Corona: Angst essen Wohlstand auf

Foto: Angela Parszyk / pixelio.de

 

 

 

„Angst essen Seele auf“ heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder – Angst essen Wohlstand auf, könnte man in den Zeiten des Coronavius hinzufügen. Denn was richtet mehr Schaden an – ein Virus, das bald gestoppt wird, oder die Angst davor?

 

Lieferketten in der Industrie stocken, Messen werden abgesagt, Fluggesellschaften und Reiseveranstalter befürchten große Einbußen. Die Angst vor Ansteckung beeinträchtigt das Arbeitsleben. Erste Unternehmen sind gezwungen, ihre Produktionen vorübergehend zu reduzieren oder ganz herunterzufahren. Wenn Betriebe ihre Güter nicht weiter produzieren, stört dies die internationalen Wertschöpfungsketten.

Ein solcher Angebotsschock kann einen Dominoeffekt zur Folge haben: Wenn Zulieferungen aus China fehlen, fallen auch die aus anderen Ländern und schließlich von inländischen Firmen aus. Außerdem ist China für deutsche Unternehmen ein wichtiger Kunde. Nachfrageausfälle in China und anderen betroffenen Ländern belasten die Bilanzen deutscher Firmen. Leidtragend ist somit die gesamte Weltwirtschaft, die laut OECD in diesem Jahr um 0,5 Prozentpunkte weniger wachsen wird – wenn es gut ausgeht. Wenn nicht, könnte sich das globale Wachstum auf 1,5 Prozent halbieren, warnen Experten.

Während die einen dabei sind, Nudeln, Toilettenpapier und Desinfektionsmittel zu horten, denken andere darüber nach, was schlimmer ist: Das Coronavirus oder die Angst davor. „Angst vor Corona ist wie Angst vor Terrorismus“, zitiert das Handelsblatt den israelischen Verhaltensforscher  Dan Ariely. „Wir müssen die Verbindung zur Realität behalten. Die Gefahr ist in unserer Vorstellung viel größer, als die Zahlen aktuell vermuten lassen. 2017 sind zum Beispiel 2,5 Millionen Menschen weltweit an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Das ist rational betrachtet ein viel größeres Problem.“

Ähnlich argumentiert der Berliner Risikoforscher Gerd Gigerenzer: „Die Wirtschaft kann enormen Schaden davontragen – nicht durch das Virus selbst, sondern durch unsere Angst davor.“ Er zieht in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) sogar den Vergleich zu den Anschlägen vom 11. September 2001: Rein ökonomisch betrachtet, sei nicht der Einsturz des World Trade Center das Problem gewesen, sondern die Reaktion darauf. Allein die Sicherheitsmaßnahmen kosteten rund eine halbe Billion Dollar an Wirtschaftsleistung. Es starben innerhalb eines Jahres Studien zufolge 1600 Menschen zusätzlich im Straßenverkehr – weil sie nun Angst vor dem Fliegen hatten und deshalb über lange Strecken mit dem Auto fuhren.

Folgt man Gigerenzer, so wurde auch bei früheren Pandemien viel Geld sinnlos vernichtet. Bei Vogelgrippe, Sars oder BSE habe es in Deutschland zwar große Panik, aber keinen einzigen Toten gegeben. Am Rinderwahn starben in ganz Europa 150 Menschen, „so viele wie am Trinken von parfümiertem Lampenöl“, heißt es in der FAS.

Trotzdem sind Zeiten wie diese natürlich eine wunderbare Gelegenheit für die Vertreter diverser Wirtschaftsbranchen und -verbände, das große Klagen anzuheben und von der Regierung frische Pampers zu fordern. Zum Beispiel das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Um einer drohenden Rezession entgegenzuwirken, muss die Politik handeln. Gefragt sind schnelle und unbürokratische Maßnahmen, die zum einen das Coronavirus eindämmen und zum anderen das Überleben der Unternehmen sichern“, schreiben die IW-Ökonomen in einer heute (06.03.2020) veröffentlichten Studie. Sie haben fünf Forderungen für die Politik entwickelt:

Zuerst müsse das ansonsten  „generell gute Gesundheitssystem mit den entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden“, um Epidemien rasch eindämmen zu können. Zweitens müssten Unternehmen, die unter dem Corona-Schock besonders leiden, liquide gehalten werden, „beispielsweise über Kredite, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zusammen mit den Förderbanken der Länder organisiert werden“.

Wegen der Corona-Folgen könnten mehr Unternehmen im Euroraum Liquiditätshilfen bei Banken nachfragen. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte es den Kreditinstituten deshalb erleichtern, sich Geld bei ihr zu leihen, damit die Banken jenen Unternehmen, die unter der Corona-Krise leiden, Kredite gewähren können.

Eine andere Möglichkeit, die Unternehmen finanziell zu unterstützen, sieht das IW in einer Art Steuerstundung. Seit 2008 gilt der sogenannte Investitionsabzugsbetrag, der es Unternehmen ermöglicht, Abschreibungen zeitlich vorzuverlegen, wodurch sich die Steuerlast des laufenden Jahres reduziert. Der Betrag ist auf 200.000 Euro im Jahr und auf Unternehmen mit einem Betriebsvermögen von bis zu 235.000 Euro beschränkt. „Eine temporäre Anhebung dieser Schwellenwerte würde Betriebe kurzfristig entlasten“, schreiben die Autoren der Studie. “Allerdings“, räumen sie ein, „würden davon auch jene Unternehmen profitieren, die keine Liquiditätsprobleme haben“.

Stecken Unternehmen in der Krise, sind häufig auch Arbeitsplätze bedroht. Ein wirksames Mittel gegen Entlassungen ist die Kurzarbeit. Sie hat sich auch während der Finanzmarktkrise 2009 bewährt: Private Haushalte erhalten so Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit, und damit stabilisiert sich automatisch die Konsumnachfrage. Deshalb fordern die IW-Forscher „eine unbürokratische und zeitlich flexible Handhabung der Kurzarbeit“.

Auch Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, fordert ein staatliches Konjunkturprogramm. Und der Konjunkturexperte Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim empfiehlt, europaweit koordiniert eine „umfassende fiskalpolitische Reaktion“ vorzubereiten. „Vorschnelle Forderungen nach Konjunkturpaketen stoßen unter deutschen Ökonomen mit Recht erst einmal auf Skepsis. Zu oft werden tiefer liegende strukturelle Wachstumsschwächen als Konjunkturproblem deklariert, nur um weiter Schulden machen zu dürfen“ schreibt Heinemann. Aber: „Beim Corona-Schock liegt der Fall eindeutig anders. Eine Seuche ist ein klassischer temporärer Schock, der die Wirtschaft eine gewisse Zeit beeinträchtigt und für Unternehmen in den besonders betroffenen Sektoren zur existenziellen Krise werden kann.“ Als Notmaßnahme schlägt er eine vorübergehende Absenkung der Mehrwertsteuer vor, um den privaten Konsum zu stabilisieren. Denn die private Nachfrage sei in Deutschland bislang die wichtigste Stütze der ohnehin schon lahmenden Konjunktur gewesen.

Der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hält dagegen von solchen Forderungen wenig. „Wenn die Leute Angst haben, sich anzustecken, dann werden sie auch dann nicht ins Kino gehen, wenn die Eintrittskarte ein bisschen billiger wird.“ Außerdem treffe Corona in Deutschland besonders stark die Angebotsseite: Es drohen Produktionsausfälle in deutschen Fabriken, weil asiatische Zulieferer ausfallen. „Dagegen helfen staatliche Ausgabenprogramme nicht“, wird Fuest in der FAS zitiert.

 

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