Exitstrategie nach dem Shutdown gesucht

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Die Beschränkungen in Gesellschaft und Wirtschaft allmählich zu lockern und dabei die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung zu sichern – dafür plädiert jetzt eine interdisziplinäre Gruppe renommierter Wissenschaftler. In ihrem Positionspapier zeigen die Forscher um ifo-Präsident Clemens Fuest und Martin Lohse, Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Wege zu diesem Ziel auf.

Die Strategie sieht vor, derzeitige Einschränkungen differenziert und unter kontinuierlicher Abwägung der Risiken nach und nach zu lockern. Priorität genießen müssten dabei Beschränkungen, die hohe wirtschaftliche Kosten verursachen oder zu starken sozialen und gesundheitlichen Belastungen führen, schreiben die Autoren in ihrem 30seitigen Strategiepapier, das man hier als pdf-Download findet.

Regionen mit niedrigen Infektionsraten und freien Kapazitäten im Gesundheitssystem könnten, so der Vorschlag der 14 Experten aus deutschen Universitäten und Forschungsinstituten, beim allmählichen Neubeginn vorangehen. Beginnen sollten zudem Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr wie zum Beispiel hochautomatisierte Fabriken sowie Bereiche mit weniger gefährdeten Personen, etwa in Schulen und Hochschulen.

„Die aktuellen Beschränkungen sind sinnvoll und zeigen erste Wirkung“, sagt Martin Lohse, Mediziner und Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Allerdings hätten die Maßnahmen neben hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten auch gravierende medizinische Folgen, etwa für Patienten mit anderen schweren Erkrankungen. „Ein genereller Shutdown ist keine langfristige Lösung“, sagt Martin Lohse.

„Gesundheit und eine stabile Wirtschaft schließen sich keineswegs aus“, sagt Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des Münchener ifo-Instituts. Beides bedinge sich vielmehr gegenseitig: „So wie eine positive wirtschaftliche Entwicklung bei unkontrollierter Ausbreitung des Virus nicht möglich ist, lässt sich auch die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens ohne eine funktionierende Wirtschaft nicht aufrechterhalten“, so Fuest.

„Bei der Planung, in welchen Schritten die massiven Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens aufgehoben werden, müssen die Menschen im Mittelpunkt stehen. Dabei sind gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken zu berücksichtigen. Allen wird derzeit viel zugemutet. Jetzt müssen die Starken für die Schwachen da sein“, betont Christiane Woopen, Professur für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln.

Wichtig seien jetzt großflächige Tests, um zuverlässigere Erkenntnisse über die Ausbreitung des Erregers zu erhalten, schreiben die Wissenschaftler aus den Bereichen Innere Medizin, Infektionsforschung, Pharmakologie, Epidemiologie, Ökonomie, Verfassungsrecht, Psychologie und Ethik. Auch die Sicherung der Produktion von Schutzkleidung, Schutzmasken, Medikamenten und künftiger Impfstoffe zähle zu den vordringlichen Maßnahmen. Weiterhin empfehlen die Wissenschaftler, neue Kapazitäten zur Bewältigung der sozialen und psychischen Folgeschäden der aktuellen Maßnahmen zu schaffen.

„Der Versuch, die Wiederaufnahme der Produktion zentral zu steuern, hätte planwirtschaftlichen Charakter und würde in der Praxis nicht funktionieren“, schreiben die Autoren. Die Wiederaufnahme müsse vorrangig von den Einrichtungen und Unternehmen selbst gesteuert werden. Für Entscheidungen über die Differenzierung von Öffnungsschritten sollten – unter Beachtung der Vorsichtsmaßnahmen des Gesundheitsschutzes – folgende Kriterien gelten: Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr, z.B. hochautomatisierte Fabriken, und weniger vulnerablen Personen, z.B. Kindertagesstätten und Schulen, sollten zuerst geöffnet werden.

Hohe Wertschöpfung, wie sie insbesondere Teile des verarbeitenden Gewerbes aufweisen, sollte als Kriterium für prioritäre Öffnung berücksichtigt werden; Beschränkungen, die hohe soziale oder psychische Belastungen implizieren, sollten vorrangig gelockert werden; Regionen mit niedrigeren Infektionsraten und weniger Verbreitungspotential könnten eher geöffnet werden; nach Ausbildung von natürlicher Immunität könnten vor allem Bereiche und Regionen mit einer hohen Immunität geöffnet werden, und schließlich sollten Regionen mit freien Kapazitäten in der Krankenversorgung eher geöffnet werden, schreiben die Autoren.

 

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