Wirtschaft warnt vor AfD

Edeka-Anzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Vor den Landtagswahlen am kommenden Sonntag haben zahlreiche Unternehmen und Wirtschaftsverbände vor der rechtspopulistischen AfD gewarnt.  So hat sich der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, in einem dringenden, aber leider wenig beachteten Appell an die Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen gewendet, sich für „Offenheit und Toleranz“ und gegen die AfD zu entscheiden. Denn in seinen Augen ist jede Stimme für die rechtsradikalen Populisten „Gift für unsere Wirtschaft“.

Sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Löhne: Eigentlich hätten sich Sachsen, Thüringen und Brandenburg im vergangenen Jahrzehnt prächtig entwickelt, besser als der Bundesschnitt, schreibt Hüther. Für die amtierenden Regierungsparteien könnten das gute Nachrichten sein, doch eine aktuelle IW-Befragung zeige: Die Menschen im Osten nehmen diese positive Entwicklung nicht wahr. Jeder fünfte Befragte glaubt sogar, in einer abgehängten Region zu leben.

Populisten machten sich diesen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit zunutze. Das sei gefährlich, so Hüther. Denn auch bei der Frage, was der Osten für die Zukunft brauche, ignorierten die Populisten die Fakten: So wehren sich die AfD und ihre Anhänger hartnäckig gegen den Ausbau erneuerbarer Energien. Dabei werde der Erfolg der Energiewende im Osten mit entschieden, schon heute stehe mehr als jedes dritte Windrad im Osten und sorge so für günstige Energie.

Auch gegen Zuwanderer mache die Partei Stimmung, obwohl die ostdeutsche Wirtschaft stark auf sie angewiesen sei: 2023 lag der Anteil ausländischer Beschäftigter an der Bruttowertschöpfung in den ostdeutschen Bundesländern bei 5,8 Prozent, das sind rund 24,6 Milliarden Euro, wie neue Berechnungen zeigen. Anders ausgedrückt: Die AfD schürt die Angst vor Migranten, ohne die im entvölkerten Osten schon heute nichts mehr laufen würde. 

Sorgen wegen möglicher Regierungsbeteiligungen der AfD in Landesregierungen machen sich auch die deutschen Familienunternehmen. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ und Chefin des Lebensmittelgroßhandels Rullko in Hamm, sagte am Donnerstag dem WDR: „Wir sprechen uns in Land und Bund deutlich gegen eine Wahl der AfD aus. Die AfD ist eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ Die rassistischen Äußerungen des AfD-Personals seien „ein massives Hemmnis für die Fachkräfteeinwanderung“, so Ostermann weiter.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hatte sich in dieser Woche ebenfalls öffentlich zu Wort gemeldet. Präsident Alexander von Preen rief zur Wahl demokratischer Parteien auf. „Ich kann nur alle Akteure davor warnen, die gesellschaftlichen Spielregeln in Richtung Ausgrenzung und Hass zu verschieben. Das führt Gesellschaft und Wirtschaft nicht in eine positive Zukunft, sondern in eine Sackgasse„, sagte er.

Im Einzelhandel sind laut HDE zurzeit etwa 120.000 Stellen unbesetzt. „Woher sollen die Menschen denn alle kommen, wenn Politiker an das Ruder gelangen, die auf Ausgrenzung und Abschottung setzen?„, so von Preen. Er bezeichnete die AfD als gefährlich und verantwortungslos: „Mit Björn Höcke hat sich eine der Führungsfiguren der AfD zum wiederholten Male selbst demaskiert, als er den Familienunternehmen, die öffentlich eine Aktion für Vielfalt in Gesellschaft und Wirtschaft unterstützen, die Insolvenz wünschte.

Erst vor wenigen Tagen haben mehr als 40 deutschen Unternehmen die Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ ins Leben gerufen. . Beteiligt sind unter anderem die Drogeriekette Rossmann, der Motorsägen- und Gartengerätehersteller Stihl und der Audiospezialist Sennheiser. Auch zahlreiche Unternehmen aus NRW machen mit – hier eine Auswahl:

  • Nahrungsmittel-Gruppe Dr. Oetker in Bielefeld
  • Haushaltsgerätehersteller Vorwerk in Wuppertal
  • Hygienepapier-Hersteller Wepa in Arnsberg-Müschede
  • Messtechnik-Unternehmen Krohne in Duisburg
  • Lebensmittelkonzern Pfeifer & Langen in Köln
  • Metallverarbeiter Otto Fuchs in Meinerzhagen
  • Logistikunternehmen Fiege in Greven
  • Haushaltsgerätehersteller Miele in Gütersloh

„Bei Fiege arbeiten 22.000 Menschen aus 123 Ländern. Das heißt, mehr als die Hälfte unserer Kolleginnen und Kollegen kommen nicht aus Deutschland. Da ist es unsere Pflicht, uns für demokratische Werte, Vielfalt und Toleranz einzusetzen“, sagte Vorstandsmitglied Martin Rademaker im WDR.

Mir geht es ähnlich: Ich habe bei der Deutschen Welle gearbeitet, ein Unternehmen, das Nachrichten und Informationen aus Deutschland in rund 30 Sprachen in die Welt transportiert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 60 verschiedenen Nationen arbeiten an dieser Aufgabe mit viel Herzblut und Engagement. Und es fällt uns immer schwerer, ihnen zu erklären zu versuchen, weshalb sich die Wählerinnen und Wähler in den ostdeutschen Flächenländern so pessimistisch, so  verschlossen und verstockt verhalten  – und vor allem, mit welcher Ignoranz sie objektive Fakten negieren.

 

 

 

 

 

Reich und schmutzig – Arm und rein?

Quelle: DIW Berlin

Bestimmt hat sich jeder schon mal gefragt, warum CO2-Emissionen in Kilogramm und Tonnen gemessen werden – mit der Waage jedenfalls nicht. Aber man kennt die Ausgangsgrößen und weiß, dass Masse nicht verschwindet. Das heißt: Wenn man ein Stück Holz verbrennt, hat man als Ausgangsmaterialien die Masse vom Holz und die Masse des Sauerstoffs. Das zusammen entspricht am Ende der Summe aus der Masse der Verbrennungs- Rückstände Asche und der Abgase, darunter unser CO2. Masse ist also immer da und die Wissenschaftler wissen auch, was ein Atom eines Stoffes wiegt. Der Rest ist ein bisschen Rechnerei.

In der Naturwissenschaft verwendet man Mol als Mengenangabe. Hinter Mol steckt eine Anzahl von Atomen eines Stoffes und jedes Atom hat eben ein Gewicht. Ein Mol Kohlenstoff wiegt zwölf Gramm, dazu kommt bei der Verbrennung zweimal Sauerstoff (es heißt ja CO2), das wären zwei mal 16 Gramm. Mit anderen Worten: Wer zwölf Gramm Kohlenstoff verbrennt, produziert 44 Gramm CO2. Da wir auch die chemische Zusammensetzung von Erdgas, Schweröl, Benzin oder Diesel kennen, lässt sich ganz leicht ausrechnen, welche Mengen CO2 bei der Verbrennung jeweils freiwerden.

Da liegt es nahe, aus dem Konsumverhalten der Menschen auf ihre Treibhausgasemissionen zu schließen – und genau das haben die Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gemacht. Ergebnis: Jeder in Deutschland lebende Mensch verursacht mit 6,5 Tonnen im Schnitt jährlich mehr als doppelt so viel Treibhausgasemissionen, wie nach Berechnungen von Klimaexperten mit bis zu drei Tonnen als klimaverträglich eingestuft wird. Menschen aus den einkommensstärksten Haushalten haben dabei mit mehr als zehn Tonnen durchschnittlich einen doppelt so großen CO2-Fußabdruck wie Menschen aus Niedrigeinkommenshaushalten (5,6 Tonnen pro Kopf).

Der größte Treiber des Unterschieds sind Flugreisen. Das sind die Hauptergebnisse einer aktuellen Studie des DIW. Die DIW- Forscherinnen Sandra Bohmann und Merve Kücük haben dafür auf Basis von Vorabdaten aus dem Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP) aus dem Jahr 2023 nicht nur den CO2-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland in den Bereichen Wohnen, Ernährung und Mobilität berechnet, sondern auch die Verteilung der Emissionen nach dem Einkommen der Haushalte betrachtet.

Ob arm oder reich: Unser CO2-Fußabdruck ist auf jeden Fall zu groß. Die Höhe des Haushaltseinkommens spielt für die Emissionen im Bereich Ernährung oder Wohnen kaum eine Rolle – beim Mobilitätsverhalten dagegen schon“, fasst Studienautorin Merve Kücük aus der Abteilung Klimapolitik des DIW Berlin die Ergebnisse zusammen. In der Regel verursachen Menschen mit hohen Haushaltseinkommen beim Wohnen sogar etwas weniger Emissionen als Menschen mit niedrigen Einkommen, weil sie beispielsweise häufiger in energieeffizienteren Gebäuden leben.

Während das Mobilitätsverhalten mit durchschnittlich zwei Tonnen Kohlendioxid pro Kopf zu Buche schlägt, fallen für das Wohnen, also Strom, Heizen und Warmwasser, rund 2,9 Tonnen CO2 jährlich an. Die Anzahl der Personen im Haushalt macht dabei einen großen Unterschied: Während ein Vierpersonenhaushalt pro Kopf nur 1,7 Tonnen CO2 verursacht, sind es in einem Einpersonenhaushalt mehr als vier Tonnen. Auch die Wohnfläche macht einen Unterschied. Jeder Quadratmeter Wohnfläche, der pro Person mehr zur Verfügung steht, bedeutet 22 Kilogramm mehr Emissionen pro Kopf.

Bei der Ernährung ist vor allem der Fleischkonsum entscheidend. Wer kein Fleisch isst, verursacht in diesem Bereich nur 1,2 Tonnen pro Kopf und Jahr an Treibhausgasemissionen, während es bei mäßigem bis hohem Fleischkonsum zwischen 1,6 und 2,1 Tonnen sind. Weder beim Wohnen noch bei der Ernährung lassen sich Unterschiede bei den durchschnittlichen Emissionen nach dem Einkommen beobachten.

Anders sieht es bei der Mobilität aus. „Insbesondere das Fliegen vergrößert den CO2-Fußabdruck und ist einer der Hauptgründe, warum Menschen aus Haushalten mit höheren Einkommen einen doppelt so großen Fußabdruck haben wie diejenigen mit niedrigem Einkommen“, fasst SOEP-Studienautorin Sandra Bohmann zusammen. „Eine einzige Langstreckenflugreise führt zu mehr Emissionen pro Kopf als Wohnen und Ernährung in einem ganzen Jahr zusammen.“

Das Bestreben, nachhaltiger zu konsumieren, birgt aber auch Fallstricke, so das Ergebnis der zweiten Studie. Einkommensschwache Haushalte können sich umweltfreundlichen Konsum oft nicht leisten. Das Gefühl von Einkommensungleichheit wird durch das Bedürfnis nach nachhaltigen, aber teureren Produkten verstärkt. Der Staat steht also vor einem Dilemma: Er will einerseits klimagerechtes Verhalten fördern, andererseits damit verbundene größere Unterschiede zwischen armen und reichen Haushalten aber abmildern.

Grafik: DIW Berlin

 

Deutschland: Bald kaputt, aber schuldenfrei

Die Kritiker der Schuldenbremse erhalten Unterstützung von unerwarteter Seite. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) schlägt neuerdings vor, die im Grundgesetz verankerte Regel zu überarbeiten.

 

„Ziel der Schuldenbremse ist es, die Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen zu sichern. In ihrer aktuellen Ausgestaltung ist die Schuldenbremse allerdings starrer, als es für die Aufrechterhaltung der (Schulden-)Tragfähigkeit in Deutschland notwendig wäre“, heißt es in einem zwölfseitigen so genannten Policy Brief der so genannten Wirtschaftsweisen. „Vor dem Hintergrund der Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung der Schuldenbremse und der daraus resultierenden stärkeren fiskalpolitischen Einschränkungen im Anschluss an eine Notlage sollte eine Reform der Schuldenbremse in Betracht gezogen werden“, schlagen die Wirtschaftsprofessorinnen und -professoren Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer, Achim Truger und Martin Werding vor.

„Die Schuldenbremse, wie sie jetzt ist, ist zu starr“, sagt die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, die Münchener Ökonomin Monika Schnitzer. „Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, sodass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen.“ Die Schuldenbremse schreibt vor, dass die Länder in wirtschaftlich normalen Jahren ohne neue Kredite auskommen müssen, und dem Bund wird ein eine Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung zugestanden.

Unter Ökonomen ist man sich weitgehend einig: Diese Regelung ist viel zu unflexibel. Sie verhindert die Aufnahme dringend benötigter Kredite, um den klimagerechten Umbau des Landes, die Digitalisierung und die Instandhaltung der Infrastruktur nachhaltig anzugehen. Vor allem die SPD-Bundestagsfraktion dringt deshalb auf eine grundlegende Reform. Dass sie nun zumindest im Prinzip Rückendeckung vom Sachverständigenrat erhält, war angesichts früherer Stellungnahmen des Expertengremiums so nicht zu erwarten. „Allerdings verändert sich auch die Besetzung des Rats immer wieder“, heißt es in der Süddeutschen Zeitung.

„Eine pragmatische Reform könnte (…) die Flexibilität der Fiskalpolitik erhöhen, ohne die Stabilität zu gefährden“, schreiben die Wirtschaftsweisen in ihrem Policy Brief. Erstens sollte eine Übergangsphase in den Jahren unmittelbar nach einer Anwendung der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse eingeführt werden. In dieser Phase dürfte die zulässige Neuverschuldung weiterhin über der normalen Regelgrenze liegen, müsste aber stetig reduziert werden.

Unmittelbar nach Ende des Jahres, für das eine Notlage festgestellt wurde, gelten nämlich wieder die alten Regelgrenzen, wenn nicht erneut die Notlage ausgerufen werden kann. Dies ist jedoch nur möglich, wenn es weiterhin eine erhebliche Belastung des Bundeshaushalts durch die Krisensituation gibt. „Krisen haben jedoch oft auch dann noch spürbare Auswirkungen, wenn ihre primäre Ursache bereits überwunden ist. Der zur Einhaltung der Schuldenbremse notwendige Konsolidierungsbedarf könnte für eine noch schwächelnde Wirtschaft unnötig starke, negative Impulse setzen“, zitieren sich die Wirtschaftsweisen selbst aus ihrem Jahresgutachten von 2021. Zudem bestünde ein wichtiges Instrument der Krisenbekämpfung darin, Erwartungen zu stabilisieren und wirtschaftlichen Akteuren Planungssicherheit zu geben. „Dazu können auch nach dem unmittelbaren makroökonomischen Schock fiskalische Spielräume nötig sein“, argumentieren die Fünf Weisen.

Als zweites schlagen die Sachverständigen vor, die starre Bremsregel von 0,35 Prozent des BIP flexibler zu gestalten – und zwar nicht willkürlich, sondern immer in Relation zum Gesamtschuldenstand. „Die Regelgrenze könnte so ausgestaltet werden, dass bei geringerer Schuldenstandsquote höhere strukturelle Defizite als bisher, bei höherer Schuldenstandsquote weiterhin nur die bisherigen Defizite zulässig sind“. So sollte der Bund die Regelgrenze anheben dürfen, wenn die Staatsschuldenquote insgesamt vergleichsweise niedrig ist. Machen die Gesamtverbindlichkeiten gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) weniger als 60 Prozent aus, soll die Neuverschuldungsgrenze statt bei 0,35 bei einem Prozent des BIP liegen dürfen. Bei Quoten zwischen 60 und 90 Prozent wären 0,5 Prozent erlaubt.

Laut Statistischem Bundesamt lag die Gesamtverschuldung im vergangenen Jahr bei 64,4 Prozent des BIP. Damit wäre – übrigens auch nach EU-konformen Regeln – eine Nettoneuverschuldung von einem Prozent des BIP möglich, als fast eine Verdreifachung des möglichen Spielraums für kreditfinanzierte Investitionen. Kommentar eines Lesers der Süddeutschen Zeitung: „Na – das war jetzt aber mal eine schwere Geburt, die Einsicht, dass es keinen Sinn macht, den Kindern einen schuldenfreien Haushalt aber ein kaputtes Land zu hinterlassen.“

 

Schuldenbremse: Zu scharf gebremst

Foto: Rolf Wenkel, gesehen in Boulogne sur Mer in Nordfrankreich.

Seit gestern (15.01.2024) ist es amtlich: Die deutsche Wirtschaft ist im vergangenen Jahr nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes geschrumpft, um 0,3 Prozent. Europas größte Volkswirtschaft ist in die Rezession gerutscht. Kein Wunder, könnte man sagen, was ist auch anderes zu erwarten angesichts von Krisen, Kriegen, Inflation und steigenden Zinsen? Schließlich sind das externe Einflüsse, für die doch niemand etwas kann, oder?

Komisch nur, dass die anderen großen Volkswirtschaften in der Europäischen Union dies besser weggesteckt haben und leicht gewachsen sind. Hier zeigt sich, dass die exportorientierte Wirtschaft in Deutschland besonders leidet, wenn die Weltwirtschaft schwächelt. Putins Überfall auf die Ukraine hat eine Explosion der Energiepreise verursacht, die besonders die Industrieproduktion getroffen hat – die in Deutschland weit mehr zum BIP beiträgt als in anderen Ländern Europas. Im November ist sie den sechsten Monat in Folge geschrumpft.

Putins Überfall hat zudem eine allgemeine Preisexplosion verursacht, der die Europäische Zentralbank und weltweit viele andere Zentralbanken zum Handeln gezwungen hat, um mit steigenden Leitzinsen die Inflation einzudämmen. Das ist zwar gelungen, die Inflation klingt langsam ab, aber hohe Zinsen sind ein zweischneidiges Schwert, sie würgen auch die Konjunktur ab, sie verteuern die Investitionen, lassen die Unternehmen weltweit zögern, in Deutschland neue Maschinen zu bestellen. Die Ausfuhrbilanz der deutschen Wirtschaft ist denn auch in den ersten elf Monaten nach vorläufigen Berechnungen gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum geschrumpft – und zwar um satte elf Prozent.

Hinzu kommen aber auch hausgemachte Probleme. 2022 ist die deutsche Wirtschaft trotz Ukraine-Krise noch um 1,8 Prozent gewachsen, dieses Jahr wird sie wohl eher weiter schrumpfen. Denn der Regierung fällt nach dem Karlsruher Haushaltsurteil nichts Besseres ein als einen harten Sparkurs zu fahren, der die Konjunkturmisere vermutlich noch verschlimmern wird. Ausgaben kürzen, Abgaben erhöhen und an einer falsch konzipierten Schuldenbremse festhalten – das alles verheißt nichts Gutes.

Der Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup hält die Schuldenbremse für eine „finanzpolitische Lebenslüge“ (Handelsblatt, 08.09.2023), DIW-Präsident Marcel Fratzscher schreibt in einer ZEIT ONLINE-Kolumne, die Schuldenbremse sei „nicht mehr zeitgemäß. Sie ist schädlich, weil sie blind ist, wofür der Staat sein Geld ausgibt: ob für Konsum oder für Zukunftsinvestitionen. Dies muss in einer Schuldenregel zwingend berücksichtigt werden. Zweitens begrenzt das Urteil die Fähigkeit von Bundes- und Länderregierungen, über Schulden Investitionen tätigen zu können“. Und für den Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung Alexander Hagelüken ist klar: „Olaf Scholz wird wirtschaftlich wie politisch nur Erfolg haben, wenn er sich nicht mehr von den ökonomisch überholten Spardogmen der FDP dominieren lässt.“ (SZ, 16.01.2024)

Eine Fehlkonstruktion rächt sich

„Schuldenbremse reformieren, Transformation beschleunigen“ – so überschreiben die Forscher des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler Stiftung ihren wirtschaftspolitischen Ausblick auf das Jahr 2004.

Für die Düsseldorfer Forscherinnen und Forscher Sebastian Dullien, Tom Bauermann, Lukas Endres, Alexander Herzog-Stein, Katja Rietzler und Silke Tober ist klar: „Deutschland erlebt derzeit einen immensen Verlust an wirtschaftlichem Wohlstand.“ Auf ein Jahr ohne Wirtschaftswachstum drohe erneut eine leichte Schrumpfung der Wirtschaft, so die IMK-Forscher. Die jährliche Wirtschaftsleistung (das Bruttoinlandsprodukt BIP) könnte damit Ende 2024 noch auf ähnlichem Niveau liegen wie unmittelbar vor dem Ausbruch der Coronakrise. Damit hätte Deutschland seit 2019 fünf Jahre, also ein halbes verlorenes Jahrzehnt erlebt.

Der Verlust an wirtschaftlichem Wohlstand sei dabei immens: Ende 2023 lag die Wirtschaftsleistung etwa um vier Prozent niedriger als von der Bundesregierung noch unmittelbar vor dem russischen Überfall auf die Ukraine vorhergesagt. Trifft die IMK-Prognose für 2024 zu, so wäre die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr sogar rund fünf Prozent niedriger als von der Bundesregierung damals erwartet.

Ursächlich für die maue wirtschaftliche Situation war der durch die russische Invasion 2022 in der Ukraine ausgelöste Energie- und Nahrungsmittelpreisschock, schreiben die IMK-Forscher. Neben der konjunkturellen Belastung stellt der Energiepreisschock allerdings auch eine strukturelle Belastung für die deutsche Wirtschaft dar, heißt es weiter. Deutschland hat sich bekanntlich vorgenommen, bis zum Jahr 2045 CO2-neutral zu werden. Dabei sollte Erdgas beim Dekarbonisierungsprozess die Rolle einer Brückentechnologie spielen. Für eine Übergangszeit hätte man in den neuen, auf Wasserstoff ausgerichteten Anlagen mit Erdgas erzeugten Wasserstoff verwenden können. In anderen Produktionsprozessen wäre die plausible Dekarbonisierungsstrategie eine Umstellung von fossilen Energieträgern auf Strom gewesen.

Der Ukrainekrieg hat diese Strategie massiv erschwert. Erdgas und Strom sind deutlich teurer geworden, was viele industrielle Dekarbonisierungsprojekte gefährdet. Zudem hat der Energiepreisschock gezeigt, wie verletzlich viele Haushalte in Deutschland gegenüber steigenden Energiepreisen sind, und welche Auswirkungen rapide steigende Energiepreise auf die gesamtwirtschaftliche Stabilität haben können.

Dies sehen die IMK-Forscher als besonders wichtig in der Diskussion um die Dekarbonisierung des Gebäude- und Verkehrssektors an. Denn jüngere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass ein Erreichen der CO2-Ziele für den Gebäudesektor in erster Linie über steigende CO2-Preise sehr schnell zu sehr hohen Belastungen für die Haushalte führen könnte, wenn der höhere CO2-Preis nicht durch andere Maßnahmen flankiert wird.

Bis in den November 2023 hinein hätte man vor diesem Hintergrund sagen können, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung – wenn auch mit einigen Abstrichen und einigen handwerklichen Schnitzern in der Umsetzung und Kommunikation wie bei dem Gebäudeenergiegesetz – ökonomisch betrachtet in die richtige Richtung ging. Ein Sondervermögen, also nichts anderes als Kreditermächtigungen, genannt „Klima- und Transformationsfonds“, sollte zur Finanzierung jahresübergreifender Transformationsprojekte wie etwa der Förderung energetischer Gebäudesanierung beitragen. Damit hätte man einerseits eine einigermaßen konjunkturgerechte Finanzpolitik betreiben, zum anderen wichtige Transformationsprojekte zu ermöglichen können.

Doch es kam bekanntlich anders: Das Bundesverfassungsgericht befand, man dürfe Kreditermächtigungen, die zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie gedacht waren, nicht einfach in einen Klima- und Transformationsfonds umwidmen. Darüber hinaus hatte das Urteil auch Folgen für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der nun ebenfalls nicht mehr genutzt werden kann.

Die im November hektisch verhängte Haushaltssperre und die wochenlangen Diskussionen um alle möglichen denkbaren Ausgabenkürzungen haben neben dem direkten negativen Effekt auf die Konjunktur zudem noch zu massiver Verunsicherung geführt. „Die Herausforderung der Wirtschaftspolitik ist nun zweierlei“, schreiben die IMK-Forscher: „Erstens muss verhindert werden, dass sich die Stagnationstendenzen der deutschen Wirtschaft 2024 fortsetzen und verhärten. Zweitens muss die Wirtschaftspolitik mittelfristig einen Rahmen schaffen und Maßnahmen ergreifen, so dass die anstehende Dekarbonisierung unter Erhalt des deutschen Wohlstands sozial abgefedert und politisch akzeptiert gelingen kann.“ Und obendrauf kommt noch, dass die über mehrere Jahrzehnte aufgelaufenen Lücken in der traditionellen Infrastruktur wie Schienen, Wasserwege, Brücken sowie Bildung geschlossen werden müssen, die trotz jahrelanger Debatten immer noch nicht effektiv angegangen worden sind.

Mit anderen Worten: Die deutsche Finanzpolitik steht vor einem riesigen Berg von Herausforderungen. Sie muss die Infrastruktur modernisieren und die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität vorantreiben. Gleichzeitig ist sie seit nunmehr vier Jahren im Dauerkrisenmodus. Die aktuelle Situation führt deshalb nach Ansicht der IMK-Forscher „mehrere Schwächen der Schuldenbremse deutlich vor Augen.“ In den Jahren vor der Corona-Krise spielte sie wegen der guten Konjunktur nie eine Rolle, in den akuten Krisen wurde sie ausgesetzt.

Doch je länger die Krisen und ihre Wirkungen andauern, umso schwieriger und umstrittener wird der Rückgriff auf die Notlagenregelung. „An dieser Stelle weist die Schuldenbremse einen schweren Konstruktionsfehler auf“, schreiben die IMK-Forscher. „Sie erlaubt keinen schrittweisen Übergang zur sogenannten „Normallage“. Solche Übergangsfristen, die auch bei der Einführung der Schuldenbremse galten, ermöglichen einen schrittweisen Abbau bestehender struktureller Defizite und wurden wiederholt von verschiedener Seite vorgeschlagen. Dies wäre auch im Einklang mit den europäischen Regeln. Eine Ergänzung der Schuldenbremse um diese Möglichkeit wäre eine Mindestvoraussetzung für einen konjunkturverträglichen Ausstieg aus dem Krisenmodus“, schreiben die Forscher.

Klima, Infrastruktur, Bildung: Alle drei Bereiche erfordern nach Berechnungen von Forschern Investitionen in der Größenordnung von jeweils mehreren hundert Milliarden Euro in den nächsten Jahren – wohlgemerkt: Investitionen, die allerdings wegen der Schuldenbremse kaum zu finanzieren sind. Dabei kämen die notwendigen Investitionen nicht nur den heutigen Generationen zugute, schreiben die IMK-Forscher. Sie schlagen deshalb vor, investive Ausgaben aus der Schuldenbremse herauszunehmen. Eine solche „goldene Regel“ würde eine Verstetigung öffentlicher Investitionen ermöglichen und gleichzeitig eine Überschuldung vermeiden. „Die Wirtschaftspolitik sollte sich zeitnah für eine solche Reform einsetzen“, heißt es in dem IMK-Report. Indes: „Leider scheinen die politischen Mehrheiten für eine derartige First-Best-Reform in absehbarer Zeit nicht gegeben.“

Die kompletten 28 Seiten des IMK-Reports kann man hier herunterladen:  https://www.imk-boeckler.de/fpdf/HBS-008771/p_imk_report_187_2024.pdf 

 

Stabilitätsanker oder Investitionsblocker?

Eine Fußfessel, gesehen im Kriminalpanoptikum Aschersleben (Harz) Foto: Peter Reinäcker / pixelio.de

 

Deutsche Volkswirte sind gespalten beim Bundeshaushalt und der Schuldenbremse. 48 Prozent der Befragten sind dafür, im Haushalt 2024 vorrangig Ausgaben zu kürzen. 38 Prozent sehen einen Anstieg der Neuverschuldung als primären Weg, um dem Haushalt 2024 mehr Geld zuzuführen.

 

 

Das ist ein Ergebnis des Ökonomenpanels, bei dem das Münchener ifo Institut zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) Ökonominnen und Ökonomen an deutschen Universitäten befragt, und an dem sich 187 VWL-Professorinnen und Professoren vom 28. November bis zum 5. Dezember beteiligt haben.  „Die bestehende und eine reformierte, investitionsbasierte Schuldenbremse erhalten ähnlich viel Unterstützung. Einig sind sich die Befragten darin, dass die Schuldenbremse nicht ganz abgeschafft werden sollte“, sagt ifo-Präsident Clemens Fuest.

Zugleich gibt es eine größere Gruppe von Befragten, die statt Ausgabenkürzungen einen Anstieg der Neuverschuldung als Lösung für die Haushaltslücke im Jahr 2024 sehen: Rund 15 Prozent fordern eine Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse, um so Freiraum für Mehrausgaben zu schaffen. Weitere 18 Prozent wollen Sondervermögen zu Klima und Infrastruktur in Grundgesetz verankern. 5 Prozent sprechen sich für ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse aus. Weitere 5 Prozent fordern Steuererhöhungen. Zudem wollen 7 Prozent andere Maßnahmen, vielfach eine Mischung aus Einsparungen und höheren Steuereinnahmen.

Rund zwei Drittel der Befragten im ifo Ökonomenpanel unterstützen das Vorgehen der Bundesregierung, für das Jahr 2023 rückwirkend eine Notlage zu beschließen und so die Schuldenbremse aussetzen. Dies sei der einzige Weg, um das Jahr kurzfristig mit einem verfassungsmäßigen Haushalt abzuschließen. Im Nachhinein könne man nicht mehr sparen. Alle Alternativen würden Unternehmen und Haushalte erheblich verunsichern und Klimaziele gefährden. 28 Prozent lehnen das Vorgehen ab.

Gespalten sind die Professorinnen und Professoren über die Zukunft der Schuldenbremse: 48 Prozent wollen die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form erhalten. 44 Prozent wollen sie erhalten, aber reformieren, und ganze sechs Prozent wollen sie gänzlich abschaffen.

Mehr Details zu Umfrage hat das Ifo-Institut hier veröffentlicht.

Schuldenbremse verfassungswidrig

Foto: Torsten Bogdenand / pixelio.de

Ja Leute, das hört sich erstmal völlig verrückt an. Wie kann etwas, was in der Verfassung steht, verfassungswidrig sein? Nun, wenn man sich die beiden Grundgesetz-Artikel anschaut, die sich auf die Schuldenbremse beziehen, dann kommen – mir zumindest – erhebliche Zweifel, ob das überhaupt in der gegenwärtigen Form in ein Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gehört. 

In Artikel 109 unserer Verfassung heißt es: „Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.“ Und in dem besagten Artikel 115 GG heißt es: „Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.“

Mit anderen Worten: Die Nettoneuverschuldung des Bundes darf nur einem Bruchteil der jährlichen Leistung unserer Wirtschaft entsprechen. Starre Regel: 0,35 Prozent – was immer auch um uns herum geschieht.

Das wirft Fragen auf. Wer hat da 0,35 Prozent Nettoneuverschuldung bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt in die Verfassung reingeschrieben? Warum nicht 0,2 Prozent? Oder 0,95 Prozent? Völlig willkürliche Zahlen, aus dem Augenblick geboren, der wirtschaftlichen Situation oder den damals gerade herrschenden politischen Mehrheiten geschuldet – gerne ja. Aber es bleiben Zahlen, die nicht in ein Grundgesetz gehören.

Ich bin kein Jurist und erst recht kein Staatsrechtler. Aber warum darf ein Parlament so eine willkürlich gewählte Zahl in eine Verfassung hineinschreiben? Eine Verfassung, die den Bestand der Bundesrepublik Deutschland auf ewig garantieren soll! Ich glaube, in unser Grundgesetz gehören keine willkürlich ausgesuchten Zahlen oder Prozentsätze. Die in Artikel 109 und 115 genannten Regeln zur Schuldenaufnahme des Staates sind – völlig verrückt – in sich verfassungswidrig, weil sie dort nicht hingehören.

Übrigens: Erinnert sich noch jemand an die sogenannten Maastricht- oder auch Konvergenzkriterien, die seinerzeit jedes EU-Land erfüllen musste, um Mitglied der Europäischen Währungsunion werden zu können? Richtig, da ging es um Inflation, Wechselkurse, Zinsen und – Schulden. So soll die Gesamtverschuldung eines Euro-Landes möglichst nicht mehr als 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) betragen, und die jährliche Nettoneuverschuldung nicht höher sein als drei Prozent des BIP. Richtig gelesen: 3,0 Prozent und nicht 0,35 Prozent – fast zehn mal so viel wie wir uns ohne Not als Fessel ins Grundgesetz schreiben! Aber wir Deutschen sind halt besonders gründlich – besonders beim Kaputtsparen von Infrastruktur und beim Anlegen von idiotischen Fußfesseln.

 

 

Gewinninflation und Inflationsgewinner

fotoART by Thommy Weiss / pixelio.de

Das Ifo-Institut bestätigt eine Vermutung, die ich im Dezember in meinem Post „Inflation wird durch Trittbrettfahrer angeheizt“ beschrieben habe:  Da draußen scheint es jede Menge Unternehmen zu geben, die die Inflation nutzen, um ihre Gewinne kräftig aufzublasen – obwohl sie selbst von einem Kostenschub überhaupt nicht betroffen sind. 

 

Manche Unternehmen haben auch im vierten Vierteljahr 2022 ihre Verkaufspreise stärker erhöht als es durch die Entwicklung der Einkaufspreise angelegt war“, schreibt das Ifo-Institut in einer Pressemitteilung. „Diese Firmen haben die Lage genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu steigern. Das gilt vor allem für Unternehmen im Handel, Gastgewerbe und Verkehr sowie im Baugewerbe“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung in Dresden. Insgesamt habe sich die Entwicklung im vierten Quartal jedoch verlangsamt. (Hier gibt’s die Studie als PDF)

Die hohen Preissteigerungsraten werden gemeinhin auf höhere Beschaffungskosten der Unternehmen zurückgeführt. Tatsächlich sind insbesondere die Einfuhrpreise stark gestiegen, getrieben vor allem durch die Verteuerung von Energierohstoffen. Es sei aber zur kurz gegriffen, dies allein auf den Ukraine-Krieg und die dadurch verursachten Kostensteigerungen zurückführen, schreibt Ragnitz. Denn der beschleunigte Preisanstieg bei importierten Gütern wie auch bei Energie habe bereits im Frühjahr 2021 eingesetzt. Die Exportpreise seien demgegenüber deutlich schwächer gestiegen. Teuer im Ausland einkaufen, gleichzeitig beim Export kaum Preiserhöhungen durchsetzen – das bedeutet unterm Strich: Deutschland ist ärmer geworden.

Einflüsse aus dem Ausland sind jedoch nicht der alleinige Grund für die gestiegene Inflation. Ein Großteil ist auch hausgemacht: Es ist ja auch sehr verführerisch, den Kostenschub  als Vorwand dafür zu nehmen, durch eine noch stärkere Erhöhung ihrer Absatzpreise auch ihre Gewinnsituation zu verbessern. Dies dürfte die Inflation auf der Verbraucherstufe verstärkt haben.

Dies sei aber kein Grund für staatliche Eingriffe in die Preisbildung, schreibt Ragnitz weiter. Auch Ideen wie die aktuell gerne geforderte Übergewinnsteuer erteilt Ragnitz eine Absage. Sie würde die Knappheitssignale des Marktes verzerren und ließe sich zudem nicht rechtssicher durchsetzen. Sie berge überdies die Gefahr, dass damit auch solche Gewinne einzelner Unternehmen abgeschöpft würden, die aufgrund von Innovationen oder aufgrund einer Steigerung der Absatzmengen erzielt werden können. Und da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass hinter den Preissteigerungen Absprachen der Unternehmen stehen könnten, seien auch kartellrechtliche Maßnahmen nicht hilfreich.

Stattdessen, so Ragnitz weiter, werde man auf herkömmliche Rezepte setzen müssen: So sei die Inflationsbekämpfung primär eine Sache der Geldpolitik der EZB, die freilich wegen ihres gesamteuropäischen Mandats Besonderheiten der Entwicklung in Deutschland nicht berücksichtigen könne, und auf Unternehmerebene helfe nur vermehrter Wettbewerb gegen weitere Preissteigerungen.

Auch die Finanzpolitik könne – wenngleich nur mit Einschränkungen – zur Senkung der Inflation beitragen, schreibt Ragnitz. Beispielsweise indem sie auf breit angelegte Entlastungsmaßnahmen zugunsten der privaten Nachfrager verzichte, die den realwirtschaftlichen Anpassungseffekt hoher Preise konterkarierten. Stattdessen sollten entsprechende Maßnahmen zielgerichtet auf einkommensschwache Haushalte konzentriert werden.

Ressourcen in der Schublade

Foto: Peter Freitag/pixelio.de

Fast jeder hat eines Zuhause im Keller oder in der Schublade: Ein altes und ausrangiertes Smartphone. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die darin enthaltenen Materialien ausreichen würden, um den Rohstoffbedarf aller neuen Smartphones der kommenden zehn Jahre zu decken. Rückführungs- und Recyclingprozesse müssen allerdings noch effizienter werden, um das Potenzial auszuschöpfen.

In deutschen Haushalten lagen 2022 dem IT-Branchenverband Bitkom zufolge ungefähr 210 Millionen Schubladenhandys, 87 Prozent der Bürger haben mindestens ein ausrangiertes Handy. Seltene Rohstoffe wie Gold, Palladium oder Platin schlummern also nicht nur tief im Boden, sondern oft auch in der eigenen Wohnung – wertvolle Rohstoffe, die auf dem Weltmarkt in Zeiten von Lieferengpässen und Konflikten nicht einfach zu bekommen sind.

Werden Rohstoffe und Materialien aus Altgeräten oder das Gerät selbst aufbereitet und wiederverwendet, spricht man von Kreislaufwirtschaft. Eine neue IW-Berechnung macht nun das Potenzial deutlich: Würden alle Handys und Smartphones, die in Deutschland ungenutzt herumliegen, recycelt, würden die gewonnenen Materialien den Bedarf für alle neuen Smartphones der nächsten zehn Jahre decken.

„Dass die Kreislaufwirtschaft in Zukunft immer wichtiger wird, zeigen drei globale Trends“, heißt es in der IW-Pressemitteilung. „Erstens wächst der Bedarf nach Rohstoffen mit der Weltbevölkerung. Insbesondere der steigende Konsum von Elektrogeräten ist ein Problem. Ausrangierte Geräte liegen oft in Schubladen und Kellern herum, das führt dazu, dass Rohstoffe knapper und teurer werden. Ein drittes Problem: Mit dem höheren Konsum steigen auch die Abfallmengen. Urban Mining, also die Gewinnung und Nutzung der Rohstoffe aus Altgeräten, schützt daher langfristig nicht nur die Umwelt. Es macht die deutsche Wirtschaft und die Verbraucher auch unabhängiger von Exportländern wie China.“

Gleichzeitig seien viele Recyclingprozesse noch nicht effizient genug, die Wiederverwertung lohne sich betriebswirtschaftlich nicht, schreibt das IW. Der reine Metallwert eines alten Handys liege bei 1,15 Euro, die Kleinteiligkeit der Geräte erschwere das Recycling. „Das Recycling stellt nur eine Lösung dar. Besser wäre es, bereits bei der Produktentwicklung Abfälle zu vermeiden oder die Geräte und ihre Komponenten für eine Wiederverwendung professionell aufzubereiten“, sagt Adriana Neligan, eine der beiden Auorinnen der Studie. Ein erster wichtiger Schritt wäre, dass die Verbraucher ihre ungenutzten Altgeräte zurückbringen. Aber auch die Politik müsse hier unterstützen, Tempo machen und für bessere Anreize bei der Sammlung sorgen.

Auch die Europäische Union hat das Thema Nachhaltigkeit für Elektronikgeräte entdeckt. Smartphones und Tablets sollen in der EU bald neuen Öko-Standards genügen. So sollen Hersteller verpflichtet werden, mindestens sieben Jahre lang Ersatzteile sowie technische Informationen und mindestens fünf Jahre lang Software-Updates nach dem Ausscheiden eines Produkts vom Markt zur Verfügung zu stellen.

Generalüberholte Elektronikgeräte sind eine nachhaltige Alternative zur Neuware. Der Markt wächst, auch weil zunehmend professionelle Kreisläufe durch Netzbetreiber, Firmenkunden und Refurbisher etabliert werden. Die Journalistin Matilda Jordanova-Duda schildert in einem Online-Beitrag für die Deutsche Welle   eine vielversprechende Initiative aus Düren bei Aachen: Die gemeinnützige GmbH AfB (Arbeit für Menschen mit Behinderung)  sammelt ausrangierte Firmen-Elektronik ein, prüft und reinigt sie, löscht vorhandene die Daten, repariert und rüstet auf, um die Geräte wieder in Umlauf zu bringen.  AfB ist ein zertifizierter Refurbisher, das Unternehmen existiert seit 18 Jahren und hat ca. 650 Mitarbeitende, gut die Hälfte von ihnen mit Behinderung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Messenger-News statt Vierfarb-Flyer?

Foto: Rolf Wenkel

Geht Euch das auch so? Jede Woche flattern mir mindestens zehn aufwendig gedruckte Vierfarb-Flyer des Einzelhandels ins Haus: HIT, Aldi, Rewe, Penny, Lidl, dazu noch ein Baumarkt, ein Elektromarkt, ein Getränkegroßhandel, mindestens zwei Möbelhäuser und ein Küchenstudio. Allerdings: Rund sieben von zehn Prospekten wandern bei mir sofort in die Tonne. Ungelesen. Muss das sein?

Der Kölner Handelsriese REWE hat mal ausrechnen lassen, was die bunten Prospekte für seine bundesweit rund 3.700 Filialen an Ressourcen verschlingen: Über 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2 , 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr, schreibt RWE in einer Pressemitteilung.

Jedes Jahr landen im Schnitt 40 Kilo an Papierprospekten in den Briefkästen der Republik. Das geht auch anders: Ob REWE, Aldi, Obi, Toom oder Netto – sie alle planen, die gedruckten Handzettel langfristig durch digitale Kommunikation ganz oder teilweise zu ersetzen. Im Gespräch sind besonders Messenger-Dienste wie WhatsApp, weil die auf fast jedem werberelevanten Endgerät verfügbar sind.

Ganz offensichtlich wollen die großen Handelsketten mindestens zwei, wenn nicht gar drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Umstellung auf digitale Werbekanäle wie Newsletter oder Messenger-Dienste gilt als modern und zukunftsorientiert, ist also gut für’s Image, man kann sich als grün, umweltbewusst und nachhaltig darstellen, weil man Ressourcen einspart, was auch gut für’s Image ist, und man spart nebenbei noch die Kosten für Papier und Energie, die dank des Kriegsverbrechers in Moskau in schwindelnde Höhen steigen.

Besonders forsch preschte der Kölner Handelsriese RWE nach vorn – mit der Ankündigung, zum 1. Juli diesen Jahres den Druck und den Vertrieb der bunten Prospekte ganz einzustellen. Indes. „Nur eine Woche nach Bekanntgabe (…) ruderte man in Köln zurück. Die Händler können selbst entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht“, heißt es in einem Newsletter der EHI Retail Institute GmbH, dem Forschungsinstitut des deutschen Einzelhandels in Köln.

Überhaupt muss man sich die Frage stellen, ob man klima- und ressourcentechnisch so viel einspart, wenn die digitalen Prospekte demnächst im digitalen Messenger-Briefkasten und nicht in der Papiertonne landen. Es gibt Schätzungen, wonach der digitale Datenverkehr weltweit für etwa zwei Prozent der globalen CO2 –Emissionen verantwortlich und damit in etwa mit der Luftfahrtbranche vergleichbar ist. Und man kann ruhig davon ausgehen, dass gut die Hälfte der digital verursachten CO2 –Emissionen auf das Konto der digitalen Werbung und des Marketings geht. Das ist gewiss keine quantité négligeable.

Allerdings macht das EHI Retail Institute auch auf einen nicht zu unterschätzenden Vorteil aufmerksam: „Der Versand der Angebotsprospekte über Whatsapp hat den Charme, dass die Kund:innen aktiv zustimmen müssen. Durch das Opt-in trennen sich Spreu und Weizen. Außerdem bildet diese Variante der digitalen Kundenbindung die Grundlage für das Sammeln von Daten und Bilden von Nutzerprofilen – natürlich DSGVO-konform.“

Ja, ja, das wäre eine schöne Zukunftsvision: Null Werbung, es sei denn, ich habe ausdrücklich zugestimmt. Die Zukunft jedoch, so fürchte ich, wird eine andere sein: Ich werde digital mit Werbung zugeballert – und muss trotzdem 40 Kilo Papierprospekte pro Jahr entsorgen. Hybrid-Strategie nennt man das denn wohl unter den Marketingexperten.