Digitale Verblödung kann man stoppen

Foto: Alexander Hauk / pixelio.de
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Sturm auf den Reichstag, Sturm auf das Capitol in Washington – alle Welt scheint überrascht zu sein über so viel Irrsinn und Verblendung.

Ich behaupte: Das hat nichts mit dem Zeitgeist zu tun, das ist ein Produkt der digitalen Verblödungsgesellschaft – und ließe sich schnell korrigieren, wenn sich die Politik einig wäre.

Wie intonierte es schon der Chor der Feuerwehrleute in Max Frischs Theaterstück „Biedermann und die Brandstifter“? „Nimmer verdient, Schicksal zu heißen, bloß weil er geschehen, der Blödsinn.“

„Gesellschaftlichen Wandel hat es immer gegeben.“ Das ist, na klar, eine Plattitüde. Besonders in Deutschland: Von den Altnazis in den Funktionsebenen des nachkriegsdeutschen Regierungsapparates der 50er und 60er Jahre über den Muff unter den Talaren und die Studentenunruhen, den Diskurs zur Homosexualität und zur Abtreibung bis hin zum heutigen, fast schon wieder drolligen Bemühen um political- und vor allen Dingen gender-correctness – gesellschaftlichen Wandel hat es immer gegeben.

Aber diese Bereitschaft zum Wandel hat immer lange gegärt, wie guter Wein in alten Fässern: Irgendwann war die Zeit reif dafür. Das ist heute anders. Was mich umtreibt und mir Sorgen macht, ist, dass der gesellschaftliche Wandel, den es immer gegeben hat, heute durch einen Technologiesprung, die Digitalisierung, beschleunigt wird – und vermutlich auch, wenn wir nicht aufpassen, in ganz üble Richtungen abdriftet.

Der digitale Segen, der uns das Leben neuerdings so einfach, cool und smart macht, kommt bekanntlich aus den USA. Amerikaner waren schon immer bekannt dafür, einträgliche Geschäftsmodelle zu entwickeln, die – anders als in Europa – weder durch die Bürokratie noch durch zu kleine Märkte behindert wurden. Wer in den USA eine erfolgreiche Idee hatte, konnte bei ca. 340 Millionen Konsumenten zwischen der Ost- und Westküste sehr schnell wachsen – und von dort aus, ausgestattet mit den finanziellen Ressourcen aus dem Wachstum auf dem Heimatmarkt, die ganze Welt erobern. Die braune Zuckerbrause aus Atlanta, Georgia, ist dafür nur ein Beispiel.

Mit der Digitalisierung kam aber noch eine ganz andere Qualität ins Spiel: Die Netzwerk- oder auch Plattformökonomie. Netzwerk? Was soll das denn sein? Ganz einfach: Wer im Jahr 1900 in Berlin bei der Reichspost einen „Telephonanschluss“ beantragte, war eigentlich vollkommen verrückt, galt als Spinner, heute würde man ihn als early adoptor bezeichnen. Denn er konnte praktisch niemanden anrufen (außer vielleicht Polizei und Feuerwehr), und weil keiner ein Telefon hatte, konnte er auch nicht angerufen werden.

Das Telefon wurde erst dann ein Massenkommunikationsmittel, als es genügend Spinner gab, die den Vorteil dieses Netzwerks namens Telephon begriffen. Sprich: Es braucht irgendeinen Kulminationspunkt, einen break even point, der auf einmal allen Beteiligten einen Vorteil bringt, nur weil sie (potentiell) miteinander vernetzt sind. In Spitzenzeiten verzeichnete die Telekom in Deutschland, hervorgegangen aus der staatlichen Deutschen Bundespost, über 40 Millionen Festnetzanschlüsse.

Schön, das war ein Ausflug in die Historie, der Reichspost und der Telegraphengesellschaften. Aber was hat das mit meinen Sorgen über die digitale Verblödungsgesellschaft zu tun?
Dazu sollte man sich – neben der Netzwerktheorie – etwas näher mit dem Begriff Plattformökonomie befassen. Was beim Netzwerk des Telefons einige Jahrzehnte gedauert hat, nämlich diesen Break-even-point zu erreichen, geht heute dank Internet und riesiger Serverfarmen viel leichter und schneller: Bringe auf einer Internet-Plattform Anbieter und Nachfrager zusammen, und Du brauchst nur noch die Hand aufzuhalten, um die Dollars einzusammeln.

Beispiele gefällig? Da gibt es zum Beispiel den größten Beherbergungskonzern der Welt, der kein einziges Bett selbst besitzt und folglich auch die Wohnung drum herum nicht selbst sauber machen muss. Dass er in vielen Städten dieser Welt die Mieten hochtreibt, die sich Einheimische nicht mehr leisten können – was schert das diesen Konzern?

Da gibt es inzwischen den größten Beförderungskonzern der Welt, der kein eigenes Taxi besitzt, da gibt es Konzerne wie Apple oder Google, die das Geldverdienen noch auf die Spitze treiben, indem sie ihre Kunden die Arbeit selber machen lassen. Wozu sollen Apple oder Google App-Entwickler beschäftigen, wenn es genug Leute auf der Welt gibt, die diesen Job für sie erledigen? Sie bieten ja nur die digitale Plattform – und halten sich aus allem anderen unschuldig heraus. Hauptsache, die Dollars fließen – nur für das Privileg, auf Google Play oder auf der Apple-Plattform als „geprüft“ erscheinen zu dürfen.

Aber das erklärt immer noch nicht, weshalb ich von einer digitalen Verblödungsgesellschaft spreche. In dieser Plattformökonomie ist es natürlich lukrativ, alle miteinander quatschen zu lassen, solange sie ihre Daten für die Werbewirtschaft abliefern. Schlimm wird es nur, wenn diese Medienplattformen so arbeiten wie z.B. Amazon oder YouTube: „Kunden, die sich für Dein Produkt interessiert haben, kauften auch…“. „In fünf Sekunden startet das nächste Video zu diesem Thema.bla bla bla…“ Das sind natürlich Algorithmen, über die man lächeln kann, vor allem, wenn sie Dir Dinge empfehlen, die Du schon längst gekauft oder verworfen hast.

Trotzdem sollte man diese Algorithmen nicht unterschätzen. Sie führen nämlich die schätzungsweise 15 bis 40 Prozent der Bevölkerung, an denen das deutsche Bildungssystem keinerlei erkennbare Spuren hinterlassen hat, in eine Endlosschleife oder eine Echokammer, in der sie in ihren verqueren Ansichten, Verschwörungsmärchen und Fake-Geschichten permanent bestätigt werden. Denn das nächste Video, der nächste Blogger oder Vlogger-Beitrag erzählen ihnen den gleichen Mist so lange, bis sie selbst fest daran glauben: Leute, fresst mehr Scheiße, Millionen Fliegen können nicht irren.

Um es kurz zu machen: Ich glaube, wenn wir nicht weiter in eine digitale Verblödungsgesellschaft abgleiten wollen, sollten wir uns an das Jahr 1984 erinnern. Damals hatte der US-Telefonkonzern AT&T in den USA ein absolutes Monopol, das nicht nur die Preise diktierte, sondern auch den Fortschritt durch innovative Newcomer verhinderte. Irgendwann ging das sogar konservativen amerikanischen Politikern über die Hutschnur: Sie erklärten das AT&T-Monopol kurzerhand zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit, und plötzlich war es ganz einfach, AT&T in viele kleine Baby-Bells aufzuspalten.

Wenn ich sehe, wie heute die Plattformökonomie, die Internetkonzerne, die Datenkraken sich einen Teufel darum scheren, ob sie mit ihren Algorithmen Endlosschleifen und Echokammern generieren, in der sich immer mehr Idioten bestätigt sehen – das sollte nicht nur als eine Bedrohung der nationalen, sondern der globalen Sicherheit angesehen werden.

Mein Rat: Zerschlagt diese Konzerne und lasst sie in jedem Land, in dem sie Umsätze generieren, auch Steuern zahlen – ohne Ausnahme. Wenn jemand Coronaviren leugnet, Impfen für Teufelswerk und Politiker für außerirdische Echsen hält, dem ist natürlich nicht mehr zu helfen. Aber digitale Plattformen sollten diesen Schwachsinn nicht auch noch unkommentiert befördern, ungehindert persönliche Daten sammeln und sämtliche Steuern vermeiden können.

Exitstrategie nach dem Shutdown gesucht

Foto: fotoART-by-Thommy-Weiss_pixelio.de

Die Beschränkungen in Gesellschaft und Wirtschaft allmählich zu lockern und dabei die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung zu sichern – dafür plädiert jetzt eine interdisziplinäre Gruppe renommierter Wissenschaftler. In ihrem Positionspapier zeigen die Forscher um ifo-Präsident Clemens Fuest und Martin Lohse, Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Wege zu diesem Ziel auf.

Die Strategie sieht vor, derzeitige Einschränkungen differenziert und unter kontinuierlicher Abwägung der Risiken nach und nach zu lockern. Priorität genießen müssten dabei Beschränkungen, die hohe wirtschaftliche Kosten verursachen oder zu starken sozialen und gesundheitlichen Belastungen führen, schreiben die Autoren in ihrem 30seitigen Strategiepapier, das man hier als pdf-Download findet.

Regionen mit niedrigen Infektionsraten und freien Kapazitäten im Gesundheitssystem könnten, so der Vorschlag der 14 Experten aus deutschen Universitäten und Forschungsinstituten, beim allmählichen Neubeginn vorangehen. Beginnen sollten zudem Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr wie zum Beispiel hochautomatisierte Fabriken sowie Bereiche mit weniger gefährdeten Personen, etwa in Schulen und Hochschulen.

„Die aktuellen Beschränkungen sind sinnvoll und zeigen erste Wirkung“, sagt Martin Lohse, Mediziner und Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Allerdings hätten die Maßnahmen neben hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten auch gravierende medizinische Folgen, etwa für Patienten mit anderen schweren Erkrankungen. „Ein genereller Shutdown ist keine langfristige Lösung“, sagt Martin Lohse.

„Gesundheit und eine stabile Wirtschaft schließen sich keineswegs aus“, sagt Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des Münchener ifo-Instituts. Beides bedinge sich vielmehr gegenseitig: „So wie eine positive wirtschaftliche Entwicklung bei unkontrollierter Ausbreitung des Virus nicht möglich ist, lässt sich auch die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens ohne eine funktionierende Wirtschaft nicht aufrechterhalten“, so Fuest. Continue reading „Exitstrategie nach dem Shutdown gesucht“

No deal for Trump

 

Impfstoff first for America? (Foto: Andreas Hermsdorf_pixelio.de)

US-Präsident Donald Trump hat offenbar versucht, sich Deutschland einen möglichen Impfstoff gegen das Coronavirus exklusiv für die USA zu sichern. Berlin hat empört reagiert, und die Firma versichert: Es gibt kein Milliardengeschäft mit der Krise.

 

 

Zwischen Deutschland und den USA gibt es in der Coronavirus-Krise Streit um ein Tübinger Pharma-Unternehmen, das an einem Impfstoff arbeitet. Auf die Frage, ob es aus der US-Regierung den Versuch gegeben habe, das deutsche Unternehmen CureVac für eine sehr hohe Geldsumme zu übernehmen, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer am Sonntag in Berlin: „Ich kann nur sagen, dass ich heute mehrfach gehört habe von Regierungsmitgliedern, dass dies zutrifft und dass wir da morgen im Krisenstab darüber reden.“

Zuerst hatte die „Welt am Sonntag“darüber berichtet. US-Präsident Donald Trump versuche, deutsche Wissenschaftler mit hohen finanziellen Zuwendungen nach Amerika zu locken oder das Medikament exklusiv für sein Land zu sichern, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Regierungskreise in Berlin. Der US-Präsident biete dem Bericht zufolge der Firma einen hohen Betrag, um sich deren Arbeit exklusiv zu sichern. Trump tue alles, um einen Impfstoff für die USA zu bekommen – aber eben nur für die USA, schreibt die Zeitung und beruft sich auf Kreise in der Bundesregierung.

Ein Exklusivvertrag etwa mit den USA für einen Corona-Impfstoff kommt für CureVac nach einem Bericht der Zeitung „Mannheimer Morgen“ allerdings nicht in Frage. „Wir wollen einen Impfstoff für die ganze Welt entwickeln und nicht für einzelne Staaten“, hieß es. Seit Januar forscht CureVac an einem Impfstoff gegen das Coronavirus.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier lobte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ am Sonntagabend die Tübinger Firma dafür, dass sie für die US-Avancen nicht zur Verfügung steht. Das sei eine großartige Entscheidung. Deutschland stehe „nicht zum Verkauf“, sagte Altmaier.

Das Bundesforschungsministerium wies zudem darauf  hin, dass die dortige Forschung mit staatlichen Geldern gefördert werde. „Der exklusive Verkauf eines eventuellen Impfstoffes an die USA muss mit allen Mitteln verhindert werden. Der Kapitalismus hat Grenzen“ schrieb der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter. Scharfe Kritik wegen US-Begehrlichkeiten kam auch von der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas: „Wenn es einen Impfstoff gibt, muss er allen zur Verfügung stehen. Alles andere wäre ein Skandal. Bei einer Pandemie geht es um alle Menschen und nicht um America first“.

 

Ökonomen: Corona-Hilfen reichen nicht

 

Foto: Christian Daum/pixelio.de

Eine Gruppe von prominenten Wirtschaftswissenschaftlern unterstützt das Paket der Koalition mit Hilfen für die Wirtschaft in der Corona-Krise. Gleichzeitig jedoch fordern sie die Regierung auf, mehr zu tun. Es seien bereits jetzt weitergehende Schritte erforderlich, heißt es in einem 15seitigen Papier, das sieben Volkswirte heute (11.03.2020) veröffentlicht haben.

„Wenn erforderlich, muss zur Behebung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise von der Schwarzen Null im Staatshaushalt abgewichen werden, und es sind die Spielräume zu nutzen, die die Schuldenbremse bietet“, schreiben die Autoren. Verfasst haben die Studie der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger, der Wissenschaftliche Direktor des IMK Sebastian Dullien, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Gabriel Felbermayr, ifo-Präsident Clemens Fuest, IW-Direktor Michael Hüther, der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Jens Südekum und die Präsidentin des Center for European Policy Research (CEPR), Beatrice Weder di Mauro.

Ausdrücklich loben die Ökonomen die vom Koalitionsausschuss beschlossenen Maßnahmen zur Erleichterung beim Zugang zu Kurzarbeitergeld und damit verbundene Erstattungen der Sozialbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit. Diese Maßnahmen unterstützten die Unternehmen, Beschäftigte zu halten und begrenzten damit schädliche indirekte Wirkungen auf den Konsum. Gelänge es, Unternehmenspleiten und Entlassungen so zu verhindern, sei die Chance gut, dass sich die Konjunktur nach Abflauen der Infektionswelle schnell wieder fange und ausgefallene Produktion nachgeholt werde.

Dafür müsse allerdings alles getan werden, um Liquiditätsengpässe bei Unternehmen zu vermeiden, die entweder Umsatzeinbrüche erleiden oder durch fehlende Teile Produktionsunterbrechungen hinnehmen müssen. Geeignete Instrumente dafür seien die generelle zinsfreie Stundung von Voraus- und Nachzahlungen bei Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer. Außerdem empfehlen die Ökonomen verbesserte Abschreibungsbedingungen, die großzügige Gewährung des Investitionsabzugs und eine großzügigere Gestaltung des steuerlichen Verlustrücktrags.

Auch das Vorziehen der Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags auf den 1. Juli wäre allein aus psychologischen Gründen zu begrüßen, schreiben die Autoren. Sie erhöhe unmittelbar die verfügbaren Einkommen weiter Teile der Bevölkerung. Dies könne zu relativ geringen Kosten das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik und in eine rasche wirtschaftliche Belebung nach dem Abflauen der Krise stärken. Continue reading „Ökonomen: Corona-Hilfen reichen nicht“

Corona: Angst essen Wohlstand auf

Foto: Angela Parszyk / pixelio.de

 

 

 

„Angst essen Seele auf“ heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder – Angst essen Wohlstand auf, könnte man in den Zeiten des Coronavius hinzufügen. Denn was richtet mehr Schaden an – ein Virus, das bald gestoppt wird, oder die Angst davor?

 

Lieferketten in der Industrie stocken, Messen werden abgesagt, Fluggesellschaften und Reiseveranstalter befürchten große Einbußen. Die Angst vor Ansteckung beeinträchtigt das Arbeitsleben. Erste Unternehmen sind gezwungen, ihre Produktionen vorübergehend zu reduzieren oder ganz herunterzufahren. Wenn Betriebe ihre Güter nicht weiter produzieren, stört dies die internationalen Wertschöpfungsketten.

Ein solcher Angebotsschock kann einen Dominoeffekt zur Folge haben: Wenn Zulieferungen aus China fehlen, fallen auch die aus anderen Ländern und schließlich von inländischen Firmen aus. Außerdem ist China für deutsche Unternehmen ein wichtiger Kunde. Nachfrageausfälle in China und anderen betroffenen Ländern belasten die Bilanzen deutscher Firmen. Leidtragend ist somit die gesamte Weltwirtschaft, die laut OECD in diesem Jahr um 0,5 Prozentpunkte weniger wachsen wird – wenn es gut ausgeht. Wenn nicht, könnte sich das globale Wachstum auf 1,5 Prozent halbieren, warnen Experten.

Während die einen dabei sind, Nudeln, Toilettenpapier und Desinfektionsmittel zu horten, denken andere darüber nach, was schlimmer ist: Das Coronavirus oder die Angst davor. „Angst vor Corona ist wie Angst vor Terrorismus“, zitiert das Handelsblatt den israelischen Verhaltensforscher  Dan Ariely. „Wir müssen die Verbindung zur Realität behalten. Die Gefahr ist in unserer Vorstellung viel größer, als die Zahlen aktuell vermuten lassen. 2017 sind zum Beispiel 2,5 Millionen Menschen weltweit an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Das ist rational betrachtet ein viel größeres Problem.“ Continue reading „Corona: Angst essen Wohlstand auf“

Schrecken an der Börse

Bulle und Bär vor der Börse in Frankfurt (Foto: Cornerstone / pixelio.de)

Deutschland bleibt ein Land der Aktienmuffel. Nachdem die Zahl der Aktienbesitzer zwei aufeinanderfolgende Jahre gestiegen ist, hat das Deutsche Aktieninstitut 2019 wieder sinkende Anlegerzahlen registriert.  

 

 

 

Für Anleger war die vergangene Woche die schwärzeste seit Beginn der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008. Der Kursrutsch an den Börsen ist eine Hypothek für die ohnehin fragile Aktienkultur in Deutschland. Denn nicht einmal im vergangenen Jahr, als die Börsen boomten, zog es die Deutschen in Scharen an die Aktienmärkte – im Gegenteil: Die Zahl der Aktionäre ist wieder gesunken, schreibt das Deutsche Aktieninstitut (DAI) in einer heute (28.02.2020) veröffentlichten Studie.

Insgesamt besaßen 2019 rund 9,7 Millionen Menschen Anteilsscheine von Unternehmen oder Aktienfonds. Das entspricht 15,2 Prozent der Bevölkerung oder knapp jedem siebten Bundesbürger ab 14 Jahren. 2018 legten dagegen noch 10,3 Millionen Menschen Geld am Aktienmarkt an. Im Vergleich zum Vorjahr kehrten damit knapp 660.000 Menschen der Börse den Rücken – obwohl  der Deutsche Aktienindex (DAX) im vergangenen Jahr um fast 26 Prozent gestiegen ist.

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Die Rentenlücke wird größer

Foto: uschi dreiucker / pixelio.de

Wer in Rente geht, hat heutzutage gemischte Gefühle. Einerseits die Erleichterung: Es ist geschafft. Andererseits die Frage: Kann ich meinen Lebensstandard halten? Ökonomen sagen: Viele Neurentner müssen den Gürtel enger schnallen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist in einer Studie der Frage nachgegangen, inwieweit die drei Säulen der Alterssicherung bestehend aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge ausreichen, den Konsum der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen zu decken, wenn diese jetzt in den Ruhestand gingen. Dazu wurden Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) von 2012 zu Rentenanwartschaften, Vermögen und Konsum der Geburtsjahrgänge 1948 bis 1957 ausgewertet.

Die Forscher kamen zu dem Ergebnis: Rund die Hälfte der heute 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen wird als Rentner ihren aktuellen Lebensstandard nicht halten können. Und dabei haben die Forscher um den DIW-Rentenexperten Markus Grabka noch nicht einmal pessimistische Annahmen über das Ende eines Berufslebens getroffen: Sie gingen bei ihren Berechnungen davon aus, dass die Arbeitnehmer bis zum derzeit durchschnittlichen Rentenzugangsalter von 64 Jahren arbeiten und ihre letzte berufliche Position beibehalten

Das Studienergebnis dürfte den Befürchtungen der meisten Menschen entsprechen: Im Alter wird das Geld knapp werden – außer für Beamtinnen und Beamte, die gut dotierte Pensionen beziehen. Bekanntermaßen sinkt seit etwa zwei Jahrzehnten das Rentenniveau, das das Verhältnis der Rentenbezüge zu den Löhnen wiedergibt.

DIW-Forscher Grabka schreibt in der Studie: „Die Hälfte der Menschen, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, werden ihren gewohnten Konsum nicht decken können“. Dafür reiche die Rente nicht. Wer als Neurentner seinen Konsum nicht einschränke, müsse nach seinen Berechnungen pro Monat Schulden in Höhe von 540 bis 740 Euro machen.

Quelle: DIW Berlin

58 Prozent der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen könnten ihren Konsum nicht aus Anwartschaften aus der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge oder Beamtenpensionen decken, wenn sie jetzt in den Ruhestand gingen, heißt es in der Studie. Sie hätten im Schnitt eine potentielle Versorgungslücke von monatlich rund 700 Euro. Private Versicherungen wie die Riester- und Rürup-Rente würden den Anteil der 55- bis 64-Jährigen mit einer potentiellen Versorgungslücke lediglich um zwei Prozentpunkte senken. Auch wenn sie zusätzlich ihr privates Vermögen einsetzten, könnten gut 40 Prozent ihren aktuellen Konsum nicht decken. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der DIW-Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde. Continue reading „Die Rentenlücke wird größer“

IW: Zahl der prekären Jobs gesunken

Blauhelme (Foto: Rolf Wenkel)

Deutsche Unternehmen stehen im Verdacht, durch mehr Befristungen, Zeitarbeit oder Werkverträge ihre Kernbelegschaften abzubauen. Eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln stellt diese These in Frage. Sie sagt, das Gegenteil sei der Fall: Zwischen 2012 und 2017 sei die Zahl der flexiblen Arbeitsverhältnisse sogar gesunken, obwohl immer mehr Menschen einen Job haben.

Befristungen gehören zu den sogenannten atypischen Erwerbsformen. Dazu zählen auch Zeitarbeits- und Werkverträge, die genau wie befristete Verträge immer wieder in der Kritik stehen. Das IW hält den Ärger über die flexiblen Modelle unbegründet: Nur rund neun Prozent der Betriebe haben die atypische Beschäftigung erhöht, ohne auch die unbefristeten Stellen auszuweiten. Dafür haben knapp 36 Prozent der Unternehmen mehr normale und keine weiteren flexiblen Verträge abgeschlossen.

Die Zahlen stammen aus dem so genannten IAB-Betriebspanel. Das ist eine jährliche Wiederholungsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei stets denselben Betrieben in Deutschland. Das Panel startete zuerst im Jahr 1993 in Westdeutschland und wurde 1996 auch auf die neuen Bundesländer ausgeweitet. Befragt werden Betriebe in allen Branchen und aller Größen mit mindestens einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Das IAB sitzt in Nürnberg und ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.

Die Zahlen dieses Panels ergeben ein eindeutiges Bild: Zwischen 2012 und 2017 haben rund 42 Prozent aller deutschen Betriebe mehr unbefristete Arbeitnehmer eingestellt. Dagegen haben nur elf Prozent die befristete Beschäftigung ausgeweitet. Die weit verbreitete Überzeugung, dass unbefristete Arbeitnehmer nach und nach durch befristete ausgetauscht werden, ist also nicht erkennbar. Der Trend geht sogar in die entgegengesetzte Richtung, wie ein Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt: Im gleichen Zeitraum sank die Anzahl befristeter Beschäftigungen von 2,64 auf 2,55 Millionen.

Holger Schäfer, Autor der IW-Studie, glaubt auch nicht, dass Unternehmen aus Kostengründen flexible Arbeitsverhältnisse bevorzugen. „Vielmehr geht es den Arbeitgebern um Unsicherheit: Die Auswertung hat ergeben, dass Betriebe gerade dann mehr Befristungen eingehen, wenn die wirtschaftliche Zukunft sehr ungewiss ist.“ Die wirtschaftliche Entwicklung sei bis 2017 sehr stabil verlaufen. Deswegen hätten sie in dieser Zeit auch mehr unbefristete Mitarbeiter gesucht. „Dass Betriebe ihre Mitarbeiter willkürlich befristen, ist ein Mythos“, sagt Schäfer. „Vielmehr gibt es dafür gute Gründe, etwa wirtschaftliche Unsicherheit.“ Eine stärkere Regulierung, wie es die Bundesregierung derzeit bei Befristungen plant, würde den Betrieben und dadurch auch den Arbeitnehmern eher schaden, sagt Schäfer.

Die ganze Studie kann man hier nachlesen.

 

Fünf Millionen Jobs in Europa

Foto: Fritz Zühlke / pixelio.de

Die bösen deutschen Exporte machen angeblich Deutschland reich und die anderen Länder arm. Auch wenn dieses Narrativ ständig wiederholt wird, bleibt es ein Märchen: Von einer starken deutschen Industrie gehen keine Nachteile für die EU-Partnerstaaten aus, sagt eine Studie aus der Schweiz. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Aufgrund der intensiven Handelsverflechtungen der EU-Staaten untereinander profitieren die europäischen Handelspartner von einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Fünf Millionen Jobs in Europa hängen von der deutschen Nachfrage nach Gütern und Vorleistungen ab.

Die hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands der vergangenen Jahre stehen international in der Kritik. Donald Trump sieht sie als Ergebnis unfairer Handelspraktiken und denkt ab und zu laut über Strafzölle nach. Auch der Internationale Währungsfonds deutet an, dass Deutschland eine Mitschuld an den wachsenden Handelskonflikten trägt und empfiehlt regelmäßig höhere Staatsausgaben und kräftige Lohnsteigerungen. Die deutschen Überschüsse übersteigen auch deutlich die Zielvorgaben der Europäischen Union. Rund 7,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung hat Deutschland im vergangenen Jahr exportiert, die EU-Kommission hält höchstens sechs Prozent langfristig für angemessen. Im Rahmen des Makroökonomischen Überwachungsverfahrens könnte die Kommission ein Korrekturverfahren einleiten, an dessen Ende möglicherweise Strafzahlungen stehen, auch wenn die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heißt.

Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft – so wird behauptet – gingen zu Lasten anderer Staaten, insbesondere unserer EU-Partner. Die Kritik geht teilweise so weit, dass gefordert wird, Deutschland solle seine Wettbewerbsfähigkeit zu Gunsten seiner europäischen Partner gezielt schwächen. „Eine solche Argumentation ist absurd“, schimpft Bertram Bossard, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft vbw. Sein Verband hat das schweizer Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos AG beauftragt, einmal auszurechnen, ob und wie unsere Nachbarn vom deutschen Exportboom profitieren. Denn für fast alle EU-Länder ist Deutschland der wichtigste oder zweitwichtigste Exportmarkt. Die Nachfrage aus Deutschland sorgt für Wertschöpfung und Beschäftigung in ganz Europa, wie die Studie zeigt: Fünf Millionen Arbeitsplätze in den anderen EU-Staaten hängen unmittelbar an der Güternachfrage aus Deutschland.

Allein die Nachfrage der deutschen Industrie nach Vorleistungs- und Investitionsgütern sichert 3,3 Millionen Jobs bei unseren europäischen Partnern, heißt es in der Prognos-Studie, die 2019 erstellt wurde und sich auf Daten von 2017 bezieht. Szenario-Rechnungen zeigen, dass eine wirtschaftliche Stagnation Deutschlands ebenso wie eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auch den anderen europäischen Volkswirtschaften schaden würde. Es wäre also fatal, sich von unserem Erfolgsmodell der Internationalisierung abzukehren. Dies wäre nicht nur zum Schaden der deutschen, sondern der gesamten europäischen Wirtschaft. Continue reading „Fünf Millionen Jobs in Europa“

Deutschlands Überschuss wieder gestiegen

Foto: Ingo Fürchtenbusch / pixelio.de

Deutschlands Überschuss in der Leistungsbilanz ist im vergangenen Jahr wieder gestiegen und bleibt der weltweit größte. „Wir rechnen mit 293 Milliarden Dollar oder 262 Milliarden Euro, was 7,6 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung entspricht. 2018 waren es nur 7,3 Prozent“, schreibt Christian Grimme, Konjunkturexperte am ifo Institut im Ifo-Schnelldienst 2/2020. Die Europäische Union hält höchstens sechs Prozent für langfristig tragfähig.

„Die Rezession in der deutschen Industrie dürfte ein wichtiger Faktor sein, denn dadurch sind die Importe von Waren langsamer gestiegen“, sagt Grimme. Aber auch die so genannten Primäreinkommen, hinter denen vor allem die Erträge aus im Ausland angelegtem Vermögen stehen, haben 2019 weiter zugelegt. Die durch Primäreinkommen erzielten Überschüsse machen inzwischen 37 Prozent des Leistungsbilanzüberschusses aus. So werden hohe Nettoeinnahmen aus ausländischen Direktinvestitionen und Wertpapieranlagen erzielt. Dabei ist sich die Wissenschaft noch uneinig, wie rentabel die deutschen Investitionen im Ausland angelegt sind.

Deutschland dürfte also im Jahr 2019 wieder das Land mit dem größten Leistungsbilanzüberschuss gewesen sein, wie schon in den drei Jahren zuvor. Der deutsche Wert liegt weit vor Japan, das einen Überschuss von 194 Milliarden US-Dollar (3,8 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung) aufweisen dürfte. Auf Rang drei folgt China mit rund 183 Milliarden US-Dollar (1,3 Prozent). Dagegen dürften die USA weltweit wieder das größte Leistungsbilanzdefizit verzeichnen mit etwa 490 Milliarden US-Dollar, was aber nur 2,3 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung entspricht. Dahinter folgen das Vereinigte Königreich mit einem Defizit von 117 Milliarden US-Dollar (4,2 Prozent) und Brasilien mit 51 Milliarden US-Dollar (2,9 Prozent).

„Der Handelskonflikt zwischen den USA und China hat seine Spuren im internationalen Handel hinterlassen. Die Auswirkungen auf die Leistungsbilanzsalden fallen aber bisher insgesamt noch eher gering aus“, schreibt Ifo-Forscher Christian Grimme, wohl auch, weil die Handelszölle sowohl die Ausfuhr- als auch die Einfuhrseite belasten. Handelsverschiebungen infolge des Konflikts seien großflächig noch nicht zu beobachten, da Firmen Zeit brauchten, sich auf das neue handelspolitische Umfeld und die damit verbundenen Unsicherheiten einzustellen.

Für das laufende Jahr sehen die Aussichten für den internationalen Handel nicht rosig aus, glaubt Ifo-Forscher Grimme. Zwar wurde Anfang dieses Jahres ein erstes Handelsabkommen zwischen den USA und China abgeschlossen, allerdings wird ein Großteil der Zölle weiter in Kraft bleiben. Auch bleibt weiter ungewiss, ob es zu US-Zöllen auf europäische Kraftfahrzeuge und andere Güter kommen wird.

Zum Schluss geht Ifo-Forscher Christian Grimme auf die bilateralen Leistungsbilanzsalden ein, die besonders die US-Regierung gerne ins Feld führt, um über die Ungerechtigkeit der Welt zu lamentieren. Genau diesen Disput will Grimme nämlich nicht weiter befeuern. „Die vorliegende Studie beschäftigt sich bewusst nicht mit bilateralen Salden, da aktuelle Forschungsarbeiten Zweifel daran aufkommen lassen, wie verlässlich die außenwirtschaftlichen Datengrundlagen sind.“

So zeige eine Studie mit dem Titel „What do we really know about the Transatlantic Current Account?“  von Ifo-Forscher Martin Braml und Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, dass für jedes Jahr der gesamten letzten Dekade unklar ist, ob die EU einen bilateralen Leistungsbilanzüberschuss oder ein -defizit gegenüber den USA aufweist. Beim bilateralen Leistungsbilanzsaldo liegen europäische und amerikanische Statistiken um bis zu 180 Milliarden US-Dollar auseinander. Auch die EU weist für 2018 laut dem EU-Statistikamt Eurostat in Luxemburg einen Handelsüberschuss mit sich selbst in Höhe von 307 Millirden Euro oder knapp zwei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung aus – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.