
Die Zollpolitik des selbsternannten klügsten Mannes der Welt muss Europas Wirtschaft nicht notwendigerweise in die Krise führen. Im Gegenteil: Wenn Europa aufwacht, könnte das mehr Unabhängigkeit und Wachstum bringen als bisher, sagen Experten.
Zwar setzen Trumps Zollmaßnahmen die deutsche Exportindustrie unter Druck. Doch bessere Geschäfte in Europa könnten das mehr als wettmachen. Dafür wären aber Reformen nötig, heißt es in einer Studie der Münchener Unternehmensberatung Deloitte, die man hier nachlesen kann..
Der europäische Binnenmarkt birgt nämlich laut Deloitte-Experten noch erhebliche, bislang ungenutzte Chancen: Die Exporte der deutschen Industrie in die wichtigsten europäischen Märkte könnten ein deutlich höheres, in manchen Ländern sogar doppelt so starkes Wachstum verzeichnen, wenn die noch bestehenden Handelshemmnisse wegfallen würden. Profitieren würden davon insbesondere der Maschinenbau und die Elektroindustrie, in geringerem Umfang auch die Automobil- und Chemiebranche, wie es in der aktuellen Studie von Deloitte heißt.
Allein die bis Mitte März angekündigten Handelsbarrieren dürften die deutschen Exporte in die USA bis 2035 im Schnitt um 3,2 Prozent pro Jahr schrumpfen lassen, so die Experten. Ergebnis: Das US-Geschäft würde binnen zehn Jahren von derzeit 84 Milliarden auf 59 Milliarden Euro schrumpfen. Im vergangenen Herbst hatten sie – ohne die inzwischen von US-Präsident Donald Trump angekündigten oder eingeführten Zölle – bis 2035 noch ein Wachstum von 1,8 Prozent pro Jahr im US-Geschäft vorhergesagt.
Das wegbrechende US-Geschäft könnte jedoch mehr als ausgeglichen werden, heißt es in der Studie. Ausfuhren in die zehn wichtigsten europäischen Abnehmerländer dürften demnach im Schnitt um 2,5 Prozent pro Jahr zulegen – anstatt der im Herbst erwarteten 1,8 Prozent. Schon jetzt liege das Volumen der zehn größten Abnehmer in Europa mit zusammen 357 Milliarden Euro mehr als viermal so hoch wie das in den USA, rechnen die Deloitte-Experten vor. 2035 wären es mit dann 467 Milliarden Euro sogar fast achtmal so viel.
Dazu müsste allerdings der Europäische Binnenmarkt von allerlei Gerümpel bereinigt werden. Innerhalb der EU geltende Anforderungen, Normen und Berichtspflichten kommen nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IMF) einem Binnenzoll von 44 Prozent auf Industriegüter gleich. Würden diese Handelshemmnisse vollständig abgebaut, könnten die Exporte der deutschen Industrie in den größten europäischen Absatzmarkt Frankreich bis 2035 um durchschnittlich 3,9 Prozent pro Jahr wachsen. Ohne europäische Deregulierung sind es nach Deloitte-Berechnungen in einer zunehmend protektionistischen Welt 2,7 Prozent. In den zweit- und drittgrößten EU-Märkten Niederlande und Italien könnte das Absatzwachstum bei 5,2 und vier Prozent liegen – gegenüber 2,9 und 1,8 Prozent ohne Bürokratieabbau.
Der Abbau von Handelshemmnissen in Europa könnte also richtig befreiend wirken, wenn Europa die richtigen Konsequenzen aus Trumps Steuerpolitik ziehen würde. „Der EU-Binnenmarkt ist ein schlafender Riese für die deutsche Industrie“, so wird Oliver Bendig, Partner und Leiter der Industrieberatung bei Deloitte, in einer Pressemitteilung der Münchener Wirtschaftsprüfer zitiert. „Angesichts zunehmend protektionistischer Tendenzen im Welthandel kann die Industrie in Deutschland einen Wachstums-Boost aus Brüssel gut gebrauchen.“
Zur Deloitte-Studie:
https://www.deloitte.com/de/de/Industries/industrial-construction/research/supply-chain-pulse-check.html