USA: Nachruf auf eine Ex-Demokratie

Titel: Piper Verlag, München, Zürich

Angesichts der weltweiten Horrorgeschichten, die täglich auf uns reinprasseln, habe ich mich vor ein paar Tagen an einen Klassiker erinnert, der Anfang der 2000er Jahre Furore machte und den ich 2002 für die Deutsche Welle rezensieren durfte. Das Buch „Weltmacht USA – ein Nachruf“, inzwischen bei Ebay für einen und bei Medimops für etwas über drei Euro zu haben – ist in Teilen immer noch hochaktuell.

Zwar hat sich der französische Historiker Emmanuel Todd seinerzeit am US-Präsidenten George W. Bush abgearbeitet, einem evangelikalen Fundamentalisten, der versucht hat, seine islamistischen Pendants an Eifer und Wahnsinn noch zu übertreffen, doch große Teile seines Buches kann man getrost noch einmal neu lesen – man braucht nur ab und zu den Namen Bush durch Trump zu ersetzen.

Todds Kernthese: Die USA leiden wie einst das Römische Reich an imperialer Überdehnung, sind in Wirklichkeit vom Rest der Welt viel abhängiger als umgekehrt. Die aggressive Außenpolitik der Regierung Bush sei kein Zeichen der Stärke, sondern das letzte Aufbäumen einer Macht, die wirtschaftlich, militärisch und ideologisch rapide die Kontrolle über die Weltbühne verlieren werde. Brisant war die These seinerzeit vor allem, weil Todd 1976 in seinem Buch „La chute final“, deutsch: „Vor dem Sturz: Das Ende der Sowjetherrschaft“ eben jenes Ende vorhergesagt hat – zu einem Zeitpunkt, als den meisten dies noch absurd erschien.

Freilich: Viele Dinge haben sich seit Todds provokanter These verändert. China zum Bespiel taucht bei Todd als weltpolitischer Akteur überhaupt noch nicht auf, ein Vierteljahrhundert später sieht das völlig anders aus. Auch glaubte Todd, Russland werde sich in einen „gutmütigen Giganten“ verwandeln, sodass Europäer und Japaner gut und gerne auf ein us-amerikanisches Protektorat verzichten könnten. Na ja.

Man sieht: Inzwischen haben sich die wirtschaftlichen und politischen Kräfte enorm verschoben, statt eines gutmütigen Riesen haben wir ein „Obervolta mit Atomraketen“, wie es Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal formulierte. Der bitterarme afrikanische Staat heißt übrigens jetzt Burkina Faso, ist aber immer noch arm. Schlimmer noch: Während Todd noch von einer postsowjetischen liberalen Demokratie in Russland träumte, ist dort inzwischen ein mafiöser Unterdrückungsapparat entstanden, mit einem Kriegsverbrecher an der Spitze.

Wo bleibt die Stimme Europas?                                                                           Foto: Schmuttel / pixelio.de

Und Europa? Europa sollte doch mit einer Stimme sprechen, gerade auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, gerade auch in Krisenzeiten. Stattdessen wählen dort immer mehr Idioten immer dreistere Populisten. Einer sitzt in Ungarn und hat den Bogen besonders gut raus, weil er erkannt hat, dass eine unabhängige Justiz und eine freie Presse nur stören, wenn man EU-Milliarden in die eigene Tasche umlenken will. Lustig nur: Wo Todd noch glaubte, Europäer und Japaner könnten auf den Weltpolizisten USA verzichten, ist es jetzt wohl so, dass sie auf diese freundliche Hilfe verzichten müssen.

Dafür sorgt ein Nachfolger des evangelikalen Eiferers George W. Bush im Weißen Haus, einer, der noch besser lügen und erpressen kann, ein Nachfahre deutscher Einwanderer, der alle Einwanderer hasst, die nach ihm gekommen sind, ein Rüpel, der mehr als die Hälfte aller Wähler hinter sich hat, weil es eine amerikanische Tradition ist, den Staat und seine Institutionen zu hassen: Donald Trump.

Ein Kapitel in seinem Buch überschreibt Emmanuel Todd mit „Die Unsicherheit des Tributs“. Klar, das ist eine Anspielung auf das römische Reich, das von den Tributzahlungen der eroberten Provinzen lebte. Doch während Rom sich durch Zwangsabgaben finanzierte, trägt die Welt ja offenbar freiwillig ihr Geld in die USA. Eine Analyse der Zuströme zeige, so Todd, dass die Anleger vorwiegend nach sicheren Anlagemöglichkeiten suchten und diese in den USA zu finden glaubten – trotz deren ansteigenden Außenhandelsdefizits.

Warenströme sind nicht unveränderlich
Foto: Ingo Fuechtenbusch / pixelio.de

Und das steigt seit drei Dekaden unaufhörlich, weil sich Kapital- und Warenströme scheinbar so stabil und unveränderlich verhalten wie der Golfstrom im Atlantik: Europäer, namentlich Deutsche und Italiener, liefern die Maschinen nach China, mit denen die Chinesen Waren produzieren, die die Amerikaner kaufen – und mit einem Papier bezahlen, wo draufsteht, dass man später Dollars kriegt, und das auch noch mit Zinsen.

Allein: Nicht nur Klimaforscher warnen davor, dass der Golfstrom irgendwann mal kippen könnte – auch Waren- und Kapitalströme müssen sich nicht ewig in die gleiche Richtung wälzen. Davor warnt auch Todd: Denn die Anleger ignorierten das offensichtliche Risiko, dass die Anlage auf die eine oder andere Weise verloren gehen könne, ja müsse. Sobald eine Mehrheit den amerikanischen Papierchen mit den Zinsversprechen nicht mehr traue, sei die imperiale Wirtschaftsposition der USA beendet, sagt Todd voraus.

„Die USA könnten ihren Anspruch nur dann länger aufrechterhalten, wenn sie ihren Universalismus lebten, wie es alle Weltreiche zuvor taten, und Ausländer nicht als Untertanen zweiter Klasse behandelten – was gegenwärtig leider zur weltanschaulichen Haupttendenz der Amerikaner würde“, heißt es in einer Zusammenfassung von Todds Thesen bei Wikipedia.

Nun sind Todds Warnungen, was die Wirtschaft angeht, nicht neu und waren auch vor gut 20 Jahren nicht neu. Aber womit könnten die Amerikaner denn sonst bezahlen außer mit Papierchen? Im Grunde haben sie, außer ein paar Computern und geschickt vermarkteter Software, nichts anzubieten, was sich zu kaufen lohnt. Denn Motorräder, Whisky, CocaCola, Micky Maus und Hollywoodfilme sind alles Errungenschaften, ohne die die Welt notfalls auch überleben kann. Ja, es soll sogar inzwischen Leute geben, denen nicht wohl dabei ist, wenn sie in eine Passagiermaschine von Boeing einsteigen sollen. Für Todd hat der „Sturz der Vereinigten Staaten von der Nützlichkeit in die Überflüssigkeit“ schon längst begonnen.

Was Todd vor einem Vierteljahrhundert indes nicht ahnen konnte, ist die Tatsache, dass inzwischen ein verurteilter Straftäter ungestraft im Weißen Haus sitzen und imperiale Träume träumen darf, von Grönland über Kanada und Panama bis zum Mars. Ein ungehobelter Prolet, der systematisch einen Staatsstreich von oben inszeniert. Der demokratische Institutionen von Tech-Milliardären schleifen lässt, die nie durch eine demokratische Wahl ein Mandat bekommen haben.

Wie heißt es bei Todd in der Ausgabe vom Piper-Verlag auf Seite 37? „Den Vereinigten Staaten ist nicht mehr daran gelegen, die liberaldemokratische Ordnung zu verteidigen, denn in Amerika selbst verliert sie immer mehr von ihrer Substanz. Vorrangiges Anliegen ist nun die Versorgung mit verschiedenen Gütern und mit Kapital. Das fundamentale strategische Ziel der Vereinigten Staaten ist die weltweite politische Kontrolle über die Ressourcen des Planeten.“

 

Eine Fehlkonstruktion rächt sich

„Schuldenbremse reformieren, Transformation beschleunigen“ – so überschreiben die Forscher des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler Stiftung ihren wirtschaftspolitischen Ausblick auf das Jahr 2004.

Für die Düsseldorfer Forscherinnen und Forscher Sebastian Dullien, Tom Bauermann, Lukas Endres, Alexander Herzog-Stein, Katja Rietzler und Silke Tober ist klar: „Deutschland erlebt derzeit einen immensen Verlust an wirtschaftlichem Wohlstand.“ Auf ein Jahr ohne Wirtschaftswachstum drohe erneut eine leichte Schrumpfung der Wirtschaft, so die IMK-Forscher. Die jährliche Wirtschaftsleistung (das Bruttoinlandsprodukt BIP) könnte damit Ende 2024 noch auf ähnlichem Niveau liegen wie unmittelbar vor dem Ausbruch der Coronakrise. Damit hätte Deutschland seit 2019 fünf Jahre, also ein halbes verlorenes Jahrzehnt erlebt.

Der Verlust an wirtschaftlichem Wohlstand sei dabei immens: Ende 2023 lag die Wirtschaftsleistung etwa um vier Prozent niedriger als von der Bundesregierung noch unmittelbar vor dem russischen Überfall auf die Ukraine vorhergesagt. Trifft die IMK-Prognose für 2024 zu, so wäre die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr sogar rund fünf Prozent niedriger als von der Bundesregierung damals erwartet.

Ursächlich für die maue wirtschaftliche Situation war der durch die russische Invasion 2022 in der Ukraine ausgelöste Energie- und Nahrungsmittelpreisschock, schreiben die IMK-Forscher. Neben der konjunkturellen Belastung stellt der Energiepreisschock allerdings auch eine strukturelle Belastung für die deutsche Wirtschaft dar, heißt es weiter. Deutschland hat sich bekanntlich vorgenommen, bis zum Jahr 2045 CO2-neutral zu werden. Dabei sollte Erdgas beim Dekarbonisierungsprozess die Rolle einer Brückentechnologie spielen. Für eine Übergangszeit hätte man in den neuen, auf Wasserstoff ausgerichteten Anlagen mit Erdgas erzeugten Wasserstoff verwenden können. In anderen Produktionsprozessen wäre die plausible Dekarbonisierungsstrategie eine Umstellung von fossilen Energieträgern auf Strom gewesen.

Der Ukrainekrieg hat diese Strategie massiv erschwert. Erdgas und Strom sind deutlich teurer geworden, was viele industrielle Dekarbonisierungsprojekte gefährdet. Zudem hat der Energiepreisschock gezeigt, wie verletzlich viele Haushalte in Deutschland gegenüber steigenden Energiepreisen sind, und welche Auswirkungen rapide steigende Energiepreise auf die gesamtwirtschaftliche Stabilität haben können.

Dies sehen die IMK-Forscher als besonders wichtig in der Diskussion um die Dekarbonisierung des Gebäude- und Verkehrssektors an. Denn jüngere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass ein Erreichen der CO2-Ziele für den Gebäudesektor in erster Linie über steigende CO2-Preise sehr schnell zu sehr hohen Belastungen für die Haushalte führen könnte, wenn der höhere CO2-Preis nicht durch andere Maßnahmen flankiert wird.

Bis in den November 2023 hinein hätte man vor diesem Hintergrund sagen können, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung – wenn auch mit einigen Abstrichen und einigen handwerklichen Schnitzern in der Umsetzung und Kommunikation wie bei dem Gebäudeenergiegesetz – ökonomisch betrachtet in die richtige Richtung ging. Ein Sondervermögen, also nichts anderes als Kreditermächtigungen, genannt „Klima- und Transformationsfonds“, sollte zur Finanzierung jahresübergreifender Transformationsprojekte wie etwa der Förderung energetischer Gebäudesanierung beitragen. Damit hätte man einerseits eine einigermaßen konjunkturgerechte Finanzpolitik betreiben, zum anderen wichtige Transformationsprojekte zu ermöglichen können.

Doch es kam bekanntlich anders: Das Bundesverfassungsgericht befand, man dürfe Kreditermächtigungen, die zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie gedacht waren, nicht einfach in einen Klima- und Transformationsfonds umwidmen. Darüber hinaus hatte das Urteil auch Folgen für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der nun ebenfalls nicht mehr genutzt werden kann.

Die im November hektisch verhängte Haushaltssperre und die wochenlangen Diskussionen um alle möglichen denkbaren Ausgabenkürzungen haben neben dem direkten negativen Effekt auf die Konjunktur zudem noch zu massiver Verunsicherung geführt. „Die Herausforderung der Wirtschaftspolitik ist nun zweierlei“, schreiben die IMK-Forscher: „Erstens muss verhindert werden, dass sich die Stagnationstendenzen der deutschen Wirtschaft 2024 fortsetzen und verhärten. Zweitens muss die Wirtschaftspolitik mittelfristig einen Rahmen schaffen und Maßnahmen ergreifen, so dass die anstehende Dekarbonisierung unter Erhalt des deutschen Wohlstands sozial abgefedert und politisch akzeptiert gelingen kann.“ Und obendrauf kommt noch, dass die über mehrere Jahrzehnte aufgelaufenen Lücken in der traditionellen Infrastruktur wie Schienen, Wasserwege, Brücken sowie Bildung geschlossen werden müssen, die trotz jahrelanger Debatten immer noch nicht effektiv angegangen worden sind.

Mit anderen Worten: Die deutsche Finanzpolitik steht vor einem riesigen Berg von Herausforderungen. Sie muss die Infrastruktur modernisieren und die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität vorantreiben. Gleichzeitig ist sie seit nunmehr vier Jahren im Dauerkrisenmodus. Die aktuelle Situation führt deshalb nach Ansicht der IMK-Forscher „mehrere Schwächen der Schuldenbremse deutlich vor Augen.“ In den Jahren vor der Corona-Krise spielte sie wegen der guten Konjunktur nie eine Rolle, in den akuten Krisen wurde sie ausgesetzt.

Doch je länger die Krisen und ihre Wirkungen andauern, umso schwieriger und umstrittener wird der Rückgriff auf die Notlagenregelung. „An dieser Stelle weist die Schuldenbremse einen schweren Konstruktionsfehler auf“, schreiben die IMK-Forscher. „Sie erlaubt keinen schrittweisen Übergang zur sogenannten „Normallage“. Solche Übergangsfristen, die auch bei der Einführung der Schuldenbremse galten, ermöglichen einen schrittweisen Abbau bestehender struktureller Defizite und wurden wiederholt von verschiedener Seite vorgeschlagen. Dies wäre auch im Einklang mit den europäischen Regeln. Eine Ergänzung der Schuldenbremse um diese Möglichkeit wäre eine Mindestvoraussetzung für einen konjunkturverträglichen Ausstieg aus dem Krisenmodus“, schreiben die Forscher.

Klima, Infrastruktur, Bildung: Alle drei Bereiche erfordern nach Berechnungen von Forschern Investitionen in der Größenordnung von jeweils mehreren hundert Milliarden Euro in den nächsten Jahren – wohlgemerkt: Investitionen, die allerdings wegen der Schuldenbremse kaum zu finanzieren sind. Dabei kämen die notwendigen Investitionen nicht nur den heutigen Generationen zugute, schreiben die IMK-Forscher. Sie schlagen deshalb vor, investive Ausgaben aus der Schuldenbremse herauszunehmen. Eine solche „goldene Regel“ würde eine Verstetigung öffentlicher Investitionen ermöglichen und gleichzeitig eine Überschuldung vermeiden. „Die Wirtschaftspolitik sollte sich zeitnah für eine solche Reform einsetzen“, heißt es in dem IMK-Report. Indes: „Leider scheinen die politischen Mehrheiten für eine derartige First-Best-Reform in absehbarer Zeit nicht gegeben.“

Die kompletten 28 Seiten des IMK-Reports kann man hier herunterladen:  https://www.imk-boeckler.de/fpdf/HBS-008771/p_imk_report_187_2024.pdf 

 

Deutschland in der Rezession

Foto: Rolf Wenkel

Die deutsche Wirtschaft rutscht in eine Rezession. Nachdem das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2022 vermutlich um mehr als 1,5 Prozent gewachsen ist, wird die Wirtschaftsleistung im Jahr 2023 um rund 0,75Prozent sinken, zeigt die neue Konjunkturprognose des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Dagegen glaubt das Münchener Ifo-Institut, die erwartete Winterrezession werde milder ausfallen als bislang erwartet. Den Münchner Konjunkturforschern zufolge wird die Wirtschaftsleistung 2023 nur um 0,1 Prozent schrumpfen. Im Herbst erwarteten die Forscher noch minus 0,3 Prozent.

Die deutsche Wirtschaft musste sich in den vergangenen Monaten mit vielen Herausforderungen auseinandersetzen: Steigende Preise, ein drohender Gasmangel und der Krieg Russlands in der Ukraine belasten Verbraucher und Unternehmen. Der Blick auf das kommende Jahr ist kaum optimistischer, wie die Kölner IW-Konjunkturprognose zeigt: Für das kommende Jahr erwarten die IW-Konjunkturforscher einen BIP-Rückgang um 0,75 Prozent.

Die Weltwirtschaft werde im kommenden Jahr nur noch um zwei Prozent zulegen, glauben die Kölner. Vor allem die Energieversorgung bleibe unsicher, zudem drohten wieder Produktionsausfälle. Nach wie vor seien Lieferketten gestört. Anders als in der Industrie und dem Dienstleistungssektor verschärfe sich die Rezession im Bausektor weiter. Fehlende Materialien und Fachkräfte sowie die steigenden Bauzinsen belasteten die Branche.

Als Konjunkturstütze habe sich bisher der private Konsum erwiesen. Das dürfte sich ändern: Die IW-Konjunkturforscher gehen im kommenden Jahr von einem Rückgang in Höhe von 1,5Prozent im Vergleich zu 2022 aus. Immerhin zeigt sich der Arbeitsmarkt noch robust: Die Arbeitslosenquote beträgt im laufenden Jahr 5,3 Prozent. Für das kommende Jahr wird ein leichter Anstieg auf 5,4 Prozent erwartet.

Für das neue Jahr bedeutet das: Deutschland steht vor einer neuen Rezession. Allerdings deuten die Zahlen nicht auf einen Konjunktureinbruch in dem Ausmaß hin, wie es ihn in der Corona-Pandemie oder in der Finanzmarktkrise 2008 gab. „Wie schwer diese Krise ausfallen wird und wie lange sie dauert, hängt stark von der weiteren Entwicklung der Energiekrise ab. Über allem schwebt die geopolitische Gefahr, die vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgeht“, sagt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. „Die Volkswirtschaft als Ganzes ist mit einem gewaltigen Wohlstandsverlust konfrontiert.“
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Ein Verlierer schlägt um sich

fotoART by Thommy Weiss / pixelio.de.

Diktator Gasputin hat seinen Angriffskrieg auf die Ukraine vermutlich zu spät gestartet, um auf lange Sicht Erfolg zu haben, schreibt ein britischer Professor für Geschichte und internationale Beziehungen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung FAS. Die Überschrift: „Politik eines Verlierers“.

 

Der Brite Harold James ist auf deutsche und europäische Wirtschaftsgeschichte spezialisiert und lehrt an der Princeton University in den USA. Nun haben die USA bislang erfolgreich den Eindruck vermeiden können, sie hätten besonders viel Ahnung von fremden Ländern, Kulturen, Denkweisen. Aber das gilt mehr für ihre Politiker und ihre Politik, z.B. in Ostasien oder im Nahen Osten, nicht aber für ihre Universitäten. Die Einlassungen von Harold James in der FAS finde ich jedenfalls plausibel und hochspannend.

Putin träumt ganz offensichtlich davon, ein russisches Imperium von sowjetischen Ausmaßen wieder zu errichten, vermuten viele Analysten. Harold James sieht darin Parallelen zu den Leitideen des Imperialismus des 19. Jahrhunderts, „den Drang, ein Imperium mit allen Mitteln zu errichten, egal wie brutal und zerstörerisch.“ Zwar kämen jetzt noch die Methoden und Taktiken des KGB hinzu, doch es gehe hier nicht um Putins persönliche Psychopathologie, sondern darum, dass die Konstruktion einer neuen imperialen Wirklichkeit erhebliche Mängel aufweise, schreibt James – und führt fünf dieser Konstruktionsmängel auf.

Harold James (Foto: Adena Stevens / princeton.edu)

Vier dieser Schwächen sind Leckerbissen für Historiker, Philosophen und Psychologen, die fünfte ist eine ökonomische Schwäche, die unmittelbar daran anschließt, was Dr. Hella Engerer vom  Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin in einer kurzen Analyse angemerkt hat (siehe auch https://mmmblog.de/?p=3961 ): „Trotz hoher internationaler Reserven und Profite aus den Energieexporten entwickelte sich die russische Wirtschaft wenig dynamisch. In der längerfristigen Perspektive zeigt sich eine deutliche Wachstumsschwäche der russischen Wirtschaft.“ Obwohl er also die Mittel dazu hatte, sei es Putin nicht gelungen, die Wirtschaft in der Breite zu modernisieren.

Das deckt sich mit der Beobachtung von Professor Harold James – doch der zieht viel weiter reichende Schlüsse daraus. Zu Beginn seiner politischen Vorherrschaft sei Putin die strategische Wette eingegangen, seine natürlichen Ressourcen dazu nutzen – wie die Sowjetunion in den 1970er und 80er Jahren – um Einfluss auszuüben und Abhängigkeiten zu schaffen: „Der entscheidende Fehler Russlands in den 2000er Jahren bestand darin, jeden Gedanken an eine fortschrittliche Industrieproduktion oder eine Strategie der industriellen statt rohstoffbezogenen Ausrichtung aufzugeben“, schreibt James in der FAS.

Diese Strategie sei aber zum Scheitern verurteilt in Zeiten, in denen sogar postsowjetische Staaten wie Kasachstan über Dekarbonisierung nachdenken. Alle Welt denkt darüber nach – nur Russland nicht. Dabei wäre „Gasputin ohne Gas hilflos.“ Klar hat er noch Gas, jede Menge, aber das wird bald keiner mehr haben wollen. „Die Diskussion über das globale CO2-Problem und der Übergang zu globalen Vereinbarungen über die Erderwärmung (von Donald Trump kurzzeitig aufgehalten) entzogen der russischen Langzeitstrategie dann die Grundlage.“

Jedes Möchtegern-Imperium häuft erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Ressourcen an, „von denen sie glauben, dass sie sie im Verlauf des unvermeidlichen Konflikts beschützen werden“, schreibt James in der FAS. Das kaiserliche Deutschland legte seine Kriegsreserve in Gold im Juliusturm in Spandau an – genutzt hat es nichts. Putin hat rund 74 Millionen Feinunzen Gold angehäuft, die Ende Januar rund 140 Milliarden Dollar wert waren – nützen wird es ihm nichts, „weil sie nicht leicht bewegt und gehandelt werden können“.

Hinzu kommt, dass die Opposition, so schwach sie auch im Moment zu sein scheint, immer auch mit den Füßen abstimmen und aus dem Rubel fliehen kann – die Schlangen in Moskau, um Dollar zu kaufen, waren unübersehbar. Für Demonstranten sei es gefährlich, auf die Straßen zu gehen, die Oligarchen wagten keinen offenen Widerspruch – aber die jungen Russen würden vermutlich keine Staatsanleihen zur Kriegsfinanzierung zeichnen, weil Anleihen Vertrauen voraussetzen, Vertrauen, das Putin längst verspielt hat, schreibt Harold James.

Die neuen elektronischen Privatwährungen wie Bitcoin und Etherum böten zudem die Möglichkeit, „einen Widerstand auszudrücken und ein finanzielles Vertrauensvotum abzugeben“. Der Anstieg des Bitcoin-Preises sei ein Hinweis auf die dramatische Kapitalflucht aus einem Regime, das seine Glaubwürdigkeit verloren habe. Geld – oder der Mangel daran – könne Imperien zerstören, modernes Geld könne diese Aufgabe sogar noch viel schneller erledigen als früher.

 

Putin wirft die Wirtschaft um Jahre zurück

Das DIW-Portal in der Mohrenstraße (Foto: DIW)

Nach Putins völkerrechtswidrigen Angriff in der Ukraine haben die EU und die USA tiefgreifende Restriktionen im Finanzsektor in Kraft gesetzt, denen sich inzwischen auch die neutrale Schweiz angeschlossen hat. Dass über das SWIFT-Netz die russischen Banken vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten werden, damit hatte Russlands Despot natürlich gerechnet. Aber die Weltgemeinschaft hat noch eine andere Keule ausgepackt, die eine verheerende Wirkung auf Russlands Wirtschaft haben wird: Putins über Jahrzehnte angehäuften Devisenreserven sind praktisch wertlos, denn er kann sie nicht ausgeben.

Mit den Folgen für die russische Wirtschaft beschäftigt sich Dr. Hella Engerer vom  Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin in einer kurzen Analyse. Dort schreibt die Expertin für Ressourcenmärkte und Energiewirtschaft, die gegen die russische Zentralbank ergriffenen Maßnahmen zielten darauf ab, deren Handlungsspielraum durch Einfrieren ihrer Devisenreserven deutlich zu beschränken. Dies sei ein äußerst wirksames Instrument, das in der Geschichte erstmals gegenüber einer großen Volkswirtschaft verhängt wurde und zur Folge habe, dass die russische Zentralbank keinen Zugriff mehr auf einen Großteil ihrer knapp 600 Milliarden US-Dollar umfassenden Währungsreserven hat.

Dr. Hella Engerer (Foto: DIW)

Die Folge: Am Montag den 28. Februar stürzte die russische Währung ab – der Rubel verlor rund ein Drittel seines Wertes. Noch am gleichen Tag erhöhte die russische Zentralbank ihren Leitzins auf 20 Prozent, um den weiteren Währungsverfall zu stoppen. Doch dieses klassische Instrument zur Stützung einer Währung hat eine äußerst unangenehme Nebenwirkung: Geld wird für Unternehmen so teuer, dass sich keine Investition mehr lohnt, die Wirtschaft wird abgewürgt.

In der DIW-Analyse wird das so beschrieben: „Diese Zinserhöhung trifft eine ohnehin schon wachstumsschwache Volkswirtschaft, die es bislang versäumt hat, ihre starke Abhängigkeit von der Produktion fossiler Energieträger zu reduzieren.“

Die internationalen Reserven Russlands beliefen sich zum Ende des Jahres 2021 auf 630 Milliarden US-Dollar. „Rein rechnerisch könnte das Land damit seine Importe für etwa zwei Jahre decken“, heißt es in der DIW-Analyse von Hella Engerer. Die hohen Reserven hätte Putin nutzen können, um seine (Kriegs-)Wirtschaft zu finanzieren und Sanktionen auszusitzen. Doch daraus wird jetzt nichts, schreibt Engerer: „Dieses Kalkül wird angesichts der Restriktionen gegen die russische Zentralbank nicht aufgehen.“

Die USA, die Europäische Union, Großbritannien und die Schweiz haben beschlossen, russische Devisenbestände, die sich auf Konten in diesen Ländern befinden, einzufrieren und damit dem Zugriff der russischen Zentralbank zu entziehen. Die russische Zentralbank hat zuletzt im Juni 2021 nähere Angaben zur Zusammensetzung ihrer Reserven veröffentlicht, die damals 585,3 Milliarden Dollar umfassten. So sind die Devisenreserven sind vorwiegend in Euro, US-Dollar, britischem Pfund und weiteren westlichen Währungen angelegt. Aber auch die Position des chinesischen Renminbi haben die russischen Zentralbanker ausgebaut.

Die geographische Verteilung zeigt laut DIW ein hohes Gewicht europäischer Länder. Seit Mitte letzten Jahres sind die internationalen Reserven nochmals deutlich gestiegen; es wurden wahrscheinlich weitere Umschichtungen vorgenommen. „Dennoch dürften aktuell unter Einschluss der europäischen Länder, der USA, Kanadas und Japans wohl ein Großteil der Devisenreserven dem Zugriff der russischen Zentralbank entzogen sein“, urteilt das DIW. Zudem wird diskutiert Russland daran zu hindern, die Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds einzulösen. Auf die chinesischen Bestände hingegen dürfte die russische Zentralbank weiterhin zugreifen können. Zudem verfügt sie über Goldreserven in Höhe von 132 Milliarden US-Dollar, die sie aber kaum kurzfristig und in hohem Volumen auf internationalen Märkten veräußern kann. „Der Handlungsspielraum der russischen Zentralbank ist insgesamt deutlich enger geworden“, schreibt das DIW.

Generiert wurden die hohen russischen Devisenreserven vor allem durch den Export fossiler Energieträger. Lange Zeit lag das Exportvolumen auf hohem Niveau und die Ölpreise sicherten hohe Erlöse. Damit Schwankungen des Ölpreises nicht zu stark auf die inländische Wirtschaft durchschlagen, hat Russland bereits 2004 einen Staatsfonds aufgelegt, der – nach mehreren Umstrukturierungen – heute als „Nationaler Wohlstandsfonds“ bezeichnet wird. In diesen werden die Rohölexporterlöse teilweise eingespeist. Auch die Einlagen in diesem Fonds sind noch vor der Corona-Pandemie deutlich erhöht worden.

Indes: „Trotz hoher internationaler Reserven und Profite aus den Energieexporten entwickelte sich die russische Wirtschaft wenig dynamisch. Vor der Corona-Pandemie wurden jährliche Wachstumsraten realisiert, die unter denen anderer aufstrebender Volkswirtschaften lagen“, schreibt das DIW. Und weiter: „In der längerfristigen Perspektive zeigt sich eine deutliche Wachstumsschwäche der russischen Wirtschaft. Trotz hoher Exporterlöse ist es nicht gelungen, die Wirtschaft in der Breite zu modernisieren. Dabei ginge es insbesondere darum, den dringend notwendigen Strukturwandel endlich einzuleiten – weg von der Rohstoffproduktion und hin zu Hoch- und Schlüsseltechnologien. Damit bleibt die russische Wirtschaft im internationalen Vergleich wenig wettbewerbsfähig. Eine Modernisierung aus eigener Kraft wird kaum gelingen.“

Download der Studie: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.836694.de/diw_aktuell_79.pdf