Nötigung?

Welch ein Zufall. Jener Bundestagsabgeordnete, dessen (Nicht)-Bild ich auf „abgeordnetenwatch.de“ zur Illustration der Praktiken des an sich löblichen Web-Potals benutzt habe, schreibt den Gründern und Betreibern des Portals eine ziemlich erboste Mail, in der er ihnen fast so etwas wie Nötígung vorwirft. Da diese Mail von Sebastian Edathy an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages gegangen ist, verrate ich kein Geheimnis, wenn ich seine Mail hier weitergebe:

edathy

„Rehburg, 25.08.2009

Sehr geehrter Herr Hackmack, sehr geehrter Herr Hekele,
ich bedanke mich für Ihre Email vom 20.08.2009 an alle Kandidierenden
zur Bundestagswahl und nehme zu Ihren Ausführungen und zur Sache gerne Stellung.

Die Bundestagsabgeordneten erhalten dieses Schreiben zur Kenntnis.

Sie schreiben, ich hätte kritisiert, „dass wir auf abgeordnetenwatch.de
zu den Bundestagswahlen 2009 um einen einmaligen, freiwilligen Projektkostenbeitrag bitten“.

Es wird aber nicht um einen „einmaligen, freiwilligen
Projektkostenbeitrag“ gebeten, sondern von diesem eine chancengleiche
Präsentation auf der Seite abhängig gemacht, was im Grunde einer
Nötigung nahe kommt.“

„Sie schreiben zudem: „Der Gedanke dahinter ist folgender: alles was aus
Sicht der Bürgerinnen und Bürger der Transparenz und direkten
Kommunikation dient bleibt kostenlos. Sowohl Grundeintrag als auch
Frage- und Antwortfunktion bleiben auch im Wahlkampf kostenfrei. Für
alle weiteren Funktionen, die unter den Bereich „Wahlkampf“ fallen
(sprich das eigene Bild, die Möglichkeit zur Selbstdarstellung, ein
Terminkalender u.v.m.) bitten wir um eine einmalige, überschaubare
Kostenbeteiligung von 200 EURO bei Bundestagswahlen und 100 EURO bei
Landtagswahlen.“

Was hat denn „Wahlkampf“ auf abgeordnetenwatch.de zu suchen? Und wieso
ist die Veröffentlichung eines Fotos jetzt „Wahlkampf“, ansonsten aber
Standard?! Wer im Internet „Wahkampf“ betreiben möchte, kann sich dafür
entsprechende Internet-Auftritte kaufen. Das kann aber nicht die Aufgabe
oder Funktion von abgeordnetenwatch.de sein. Es würde völlig ausreichen,
wenn auf abgeordnetenwatch jeweils ein Link zur Homepage des
Kandidierenden veröffentlicht würde, was aber nicht möglich ist, wenn
man kein Geld zahlt. Bemerkenswert. Wieso will abgeordnetenwatch
Werbeaufgaben übernehmen? Die Antwort ist: Um Geld von den Befragten zu
erhalten! Und das akzeptiere ich nicht.

Ich bin gerne bereit, künftig bei der Einwerbung öffentlicher Mittel, z.B.
seitens der Bundeszentrale für politische Bildung, von der Sie
bereits 20.000 Euro für das Bundestagswahljahr 2009 erhalten haben, zur
Absicherung ihrer Arbeit behilflich zu sein. Zudem stellt sich
sicherlich die Frage, ob nicht die privaten Medienpartner (stärker)
finanziell eingebunden werden können. Eine Aufgabe der Befragten, für
einen angemessenen Rahmen der Befragung zu bezahlen, kann ich aber nicht
sehen.

Sie schreiben ferner: „Die Ankündigung, Bürgerfragen künftig nicht mehr
öffentlich über abgeordnetenwatch.de zu beantworten, würde sich gegen
die Bürgerinnen und Bürger richten, die bewusst den Weg zur öffentlichen
Kontaktaufnahme über das Portal gewählt haben. Dies wäre äußerst
bedauerlich angesichts der Tatsache, dass sich immer mehr Menschen
enttäuscht von Politik und Politikern abwenden. Die Bürgerinnen und
Bürger würden wahrscheinlich auch nicht verstehen, warum ein Kandidat
zwar bereit ist, im Straßenwahlkampf mit zum Teil großem finanziellen
Aufwand für sich zu werben, im Internet jedoch nicht.“

Sehr geehrte Herren Hackmack und Hekele, wofür Kandidierende ihr Geld
ausgeben, ist doch wohl deren Sache. Ich bin übrigens davon überzeugt,
dass Bundestagsabgeordnete auch schon vor Bestehen von
abgeordnetenwatch.de gute Arbeit geleistet haben und dies auch
transparent. Die Grundidee von abgeordnetenwatch.de ist gut. Es geht
aber nicht an, wenn ein (inzwischen) renommierter Anbieter einer
Internet-Seite, die für sich auch noch die Förderung von Unabhängigkeit
in Anspruch nimmt, Geld für eine chancengleiche Präsentation verlangt.
Wer erwartet denn von abgeordnetenwatch, ein Forum für „Wahlkampf“ zu
bieten? Wozu braucht man auf abgeordnetenwatch einen Terminkalender der
Kandidierenden? Wieso ist die Wiedergabe eines Fotos „Wahlkampf“? Hier
geht es doch offenkundig darum, in 299 Wahlkreisen den Kandidierenden
der fünf im Bundestag vertretenen Parteien Geld abzuknöpfen. Wenn alle
mitmachen, wären das übrigens 290.000 Euro. Damit möglichst viele
mitmachen, verschlankt man offenkundig die bisherigen
Darstellungsmöglichkeiten so, dass ein Nichtzahlen von Geld mit einer
unattraktiven Darstellung verbunden ist. Wer das problematisiert, wird
der Förderung von Politikverdrossenheit bezichtigt und leistet angeblich
der Entfremdung von Wählern und Kandidaten Vorschub. Das ist ziemlich
dreist.

Für mich bleibt es dabei: So geht’s nicht! Wenn sich abgeordnetenwatch
als Forum für „Wahlkampf“ versteht und man bezahlen soll, wenn man
relevant vorkommen möchte, beantworte ich dort keine Fragen mehr,
sondern werde die Petenten darum bitten, mir eine Email mit ihrer Frage
zu senden.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB

Uff. Ich habe daraus folgendes gelernt: Abgeordnetenwatch.de erlaubt es den Kandidaten nicht, einen Link auf die eigene Homepage zu setzen – es sei denn, man löhnt 200 Euro. Das erscheint mir ziemlich dreist. Mit Sicherheit könnte das jeder Abgeordnete aus der Portokasse bezahlen. Aber Herrn Edathy geht es um etwas anderes: Neben „Transparenz, die Vertrauen schafft“ (der neue Slogan von abgeordnetenwatch.de), muss es auch so etwas wie Gleichbehandlung und Fairness geben.

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2 thoughts on “Nötigung?

  1. Klingt ziemlich abenteuerlich. Andererseits bietet abgeordnetenwatch.de auch einen guten Service, indem es die Programme der Parteien gegenüberstellt. Nirgendwo kann man sich so schnell vergleichbare Informationen besorgen.

  2. Ich stimme RolfD zu, abgeordnetenwatch.de bietet einen guten Service. Zugleich gilt: Von nix kütt nix – das weiß auch Herr Edathy, doch zahlen will er nicht. Stattdessen bietet er an, künftig bei der „Einwerbung öffentlicher Mittel“ zur Absicherung der Arbeit von abgeordnetenwatch Arbeit behilflich zu sein. Ich lerne daraus, Politiker leben wirklich in einer anderen Welt, wenn’s ums Geld geht und greifen selbst beim Wahlkampf lieber nach Steuergeldern als in die eigene Tasche. Da ist es doch nur noch eine Frage des Stils, ob man ´s wie Herr Edathy indirekt angeht oder ganz direkt wie vor Kurzen Ministerpräsident Müller und Wirtschaftsminister Gutenberg.

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