markt.

Europa: Vier Prozent vom digitalen Kuchen

Wie viele schöne Dollars sich damit verdienen lassen, haben Roland Berger und Co. für das Jahr 2015 untersucht. Danach beträgt die Marktkapitalisierung digitaler Plattformen im Gebiet um das Silicon Valley 2200 Milliarden Dollar, was etwa 53 Prozent des globalen Marktanteils an digitalen Dienstleistungen entsprechen soll.

Dieser Anteil klettert sogar auf  73 Prozent, wenn man insgesamt auf nordamerikanische Plattformen schaut. Asien hat dem immerhin 930 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung oder 21 Prozent Marktanteil entgegenzusetzen. 181 Milliarden Dollar in ganz Europa mögen auf den ersten Blick ganz ordentlich klingen. Sie entsprechen jedoch gerade einmal vier Prozent Anteil am globalen Markt – eine quantité négligeable.

Acht Diagramme in der Studie zeigen unter der Überschrift „Herrschaft der Wenigen“ die dominante Position einzelner Firmen in globalen und US-amerikanischen Märkten: Den Markt der Suchmaschinen beherrscht Google mit knapp 90 Prozent, die Smartphone-Betriebssysteme teilen sich Apple und Google (84,1 Prozent Google Android, 14,8 Prozent Apple iOS), während Amazon inzwischen für 89 Prozent des globalen E-Commerce steht. Hinzu kommt ein Dinosaurier namens Microsoft, der aber immer noch 77 Prozent aller Desktop-Betriebssysteme stellt.

Wachstumshindernis: Europas Kleinstaterei

Es ist klar, was die Studie der Lobbyisten bezwecken soll: Die EU möge doch bitte die Wettbewerbsregeln vereinfachen, entschlacken und vereinheitlichen, damit auch Startups in Europa zumindest theoretisch die Chance haben, zum digitalen Plattform-Superstar aufzusteigen. Und um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, werden düstere, aber durchaus realistische Zukunftsvisionen formuliert, zum Beispiel das Ausdehnen der Firmen auf andere Märkte, die der old economy die Existenz streitig machen, zum Beispiel den Automobilbauern.

In der Studie heißt es dazu: „Die höchste Gefährdung für das Fair Play in der Internetökonomie und damit für die Realisierung des mit ihr verbundenen Innovationspotenzials geht von Ökosystemen aus – also Kombinationen aus Hardware, Software, Services, Content und Interaktionen von Nutzergruppen, die wie eine Spinne im Zentrum eines Wertschöpfungsnetzes sitzen und Anwendungen und Technologien verschiedener Ebenen nahtlos integrieren.“ Sieben Spinnen also werfen ein Schlaglicht auf die veränderten wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen, die neuer Antworten bedürfen.

Wem gehört die Welt?

Einige prominente Stimmen, die in der Studie zitiert werden, warnen explizit: „Es erscheint ziemlich wahrscheinlich, dass Google, Facebook und Co. irgendwann die grundlegenden Infrastrukturen kontrollieren werden, auf denen unsere Welt basiert“, meint Evgeny Morozov, Internetforscher an der Harvard University. Aus Sicht der Wettbewerbshüter konzediert Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Wir begegnen in der Internetwirtschaft einer Reihe neuer ökonomischer und rechtlicher Fragen.“ Daniel Zimmer, der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission, ergänzt: „Angesichts der Entwicklungen auf digitalen Märkten sind Anpassungen des Rechtsrahmens und Behördenpraxis nötig.“

Zehn Forderungen an die europäische Wettbewerbspolitik leiten die Autoren aus ihrer Studie ab. So müsse Europa „den Flickenteppich an rechtlichen Bestimmungen überwinden, um das ökonomische Potenzial des digitalen Binnenmarktes von 415 Milliarden Euro an zusätzlichem Wachstum pro Jahr zu heben“. Die Wettbewerbsregeln der Internetökonomie müssten marktübergreifend und branchenneutral gelten. Gleiches Recht für alle Anbieter, die in einem Markt tätig sind.

Die europäischen Kartellbehörden sollten mit klaren Richtlinien und mehr Ressourcen ausgestattet werden, um schneller auf Missbräuche in digitalen Märkten reagieren zu können. Neben dem Umsatz sollte auch der Transaktionswert eine Rolle spielen. Oft genug werden Startups durch große Spieler aufgekauft. Startups machen oft nur minimalen Umsatz, so dass sich gängiges Wettbewerbsrecht um sie schlichtweg nicht kümmert. Die großen Spieler zahlen aber Milliarden, um sich das Potenzial anzueignen, das ihre Marktmacht auch künftig weiter absichert.

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