Digitale Verblödung kann man stoppen

Foto: Alexander Hauk / pixelio.de
Foto: Alexander Hauk / pixelio.de

Sturm auf den Reichstag, Sturm auf das Capitol in Washington – alle Welt scheint überrascht zu sein über so viel Irrsinn und Verblendung.

Ich behaupte: Das hat nichts mit dem Zeitgeist zu tun, das ist ein Produkt der digitalen Verblödungsgesellschaft – und ließe sich schnell korrigieren, wenn sich die Politik einig wäre.

Wie intonierte es schon der Chor der Feuerwehrleute in Max Frischs Theaterstück „Biedermann und die Brandstifter“? „Nimmer verdient, Schicksal zu heißen, bloß weil er geschehen, der Blödsinn.“

„Gesellschaftlichen Wandel hat es immer gegeben.“ Das ist, na klar, eine Plattitüde. Besonders in Deutschland: Von den Altnazis in den Funktionsebenen des nachkriegsdeutschen Regierungsapparates der 50er und 60er Jahre über den Muff unter den Talaren und die Studentenunruhen, den Diskurs zur Homosexualität und zur Abtreibung bis hin zum heutigen, fast schon wieder drolligen Bemühen um political- und vor allen Dingen gender-correctness – gesellschaftlichen Wandel hat es immer gegeben.

Aber diese Bereitschaft zum Wandel hat immer lange gegärt, wie guter Wein in alten Fässern: Irgendwann war die Zeit reif dafür. Das ist heute anders. Was mich umtreibt und mir Sorgen macht, ist, dass der gesellschaftliche Wandel, den es immer gegeben hat, heute durch einen Technologiesprung, die Digitalisierung, beschleunigt wird – und vermutlich auch, wenn wir nicht aufpassen, in ganz üble Richtungen abdriftet.

Der digitale Segen, der uns das Leben neuerdings so einfach, cool und smart macht, kommt bekanntlich aus den USA. Amerikaner waren schon immer bekannt dafür, einträgliche Geschäftsmodelle zu entwickeln, die – anders als in Europa – weder durch die Bürokratie noch durch zu kleine Märkte behindert wurden. Wer in den USA eine erfolgreiche Idee hatte, konnte bei ca. 340 Millionen Konsumenten zwischen der Ost- und Westküste sehr schnell wachsen – und von dort aus, ausgestattet mit den finanziellen Ressourcen aus dem Wachstum auf dem Heimatmarkt, die ganze Welt erobern. Die braune Zuckerbrause aus Atlanta, Georgia, ist dafür nur ein Beispiel.

Mit der Digitalisierung kam aber noch eine ganz andere Qualität ins Spiel: Die Netzwerk- oder auch Plattformökonomie. Netzwerk? Was soll das denn sein? Ganz einfach: Wer im Jahr 1900 in Berlin bei der Reichspost einen „Telephonanschluss“ beantragte, war eigentlich vollkommen verrückt, galt als Spinner, heute würde man ihn als early adoptor bezeichnen. Denn er konnte praktisch niemanden anrufen (außer vielleicht Polizei und Feuerwehr), und weil keiner ein Telefon hatte, konnte er auch nicht angerufen werden.

Das Telefon wurde erst dann ein Massenkommunikationsmittel, als es genügend Spinner gab, die den Vorteil dieses Netzwerks namens Telephon begriffen. Sprich: Es braucht irgendeinen Kulminationspunkt, einen break even point, der auf einmal allen Beteiligten einen Vorteil bringt, nur weil sie (potentiell) miteinander vernetzt sind. In Spitzenzeiten verzeichnete die Telekom in Deutschland, hervorgegangen aus der staatlichen Deutschen Bundespost, über 40 Millionen Festnetzanschlüsse.

Schön, das war ein Ausflug in die Historie, der Reichspost und der Telegraphengesellschaften. Aber was hat das mit meinen Sorgen über die digitale Verblödungsgesellschaft zu tun?
Dazu sollte man sich – neben der Netzwerktheorie – etwas näher mit dem Begriff Plattformökonomie befassen. Was beim Netzwerk des Telefons einige Jahrzehnte gedauert hat, nämlich diesen Break-even-point zu erreichen, geht heute dank Internet und riesiger Serverfarmen viel leichter und schneller: Bringe auf einer Internet-Plattform Anbieter und Nachfrager zusammen, und Du brauchst nur noch die Hand aufzuhalten, um die Dollars einzusammeln.

Beispiele gefällig? Da gibt es zum Beispiel den größten Beherbergungskonzern der Welt, der kein einziges Bett selbst besitzt und folglich auch die Wohnung drum herum nicht selbst sauber machen muss. Dass er in vielen Städten dieser Welt die Mieten hochtreibt, die sich Einheimische nicht mehr leisten können – was schert das diesen Konzern?

Da gibt es inzwischen den größten Beförderungskonzern der Welt, der kein eigenes Taxi besitzt, da gibt es Konzerne wie Apple oder Google, die das Geldverdienen noch auf die Spitze treiben, indem sie ihre Kunden die Arbeit selber machen lassen. Wozu sollen Apple oder Google App-Entwickler beschäftigen, wenn es genug Leute auf der Welt gibt, die diesen Job für sie erledigen? Sie bieten ja nur die digitale Plattform – und halten sich aus allem anderen unschuldig heraus. Hauptsache, die Dollars fließen – nur für das Privileg, auf Google Play oder auf der Apple-Plattform als „geprüft“ erscheinen zu dürfen.

Aber das erklärt immer noch nicht, weshalb ich von einer digitalen Verblödungsgesellschaft spreche. In dieser Plattformökonomie ist es natürlich lukrativ, alle miteinander quatschen zu lassen, solange sie ihre Daten für die Werbewirtschaft abliefern. Schlimm wird es nur, wenn diese Medienplattformen so arbeiten wie z.B. Amazon oder YouTube: „Kunden, die sich für Dein Produkt interessiert haben, kauften auch…“. „In fünf Sekunden startet das nächste Video zu diesem Thema.bla bla bla…“ Das sind natürlich Algorithmen, über die man lächeln kann, vor allem, wenn sie Dir Dinge empfehlen, die Du schon längst gekauft oder verworfen hast.

Trotzdem sollte man diese Algorithmen nicht unterschätzen. Sie führen nämlich die schätzungsweise 15 bis 40 Prozent der Bevölkerung, an denen das deutsche Bildungssystem keinerlei erkennbare Spuren hinterlassen hat, in eine Endlosschleife oder eine Echokammer, in der sie in ihren verqueren Ansichten, Verschwörungsmärchen und Fake-Geschichten permanent bestätigt werden. Denn das nächste Video, der nächste Blogger oder Vlogger-Beitrag erzählen ihnen den gleichen Mist so lange, bis sie selbst fest daran glauben: Leute, fresst mehr Scheiße, Millionen Fliegen können nicht irren.

Um es kurz zu machen: Ich glaube, wenn wir nicht weiter in eine digitale Verblödungsgesellschaft abgleiten wollen, sollten wir uns an das Jahr 1984 erinnern. Damals hatte der US-Telefonkonzern AT&T in den USA ein absolutes Monopol, das nicht nur die Preise diktierte, sondern auch den Fortschritt durch innovative Newcomer verhinderte. Irgendwann ging das sogar konservativen amerikanischen Politikern über die Hutschnur: Sie erklärten das AT&T-Monopol kurzerhand zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit, und plötzlich war es ganz einfach, AT&T in viele kleine Baby-Bells aufzuspalten.

Wenn ich sehe, wie heute die Plattformökonomie, die Internetkonzerne, die Datenkraken sich einen Teufel darum scheren, ob sie mit ihren Algorithmen Endlosschleifen und Echokammern generieren, in der sich immer mehr Idioten bestätigt sehen – das sollte nicht nur als eine Bedrohung der nationalen, sondern der globalen Sicherheit angesehen werden.

Mein Rat: Zerschlagt diese Konzerne und lasst sie in jedem Land, in dem sie Umsätze generieren, auch Steuern zahlen – ohne Ausnahme. Wenn jemand Coronaviren leugnet, Impfen für Teufelswerk und Politiker für außerirdische Echsen hält, dem ist natürlich nicht mehr zu helfen. Aber digitale Plattformen sollten diesen Schwachsinn nicht auch noch unkommentiert befördern, ungehindert persönliche Daten sammeln und sämtliche Steuern vermeiden können.

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