Flucht aus der Trump-Zone

Solche Anzeigen wirds wohl jetzt öfter geben…

 

Viele Unternehmen und Organisationen in Europa kommen langsam ins Grübeln: Ist es wirklich klug, seine sensiblen Daten bei US-basierten Cloud-Anbietern zu speichern?

Eine von Tollwut heimgesuchte Regierung in Washington veranlasst jedenfalls europäische Sicherheitsbehörden zu deutlichen Warnungen, weil die Daten dort nicht mehr sicher sein könnten. Im schlimmsten Fall könnte die Verarbeitung und Speicherung sensibler Daten in den US-Clouds sogar mit der europäischen Sicherheitsgesetzgebung kollidieren.

Europäische Datenschutzexperten sind besorgt, und mit Norwegen und Dänemark schlagen die ersten beiden Länder offiziell Alarm, berichtet das Online-Portal „datensicherheit.de“. Die norwegische Datenschutzbehörde habe den Unternehmen des Landes nahegelegt, Strategien vorzubereiten, wie sie mit amerikanischen Cloud-Diensten umgehen, falls der Datentransfer in die USA plötzlich nicht mehr zulässig ist. Eine ähnliche offizielle Empfehlung hatte wenige Tage zuvor auch die dänische Datenschutzbehörde ausgesprochen.

Dass deutsche Datenschutzbehörden mit einer vergleichbaren Warnung nachziehen, halten Fachleute für wahrscheinlich. Sie standen in der Vergangenheit bei vielen Risikoeinschätzungen und Datenschutzinitiativen im Austausch mit den europäischen Partnerstaaten. Bereits jetzt heißt es, deutsche Unternehmen sollten sich besser nicht auf langfristige Rechtssicherheit beim Einsatz von US-Cloud-Diensten verlassen. Im Zweifel habe der Schutz personenbezogener Daten oberste Priorität – auch wenn dies für Unternehmen unbequem in der Umsetzung ist.

Das Problem liegt darin, dass für viele US-Clouddienste keine europäischen Alternativen existieren. Im Ernstfall wird es eng für Unternehmen, die im Tagesgeschäft auf US-Clouds angewiesen sind. Mit einem Verbot der Datenflüsse werden kritische Prozesse unterbrochen, was zu Betriebsunterbrechungen und in Folge zu Reputationsschäden führen kann.

Das politische Tauziehen um die Datenhoheit hat also begonnen. Es wird unter anderem auf dem Rücken der Unternehmen ausgetragen, die bisher auf amerikanische Rechenzentren gesetzt oder US-Clouds genutzt haben. Dies betrifft insbesondere Unternehmen, die mit sensiblen persönlichen Daten arbeiten – zum Beispiel in öffentlichen Verwaltungen, dem Gesundheitswesen oder auch der Finanzbranche.

Ob es sich um eine US-Cloud oder einen US-Dienst handelt oder nicht, kann man übrigens nicht am Standort der Computer festmachen, sondern am Sitz der Firma, die dieses Angebot betreibt. Residiert die in den USA, ist der Betreiber verpflichtet, den US-Behörden den Zugriff auf gespeicherte Daten unabhängig von deren Aufenthaltsort zu gewähren. Dieser Durchgriff ist der Hauptgrund, die Trump-Zone zu verlassen.

Kein Wunder, dass dies zu einem unerwarteten Boom bei europäischen Cloud- und Software-Anbietern führt. Immer mehr Unternehmen entscheiden sich für heimische Alternativen zu US-Diensten. Der Cloud-Anbieter Opencloud verzeichnet laut „Spiegel“-Bericht einen deutlichen Anstieg der Kundenzahlen. Der Gründer Peer Heinlein spricht von einem “regelrechten Ansturm”, mit dem sein Team alle Hände voll zu tun habe. Auch Frank Karlitschek, Gründer des deutschen Softwareunternehmens Nextcloud, berichtet dem „Spiegel“ zufolge von einem “sprunghaft gestiegenen Interesse” und dreimal so vielen Anfragen wie üblich.

Trump, der freundliche Helfer?

Foto: lieferantenerklaerung.de / pixelio.de

 

Die Zollpolitik des selbsternannten klügsten Mannes der Welt muss Europas Wirtschaft nicht notwendigerweise in die Krise führen. Im Gegenteil: Wenn Europa aufwacht, könnte das mehr Unabhängigkeit und Wachstum bringen als bisher, sagen Experten.

 

Zwar setzen Trumps Zollmaßnahmen die deutsche Exportindustrie unter Druck. Doch bessere Geschäfte in Europa könnten das mehr als wettmachen. Dafür wären aber Reformen nötig, heißt es in einer Studie der Münchener Unternehmensberatung Deloitte, die man hier nachlesen kann..

Der europäische Binnenmarkt birgt nämlich laut Deloitte-Experten noch erhebliche, bislang ungenutzte Chancen: Die Exporte der deutschen Industrie in die wichtigsten europäischen Märkte könnten ein deutlich höheres, in manchen Ländern sogar doppelt so starkes Wachstum verzeichnen, wenn die noch bestehenden Handelshemmnisse wegfallen würden. Profitieren würden davon insbesondere der Maschinenbau und die Elektroindustrie, in geringerem Umfang auch die Automobil- und Chemiebranche, wie es in der aktuellen Studie von Deloitte heißt.

Allein die bis Mitte März angekündigten Handelsbarrieren dürften die deutschen Exporte in die USA bis 2035 im Schnitt um 3,2 Prozent pro Jahr schrumpfen lassen, so die Experten. Ergebnis: Das US-Geschäft würde binnen zehn Jahren von derzeit 84 Milliarden auf 59 Milliarden Euro schrumpfen. Im vergangenen Herbst hatten sie – ohne die inzwischen von US-Präsident Donald Trump angekündigten oder eingeführten Zölle – bis 2035 noch ein Wachstum von 1,8 Prozent pro Jahr im US-Geschäft vorhergesagt.

Das wegbrechende US-Geschäft könnte jedoch mehr als ausgeglichen werden, heißt es in der Studie. Ausfuhren in die zehn wichtigsten europäischen Abnehmerländer dürften demnach im Schnitt um 2,5 Prozent pro Jahr zulegen – anstatt der im Herbst erwarteten 1,8 Prozent. Schon jetzt liege das Volumen der zehn größten Abnehmer in Europa mit zusammen 357 Milliarden Euro mehr als viermal so hoch wie das in den USA, rechnen die Deloitte-Experten vor. 2035 wären es mit dann 467 Milliarden Euro sogar fast achtmal so viel.

Dazu müsste allerdings der Europäische Binnenmarkt von allerlei Gerümpel bereinigt werden. Innerhalb der EU geltende Anforderungen, Normen und Berichtspflichten kommen nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IMF) einem Binnenzoll von 44 Prozent auf Industriegüter gleich. Würden diese Handelshemmnisse vollständig abgebaut, könnten die Exporte der deutschen Industrie in den größten europäischen Absatzmarkt Frankreich bis 2035 um durchschnittlich 3,9 Prozent pro Jahr wachsen. Ohne europäische Deregulierung sind es nach Deloitte-Berechnungen in einer zunehmend protektionistischen Welt 2,7 Prozent. In den zweit- und drittgrößten EU-Märkten Niederlande und Italien könnte das Absatzwachstum bei 5,2 und vier Prozent liegen – gegenüber 2,9 und 1,8 Prozent ohne Bürokratieabbau.

Der Abbau von Handelshemmnissen in Europa könnte also richtig befreiend wirken, wenn Europa die richtigen Konsequenzen aus Trumps Steuerpolitik  ziehen würde. „Der EU-Binnenmarkt ist ein schlafender Riese für die deutsche Industrie“, so wird Oliver Bendig, Partner und Leiter der Industrieberatung bei Deloitte, in einer Pressemitteilung der Münchener Wirtschaftsprüfer zitiert. „Angesichts zunehmend protektionistischer Tendenzen im Welthandel kann die Industrie in Deutschland einen Wachstums-Boost aus Brüssel gut gebrauchen.“

Zur Deloitte-Studie:

https://www.deloitte.com/de/de/Industries/industrial-construction/research/supply-chain-pulse-check.html

 

 

Trump und die Zölle

Foto: Georg Müller_pixelio.de

Der selbsternannte klügste Mann der Welt sollte vielleicht mal versuchen, die Zölle für Produkte aus China und Europa tatsächlich zu erhöhen. Damit importiert es sich vermutlich eine drastisch hohe Inflation. Vielleicht bringt das einige seiner Sektenanhänger dann doch ins Grübeln.

Übrigens wird der verurteilte Straftäter nicht müde zu behaupten, die USA hätten durch die Zölle, die er während seiner ersten Amtszeit verhängt hat, „Hunderte von Milliarden Dollar aus China eingenommen“. (Quelle: CNN: https://edition.cnn.com/…/fact-check-trump…/index.html). Das ist natürlich Stuss. Zölle zahlt weder der chinesische Staat noch der chinesische Exporteur, sondern der US-Importeur. Und der hat die Wahl, entweder mit den Zähnen zu knirschen oder die Zollzahlungen auf seine Verkaufspreise aufzuschlagen.
Wenn die USA einen Zoll auf eine importierte Ware erheben, werden die Kosten normalerweise direkt vom Bankkonto des Importeurs abgebucht. „Man kann Zölle getrost als Steuern bezeichnen, denn genau das sind sie“, sagt Erica York, eine leitende Wirtschaftswissenschaftlerin der rechtsgerichteten Tax Foundation. „Da führt kein Weg dran vorbei. Es ist eine Steuer für Leute, die Dinge von ausländischen Unternehmen kaufen“.
Nach Angaben des US-Zoll- und Grenzschutzes haben die amerikanischen Importeure dem US-Finanzministerium bisher mehr als 242 Milliarden Dollar für die von Trump verhängten Zölle auf importierte Solarmodule, Stahl und Aluminium sowie in China hergestellte Waren gezahlt. (https://www.cbp.gov/newsroom/stats/trade)

Unternehmen erwarten von Trump nichts Gutes

Grafik: Tim Reckmann_pixelio.de

Die deutsche Wirtschaft erwartet massive Nachteile für den Welthandel und ihre eigenen Geschäfte durch die Trump-Regierung. Das zeigt eine aktuelle Unternehmensbefragung des unternehmernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Besonders Industrieunternehmen sehen sich betroffen.

 

 

Neue Zölle, fragliche Militärhilfen für die Ukraine und territoriale Expansionsphantasien: Nicht erst seitdem der „klügste Mann auf unserem Planeten“ (ZEIT-Magazin Nr. 3, 2025 S. 44) zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt wurde, sorgen seine Pläne weltweit für viel Unsicherheit – auch bei deutschen Unternehmen. Über 2000 von ihnen hat das IW befragt. Die meisten befürchten Handelshemmnisse und Wettbewerbsnachteile. Knapp ein Drittel der Firmen erwartet deutliche Nachteile durch höhere eigene Energiekosten, 28 Prozent befürchten starke Einbußen infolge einer schwächeren Weltwirtschaft.

Vor allem Industrieunternehmen sehen sich stärker betroffen: 40 Prozent dieser Firmen rechnen mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen durch hohe Energiekosten in Deutschland. Gut ein Drittel geht davon aus, dass der globale Handel beeinträchtigt wird und sich daher die eigenen Absatzmöglichkeiten verschlechtern. Weniger anfällig sind hingegen Dienstleister: Sie sind, verglichen mit der Industrie, nicht so stark auf den Export ausgerichtet.

Außerdem befürchten die befragten Unternehmen, dass Subventionen für US-Unternehmen, neue Zölle und unterschiedliche Umweltstandards das Geschäft negativ beeinflussen werden. Weil die USA ein wirtschaftliches Schwergewicht sind, müsse die EU geschlossen auftreten und ihre Interessen verteidigen, heißt es in der IW-Pressemitteilung zur Studie. „Die neue Trump-Regierung wird deutsche Unternehmen unter Druck setzen. Vor allem eine koordinierte europäische Strategie kann die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen sichern“, sagt Studienautor und IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. Hier geht’s zur Studie.

Foto: Georg Müller_pixelio.de

Wenn ich meine Meinung anfügen darf, dann sollte Trump mal versuchen, die Zölle für Produkte aus China und Europa zu erhöhen. Damit importiert es sich vermutlich eine drastisch hohe Inflation. Vielleicht bringt das einige seiner Sektenanhänger dann doch ins Grübeln.

Übrigens wird der verurteilte Straftäter nicht müde zu behaupten, die USA hätten durch die Zölle, die er während seiner ersten Amtszeit verhängt hat, „Hunderte von Milliarden Dollar aus China eingenommen“. (Quelle: CNN). Das ist natürlich Stuss. Zölle zahlt weder der chinesische Staat noch der chinesische Exporteur, sondern der US-Importeur. Und der hat die Wahl, entweder mit den Zähnen zu knirschen oder die Zollzahlungen auf seine Verkaufspreise aufzuschlagen.

Wenn die USA einen Zoll auf eine importierte Ware erheben, werden die Kosten normalerweise direkt vom Bankkonto des Importeurs abgebucht. „Man kann Zölle getrost als Steuern bezeichnen, denn genau das sind sie“, sagt Erica York, eine leitende Wirtschaftswissenschaftlerin der rechtsgerichteten Tax Foundation. „Da führt kein Weg dran vorbei. Es ist eine Steuer für Leute, die Dinge von ausländischen Unternehmen kaufen“, fügte sie hinzu.

Nach Angaben des US-Zoll- und Grenzschutzes haben die amerikanischen Importeure dem US-Finanzministerium bisher mehr als 242 Milliarden Dollar für die von Trump verhängten Zölle auf importierte Solarmodule, Stahl und Aluminium sowie in China hergestellte Waren gezahlt .

 

 

 

Wirtschaft warnt vor AfD

Edeka-Anzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Vor den Landtagswahlen am kommenden Sonntag haben zahlreiche Unternehmen und Wirtschaftsverbände vor der rechtspopulistischen AfD gewarnt.  So hat sich der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, in einem dringenden, aber leider wenig beachteten Appell an die Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen gewendet, sich für „Offenheit und Toleranz“ und gegen die AfD zu entscheiden. Denn in seinen Augen ist jede Stimme für die rechtsradikalen Populisten „Gift für unsere Wirtschaft“.

Sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Löhne: Eigentlich hätten sich Sachsen, Thüringen und Brandenburg im vergangenen Jahrzehnt prächtig entwickelt, besser als der Bundesschnitt, schreibt Hüther. Für die amtierenden Regierungsparteien könnten das gute Nachrichten sein, doch eine aktuelle IW-Befragung zeige: Die Menschen im Osten nehmen diese positive Entwicklung nicht wahr. Jeder fünfte Befragte glaubt sogar, in einer abgehängten Region zu leben.

Populisten machten sich diesen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit zunutze. Das sei gefährlich, so Hüther. Denn auch bei der Frage, was der Osten für die Zukunft brauche, ignorierten die Populisten die Fakten: So wehren sich die AfD und ihre Anhänger hartnäckig gegen den Ausbau erneuerbarer Energien. Dabei werde der Erfolg der Energiewende im Osten mit entschieden, schon heute stehe mehr als jedes dritte Windrad im Osten und sorge so für günstige Energie.

Auch gegen Zuwanderer mache die Partei Stimmung, obwohl die ostdeutsche Wirtschaft stark auf sie angewiesen sei: 2023 lag der Anteil ausländischer Beschäftigter an der Bruttowertschöpfung in den ostdeutschen Bundesländern bei 5,8 Prozent, das sind rund 24,6 Milliarden Euro, wie neue Berechnungen zeigen. Anders ausgedrückt: Die AfD schürt die Angst vor Migranten, ohne die im entvölkerten Osten schon heute nichts mehr laufen würde. 

Sorgen wegen möglicher Regierungsbeteiligungen der AfD in Landesregierungen machen sich auch die deutschen Familienunternehmen. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ und Chefin des Lebensmittelgroßhandels Rullko in Hamm, sagte am Donnerstag dem WDR: „Wir sprechen uns in Land und Bund deutlich gegen eine Wahl der AfD aus. Die AfD ist eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ Die rassistischen Äußerungen des AfD-Personals seien „ein massives Hemmnis für die Fachkräfteeinwanderung“, so Ostermann weiter.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hatte sich in dieser Woche ebenfalls öffentlich zu Wort gemeldet. Präsident Alexander von Preen rief zur Wahl demokratischer Parteien auf. „Ich kann nur alle Akteure davor warnen, die gesellschaftlichen Spielregeln in Richtung Ausgrenzung und Hass zu verschieben. Das führt Gesellschaft und Wirtschaft nicht in eine positive Zukunft, sondern in eine Sackgasse„, sagte er.

Im Einzelhandel sind laut HDE zurzeit etwa 120.000 Stellen unbesetzt. „Woher sollen die Menschen denn alle kommen, wenn Politiker an das Ruder gelangen, die auf Ausgrenzung und Abschottung setzen?„, so von Preen. Er bezeichnete die AfD als gefährlich und verantwortungslos: „Mit Björn Höcke hat sich eine der Führungsfiguren der AfD zum wiederholten Male selbst demaskiert, als er den Familienunternehmen, die öffentlich eine Aktion für Vielfalt in Gesellschaft und Wirtschaft unterstützen, die Insolvenz wünschte.

Erst vor wenigen Tagen haben mehr als 40 deutschen Unternehmen die Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ ins Leben gerufen. . Beteiligt sind unter anderem die Drogeriekette Rossmann, der Motorsägen- und Gartengerätehersteller Stihl und der Audiospezialist Sennheiser. Auch zahlreiche Unternehmen aus NRW machen mit – hier eine Auswahl:

  • Nahrungsmittel-Gruppe Dr. Oetker in Bielefeld
  • Haushaltsgerätehersteller Vorwerk in Wuppertal
  • Hygienepapier-Hersteller Wepa in Arnsberg-Müschede
  • Messtechnik-Unternehmen Krohne in Duisburg
  • Lebensmittelkonzern Pfeifer & Langen in Köln
  • Metallverarbeiter Otto Fuchs in Meinerzhagen
  • Logistikunternehmen Fiege in Greven
  • Haushaltsgerätehersteller Miele in Gütersloh

„Bei Fiege arbeiten 22.000 Menschen aus 123 Ländern. Das heißt, mehr als die Hälfte unserer Kolleginnen und Kollegen kommen nicht aus Deutschland. Da ist es unsere Pflicht, uns für demokratische Werte, Vielfalt und Toleranz einzusetzen“, sagte Vorstandsmitglied Martin Rademaker im WDR.

Mir geht es ähnlich: Ich habe bei der Deutschen Welle gearbeitet, ein Unternehmen, das Nachrichten und Informationen aus Deutschland in rund 30 Sprachen in die Welt transportiert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 60 verschiedenen Nationen arbeiten an dieser Aufgabe mit viel Herzblut und Engagement. Und es fällt uns immer schwerer, ihnen zu erklären zu versuchen, weshalb sich die Wählerinnen und Wähler in den ostdeutschen Flächenländern so pessimistisch, so  verschlossen und verstockt verhalten  – und vor allem, mit welcher Ignoranz sie objektive Fakten negieren.

 

 

 

 

 

Ein neues magisches Viereck

Quelle: IMK

Wohlstand bedeutet heutzutage mehr als stabile Preise, Wachstum und Beschäftigung. Ein schonender Umgang mit der Natur und der Abbau sozialer Ungleichheit sind heute mindestens ebenso wichtig. Vor knapp 60 Jahren glaubten Politiker in Westdeutschland, man müsse nur die vier Ziele stetiges Wachstum, stabile Preise, wenig Arbeitslose und eine ausgeglichene Export/Importbilanz in ein Gesetz schreiben, und alles würde sich zum Guten wenden. Das ist jedoch schon damals nur ein frommer Wunsch gewesen. 

Im Jahr 1967 trat in der Bundesrepublik das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ in Kraft, allgemein immer nur Stabilitätsgesetz genannt. Es benennt vier Einzelziele, die Bund und Länder mit ihren wirtschaftlichen und finanz­politischen Maßnahmen gleichzeitig erreichen sollen. Sie werden häufig als „magisches Viereck“ bezeichnet, weil sie sich nicht immer ohne Konflikte gleichzeitig realisieren lassen. Das magische Viereck umfasst laut Gesetz folgende Ziele: Ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum, ein stabiles Preisniveau, ein hoher Beschäftigungsstand und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht.

Klingt vernünftig, oder? Allerdings wird es Keinen wundern, dass die Daten zum magischen Viereck über die letzten 50 Jahre deutlich schwankten und fast immer mindestens eines dieser Ziele verfehlt wurde. Zudem sind diese vier Ziele bei weitem nicht die einzigen, die sich ein moderner Staat setzen sollte. So sollte die Politik auch beachten, dass es noch andere wichtige Ziele gibt, die teilweise in Konflikt mit den oben genannten Indikatoren stehen.

Beispielsweise mag zwar der deutsche Staatshaushalt einen Überschuss aufweisen, aber gleichzeitig verfällt die deutsche Infrastruktur. In Deutschland stehen immer mehr Menschen in Lohn und Brot, aber gleichzeitig steigt auch die Zahl der von Armut bedrohten Menschen. Die Wirtschaft mag zwar konstant und relativ solide wachsen, aber dies gilt leider auch für den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase.

Damit Regierungen sich diesen und anderen Konflikten stellen, haben die Ökonomen Sebastian Dullien und Till van Treeck schon 2012 vorgeschlagen, per Gesetz ein „Neues Magisches Viereck“ der Wirtschaftspolitik einzuführen. Dieses ergänzt die im alten Viereck enthaltenen Zielgrößen um weitere Indikatoren und verändert die Schwerpunktsetzung. Die neuen vier Zielgrößen lauten: Wirtschaftlicher Wohlstand und Stabilität, Nachhaltigkeit der Staatstätigkeit und der –finanzen, soziale Nachhaltigkeit und ökologische Nachhaltigkeit.

Das gewerkschaftseigene Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf untersucht gelegentlich, wie es um das Neue Magische Viereck bestellt ist. Und, wenig überraschend, zeigt die aktuelle Auswertung der Wirtschaftspolitik für die Jahre 2019 bis 2023, dass Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit viele Ziele nicht erreicht hat. Beim materiellen Wohlstand und der ökonomischen Stabilität sind das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und der Konsum pro Kopf gesunken, während die Inflationsrate und die Leistungsbilanzüberschüsse zu hoch waren. Ein großer Erfolg war allerdings, trotz Krisen, die ansteigende Beschäftigungsquote.

„Die Nachhaltigkeit der Staatstätigkeit und der Staatsfinanzen zeigt eine Verschlechterung aller Indikatoren“, schreibt IMK-Autor Fabian Lindner. „Defizite und Schuldenstandquote sind gestiegen, und die öffentlichen Nettoinvestitionen blieben unzureichend.“ Auch bei der sozialen Nachhaltigkeit sei zum aktuellen Zeitpunkt keines der Ziele erreicht worden. Die Armutsrisikoquote ist im Vergleich zum Vorjahr minimal gesunken, die Einkommensungleichheit nahm leicht zu, und der Gender Pay Gap blieb bestehen. Der Anteil der Jugendlichen ohne Abschluss stieg an.

Beim Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit bescheinigt Lindner der Bundesregierung eine „zielkonforme Reduzierung der Treibhausgasemissionen.“ Allerdings seien die Reduzierung des Primärenergieverbrauchs und der Ausbau der erneuerbaren Energien hinter den Zielen zurückgeblieben. Auch die Ziele zur Biodiversität wurden nicht annähernd erreicht. Diese Ergebnisse zeigten laut Lindner „die Herausforderungen, denen die deutsche Wirtschaftspolitik in der Polykrise gegenübersteht.“ Wer will, kann hier die gesamte Studie hier als PDF herunterladen.

Reich und schmutzig – Arm und rein?

Quelle: DIW Berlin

Bestimmt hat sich jeder schon mal gefragt, warum CO2-Emissionen in Kilogramm und Tonnen gemessen werden – mit der Waage jedenfalls nicht. Aber man kennt die Ausgangsgrößen und weiß, dass Masse nicht verschwindet. Das heißt: Wenn man ein Stück Holz verbrennt, hat man als Ausgangsmaterialien die Masse vom Holz und die Masse des Sauerstoffs. Das zusammen entspricht am Ende der Summe aus der Masse der Verbrennungs- Rückstände Asche und der Abgase, darunter unser CO2. Masse ist also immer da und die Wissenschaftler wissen auch, was ein Atom eines Stoffes wiegt. Der Rest ist ein bisschen Rechnerei.

In der Naturwissenschaft verwendet man Mol als Mengenangabe. Hinter Mol steckt eine Anzahl von Atomen eines Stoffes und jedes Atom hat eben ein Gewicht. Ein Mol Kohlenstoff wiegt zwölf Gramm, dazu kommt bei der Verbrennung zweimal Sauerstoff (es heißt ja CO2), das wären zwei mal 16 Gramm. Mit anderen Worten: Wer zwölf Gramm Kohlenstoff verbrennt, produziert 44 Gramm CO2. Da wir auch die chemische Zusammensetzung von Erdgas, Schweröl, Benzin oder Diesel kennen, lässt sich ganz leicht ausrechnen, welche Mengen CO2 bei der Verbrennung jeweils freiwerden.

Da liegt es nahe, aus dem Konsumverhalten der Menschen auf ihre Treibhausgasemissionen zu schließen – und genau das haben die Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gemacht. Ergebnis: Jeder in Deutschland lebende Mensch verursacht mit 6,5 Tonnen im Schnitt jährlich mehr als doppelt so viel Treibhausgasemissionen, wie nach Berechnungen von Klimaexperten mit bis zu drei Tonnen als klimaverträglich eingestuft wird. Menschen aus den einkommensstärksten Haushalten haben dabei mit mehr als zehn Tonnen durchschnittlich einen doppelt so großen CO2-Fußabdruck wie Menschen aus Niedrigeinkommenshaushalten (5,6 Tonnen pro Kopf).

Der größte Treiber des Unterschieds sind Flugreisen. Das sind die Hauptergebnisse einer aktuellen Studie des DIW. Die DIW- Forscherinnen Sandra Bohmann und Merve Kücük haben dafür auf Basis von Vorabdaten aus dem Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP) aus dem Jahr 2023 nicht nur den CO2-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland in den Bereichen Wohnen, Ernährung und Mobilität berechnet, sondern auch die Verteilung der Emissionen nach dem Einkommen der Haushalte betrachtet.

Ob arm oder reich: Unser CO2-Fußabdruck ist auf jeden Fall zu groß. Die Höhe des Haushaltseinkommens spielt für die Emissionen im Bereich Ernährung oder Wohnen kaum eine Rolle – beim Mobilitätsverhalten dagegen schon“, fasst Studienautorin Merve Kücük aus der Abteilung Klimapolitik des DIW Berlin die Ergebnisse zusammen. In der Regel verursachen Menschen mit hohen Haushaltseinkommen beim Wohnen sogar etwas weniger Emissionen als Menschen mit niedrigen Einkommen, weil sie beispielsweise häufiger in energieeffizienteren Gebäuden leben.

Während das Mobilitätsverhalten mit durchschnittlich zwei Tonnen Kohlendioxid pro Kopf zu Buche schlägt, fallen für das Wohnen, also Strom, Heizen und Warmwasser, rund 2,9 Tonnen CO2 jährlich an. Die Anzahl der Personen im Haushalt macht dabei einen großen Unterschied: Während ein Vierpersonenhaushalt pro Kopf nur 1,7 Tonnen CO2 verursacht, sind es in einem Einpersonenhaushalt mehr als vier Tonnen. Auch die Wohnfläche macht einen Unterschied. Jeder Quadratmeter Wohnfläche, der pro Person mehr zur Verfügung steht, bedeutet 22 Kilogramm mehr Emissionen pro Kopf.

Bei der Ernährung ist vor allem der Fleischkonsum entscheidend. Wer kein Fleisch isst, verursacht in diesem Bereich nur 1,2 Tonnen pro Kopf und Jahr an Treibhausgasemissionen, während es bei mäßigem bis hohem Fleischkonsum zwischen 1,6 und 2,1 Tonnen sind. Weder beim Wohnen noch bei der Ernährung lassen sich Unterschiede bei den durchschnittlichen Emissionen nach dem Einkommen beobachten.

Anders sieht es bei der Mobilität aus. „Insbesondere das Fliegen vergrößert den CO2-Fußabdruck und ist einer der Hauptgründe, warum Menschen aus Haushalten mit höheren Einkommen einen doppelt so großen Fußabdruck haben wie diejenigen mit niedrigem Einkommen“, fasst SOEP-Studienautorin Sandra Bohmann zusammen. „Eine einzige Langstreckenflugreise führt zu mehr Emissionen pro Kopf als Wohnen und Ernährung in einem ganzen Jahr zusammen.“

Das Bestreben, nachhaltiger zu konsumieren, birgt aber auch Fallstricke, so das Ergebnis der zweiten Studie. Einkommensschwache Haushalte können sich umweltfreundlichen Konsum oft nicht leisten. Das Gefühl von Einkommensungleichheit wird durch das Bedürfnis nach nachhaltigen, aber teureren Produkten verstärkt. Der Staat steht also vor einem Dilemma: Er will einerseits klimagerechtes Verhalten fördern, andererseits damit verbundene größere Unterschiede zwischen armen und reichen Haushalten aber abmildern.

Grafik: DIW Berlin

 

Löcher stopfen wird immer teurer

Quelle: IW

Erodierende Straßen, Schienen und Brücken, mangelhafte Bildungsinfrastruktur, veraltete Gebäude, fehlende Voraussetzungen, um nachhaltig und ausreichend Strom, Wasserstoff und Wärme zu produzieren: In ganz Deutschland wird das Loch der fehlenden und versäumten Investitionen immer gigantischer. Eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und des von den Gewerkschaften finanzierten Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf listet die Defizite akribisch auf – und will zeigen, wie es besser geht.

Ja, das hat man selten, dass sich ein arbeitgebernahes und ein gewerkschaftsfinanziertes Wirtschaftsforschungsinstitut zusammentun, um gemeinsam eine Studie anzugehen – man könnte fast vermuten, wenn es so weit kommt, muss es richtig schlecht stehen um die deutsche Wirtschaft.

Und tatsächlich: 600 Milliarden Euro – diese Summe müsste Deutschland in den nächsten zehn Jahren aufbringen, um das Land voranzubringen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die das IW gemeinsam mit dem IMK der Hans-Böckler-Stiftung erstellt hat. Im Grunde weiß man gar nicht, wo man mit dem Löcherstopfen anfangen soll: Das Bildungssystem verbessern, den Investitionsstau in den Kommunen beseitigen, Straße und Schiene ertüchtigen und die Dekarbonisierung ermöglichen – das alles muss möglichst sofort und gleichzeitig angegangen werden, sonst wird’s noch teurer. Beide Institute hatten den zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf für die folgenden zehn Jahre 2019 schon einmal geschätzt – und kamen damals auf mindestens 460 Milliarden Euro. Seitdem hat der Investitionsdruck zugenommen, auch durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Rund ein Drittel der Summe – 177 Milliarden Euro – sei nötig, um den Sanierungsstau bei Städten und Gemeinden aufzuholen. Hinzu kämen rund 13 Milliarden Euro, die den Kommunen helfen, sich vor extremem Wetter zu schützen, beispielsweise Starkregen oder Hitze, heißt es in der Studie. Rund 200 Milliarden Euro veranschlagen die Wissenschaftler für öffentliche Investitionen in Klimaschutz. Als größten Einzelposten machen sie die energetische Gebäudesanierung aus. Weitere wichtige Aufgaben sind der Netzausbau für Strom, Wasserstoff und Wärme, die Erzeugung und Speicherung von Erneuerbaren Energien sowie die Förderung von Energieeffizienz und Innovationen.

Rund 127 Milliarden Euro sind für Verkehrswege und ÖPNV vorgesehen: Mit knapp 60 Milliarden Euro lassen sich das Schienennetz, für weitere 28 Milliarden der ÖPNV modernisieren und erweitern. 39 Milliarden Euro sind notwendig, um die Fernstraßen auf Vordermann zu bringen. Für Bildungsinfrastruktur veranschlagen die Autoren rund 42 Milliarden Euro, davon sollen rund sieben Milliarden in den Ausbau von Ganztagsschulen fließen. Weitere 35 Milliarden Euro decken den Sanierungsbedarf an Hochschulen ab. Und schließlich sehen IMK und IW Investitionsbedarf, um den Wohnungsmangel in vielen deutschen Großstädten zu mildern. Über zehn Jahre sollen daher zusätzlich knapp 37 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau fließen.

Finanziert werden könnte dieser Bedarf mit einem Infrastrukturfonds, der wie ein Sondervermögen von der Schuldenbremse ausgenommen wäre. Alternativ wäre eine „Goldene Regel“ denkbar, die dem Staat erlaubt, Kredite im Umfang der Investitionen aufzunehmen, und die als Zusatz zur Schuldenbremse formuliert würde. „Die deutsche Wirtschaft steht vor gigantischen Herausforderungen“, sagt IW-Direktor Michael Hüther. „Wir brauchen jetzt Mut, um uns vom Stückwerk zu verabschieden und das Land zukunftsfähig zu machen.“ Zu Schnelligkeit rät auch IMK-Direktor Sebastian Dullien: „Wenn wir erfolgreich Tempo machen, ist der Umbau schneller geschafft. Davon profitieren auch Wirtschaft und Beschäftigte – und natürlich auch die nächste Generation.“

Hier geht’s zur Studie: https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/michael-huether-simon-gerards-iglesias-600-milliarden-euro-fuer-eine-zukunftsfaehige-wirtschaft.html

 

 

Deutschland: Bald kaputt, aber schuldenfrei

Die Kritiker der Schuldenbremse erhalten Unterstützung von unerwarteter Seite. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) schlägt neuerdings vor, die im Grundgesetz verankerte Regel zu überarbeiten.

 

„Ziel der Schuldenbremse ist es, die Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen zu sichern. In ihrer aktuellen Ausgestaltung ist die Schuldenbremse allerdings starrer, als es für die Aufrechterhaltung der (Schulden-)Tragfähigkeit in Deutschland notwendig wäre“, heißt es in einem zwölfseitigen so genannten Policy Brief der so genannten Wirtschaftsweisen. „Vor dem Hintergrund der Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung der Schuldenbremse und der daraus resultierenden stärkeren fiskalpolitischen Einschränkungen im Anschluss an eine Notlage sollte eine Reform der Schuldenbremse in Betracht gezogen werden“, schlagen die Wirtschaftsprofessorinnen und -professoren Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer, Achim Truger und Martin Werding vor.

„Die Schuldenbremse, wie sie jetzt ist, ist zu starr“, sagt die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, die Münchener Ökonomin Monika Schnitzer. „Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, sodass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen.“ Die Schuldenbremse schreibt vor, dass die Länder in wirtschaftlich normalen Jahren ohne neue Kredite auskommen müssen, und dem Bund wird ein eine Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung zugestanden.

Unter Ökonomen ist man sich weitgehend einig: Diese Regelung ist viel zu unflexibel. Sie verhindert die Aufnahme dringend benötigter Kredite, um den klimagerechten Umbau des Landes, die Digitalisierung und die Instandhaltung der Infrastruktur nachhaltig anzugehen. Vor allem die SPD-Bundestagsfraktion dringt deshalb auf eine grundlegende Reform. Dass sie nun zumindest im Prinzip Rückendeckung vom Sachverständigenrat erhält, war angesichts früherer Stellungnahmen des Expertengremiums so nicht zu erwarten. „Allerdings verändert sich auch die Besetzung des Rats immer wieder“, heißt es in der Süddeutschen Zeitung.

„Eine pragmatische Reform könnte (…) die Flexibilität der Fiskalpolitik erhöhen, ohne die Stabilität zu gefährden“, schreiben die Wirtschaftsweisen in ihrem Policy Brief. Erstens sollte eine Übergangsphase in den Jahren unmittelbar nach einer Anwendung der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse eingeführt werden. In dieser Phase dürfte die zulässige Neuverschuldung weiterhin über der normalen Regelgrenze liegen, müsste aber stetig reduziert werden.

Unmittelbar nach Ende des Jahres, für das eine Notlage festgestellt wurde, gelten nämlich wieder die alten Regelgrenzen, wenn nicht erneut die Notlage ausgerufen werden kann. Dies ist jedoch nur möglich, wenn es weiterhin eine erhebliche Belastung des Bundeshaushalts durch die Krisensituation gibt. „Krisen haben jedoch oft auch dann noch spürbare Auswirkungen, wenn ihre primäre Ursache bereits überwunden ist. Der zur Einhaltung der Schuldenbremse notwendige Konsolidierungsbedarf könnte für eine noch schwächelnde Wirtschaft unnötig starke, negative Impulse setzen“, zitieren sich die Wirtschaftsweisen selbst aus ihrem Jahresgutachten von 2021. Zudem bestünde ein wichtiges Instrument der Krisenbekämpfung darin, Erwartungen zu stabilisieren und wirtschaftlichen Akteuren Planungssicherheit zu geben. „Dazu können auch nach dem unmittelbaren makroökonomischen Schock fiskalische Spielräume nötig sein“, argumentieren die Fünf Weisen.

Als zweites schlagen die Sachverständigen vor, die starre Bremsregel von 0,35 Prozent des BIP flexibler zu gestalten – und zwar nicht willkürlich, sondern immer in Relation zum Gesamtschuldenstand. „Die Regelgrenze könnte so ausgestaltet werden, dass bei geringerer Schuldenstandsquote höhere strukturelle Defizite als bisher, bei höherer Schuldenstandsquote weiterhin nur die bisherigen Defizite zulässig sind“. So sollte der Bund die Regelgrenze anheben dürfen, wenn die Staatsschuldenquote insgesamt vergleichsweise niedrig ist. Machen die Gesamtverbindlichkeiten gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) weniger als 60 Prozent aus, soll die Neuverschuldungsgrenze statt bei 0,35 bei einem Prozent des BIP liegen dürfen. Bei Quoten zwischen 60 und 90 Prozent wären 0,5 Prozent erlaubt.

Laut Statistischem Bundesamt lag die Gesamtverschuldung im vergangenen Jahr bei 64,4 Prozent des BIP. Damit wäre – übrigens auch nach EU-konformen Regeln – eine Nettoneuverschuldung von einem Prozent des BIP möglich, als fast eine Verdreifachung des möglichen Spielraums für kreditfinanzierte Investitionen. Kommentar eines Lesers der Süddeutschen Zeitung: „Na – das war jetzt aber mal eine schwere Geburt, die Einsicht, dass es keinen Sinn macht, den Kindern einen schuldenfreien Haushalt aber ein kaputtes Land zu hinterlassen.“

 

Schuldenbremse: Zu scharf gebremst

Foto: Rolf Wenkel, gesehen in Boulogne sur Mer in Nordfrankreich.

Seit gestern (15.01.2024) ist es amtlich: Die deutsche Wirtschaft ist im vergangenen Jahr nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes geschrumpft, um 0,3 Prozent. Europas größte Volkswirtschaft ist in die Rezession gerutscht. Kein Wunder, könnte man sagen, was ist auch anderes zu erwarten angesichts von Krisen, Kriegen, Inflation und steigenden Zinsen? Schließlich sind das externe Einflüsse, für die doch niemand etwas kann, oder?

Komisch nur, dass die anderen großen Volkswirtschaften in der Europäischen Union dies besser weggesteckt haben und leicht gewachsen sind. Hier zeigt sich, dass die exportorientierte Wirtschaft in Deutschland besonders leidet, wenn die Weltwirtschaft schwächelt. Putins Überfall auf die Ukraine hat eine Explosion der Energiepreise verursacht, die besonders die Industrieproduktion getroffen hat – die in Deutschland weit mehr zum BIP beiträgt als in anderen Ländern Europas. Im November ist sie den sechsten Monat in Folge geschrumpft.

Putins Überfall hat zudem eine allgemeine Preisexplosion verursacht, der die Europäische Zentralbank und weltweit viele andere Zentralbanken zum Handeln gezwungen hat, um mit steigenden Leitzinsen die Inflation einzudämmen. Das ist zwar gelungen, die Inflation klingt langsam ab, aber hohe Zinsen sind ein zweischneidiges Schwert, sie würgen auch die Konjunktur ab, sie verteuern die Investitionen, lassen die Unternehmen weltweit zögern, in Deutschland neue Maschinen zu bestellen. Die Ausfuhrbilanz der deutschen Wirtschaft ist denn auch in den ersten elf Monaten nach vorläufigen Berechnungen gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum geschrumpft – und zwar um satte elf Prozent.

Hinzu kommen aber auch hausgemachte Probleme. 2022 ist die deutsche Wirtschaft trotz Ukraine-Krise noch um 1,8 Prozent gewachsen, dieses Jahr wird sie wohl eher weiter schrumpfen. Denn der Regierung fällt nach dem Karlsruher Haushaltsurteil nichts Besseres ein als einen harten Sparkurs zu fahren, der die Konjunkturmisere vermutlich noch verschlimmern wird. Ausgaben kürzen, Abgaben erhöhen und an einer falsch konzipierten Schuldenbremse festhalten – das alles verheißt nichts Gutes.

Der Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup hält die Schuldenbremse für eine „finanzpolitische Lebenslüge“ (Handelsblatt, 08.09.2023), DIW-Präsident Marcel Fratzscher schreibt in einer ZEIT ONLINE-Kolumne, die Schuldenbremse sei „nicht mehr zeitgemäß. Sie ist schädlich, weil sie blind ist, wofür der Staat sein Geld ausgibt: ob für Konsum oder für Zukunftsinvestitionen. Dies muss in einer Schuldenregel zwingend berücksichtigt werden. Zweitens begrenzt das Urteil die Fähigkeit von Bundes- und Länderregierungen, über Schulden Investitionen tätigen zu können“. Und für den Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung Alexander Hagelüken ist klar: „Olaf Scholz wird wirtschaftlich wie politisch nur Erfolg haben, wenn er sich nicht mehr von den ökonomisch überholten Spardogmen der FDP dominieren lässt.“ (SZ, 16.01.2024)