Wirtschaft erholt sich trotz Krise

Foto: Rolf Wenkel

„Einkommensverluste trotz BIP-Wachstum“, schreibt das Münchener Ifo-Institut, „Deutschland shoppt sich aus der Krise“, titelt die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Wirtschaftsseite. Beide beziehen sich auf den gleichen Sachverhalt: Die deutsche Wirtschaft ist im Krisenjahr 2022 um 1,9 Prozent gewachsen, meldet das Buddhistische Standesamt in Wiesbaden.

Auf den ersten Blick eine erfreuliche Nachricht, obwohl die Wirtschaftsforscher Anfang 2022 sogar mit einem Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent gerechnet haben. Denn das Jahr 2022 sollte das Jahr der raschen Erholung vom Corona-Crash des Vorjahres werden. Knapp vier Prozent Wachstum wären vermutlich auch drin gewesen, wenn nicht der Kriegsverbrecher im Kreml alles zunichte gemacht hätte.

Plötzlich bestand die Gefahr, dass den Deutschen das Gas ausgeht, die Bürger frieren, die energieintensiven Fabriken reihenweise dichtmachen und die deutsche Wirtschaft vor einem Kollaps steht. Insofern ist ein Wachstum von 1,9 Prozent noch ein überraschend guter Wert, das fünfthöchste der vergangenen zehn Jahre.

Wachstumsträger: Der private Konsum

Großen Anteil an diesem Wachstum hatten die Verbraucher. Zu befürchten war, dass die Haushalte wegen der hohen Preise für Lebensmittel und Energie weniger konsumieren. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Konsumausgaben stiegen inflationsbereinigt um 4,6 Prozent und waren damit fast so hoch wie vor der Corona-Krise. „Grund hierfür waren Nachholeffekte im Zuge der Aufhebung fast aller Corona-Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2022. Dies wird besonders deutlich bei den Ausgaben für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen. Auch im Bereich Freizeit, Unterhaltung und Kultur gaben die privaten Haushalte wieder mehr aus als noch vor einem Jahr“ schreibt das Statistische Bundesamt.

 

Aber jede Medaille hat zwei Seiten. So gibt Ifo-Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser in einer Pressemitteilung zu bedenken, dass in Zeiten wie diesen die mit dem BIP gemessene wirtschaftliche Leistung die Einkommens- und damit die Wohlstandsentwicklung einer Volkswirtschaft überzeichnet. Da ein Großteil der Energie und der Vorprodukte aus dem Ausland bezogen wird und da durch ihre Verknappung die Importpreise kräftig gestiegen sind, musste ein zunehmender Teil von dem in Deutschland erwirtschafteten Einkommen zur Begleichung der Importrechnung verwendet werden.

Grafik: Ifo-Institut

„Daher dürften die verbleibenden Realeinkommen der deutschen Haushalte und Unternehmen nach Schätzungen des ifo Instituts im vergangenen Jahr um 0,7 Prozent geschrumpft sein“ schreibt Wollmershäuser. Oder anders ausgedrückt: „Insgesamt ging Deutschland im vergangenen Jahr Realeinkommen und damit Wohlstand im Umfang von schätzungsweise knapp 110 Milliarden Euro verloren“.

 

 

Rottet sich die AfD selbst aus?

Grafik: Tim Reckmann / pixelio.de

 

 

Eine bereits länger gefühlte Wahrheit ist jetzt wissenschaftlich dingfest gemacht: Es ist kein Zufall, dass in AfD-Hochburgen auch die Corona-Inzidenzen überdurchschnittlich sind, berichtet die Katholische Nachrichten-Agentur KNA. 

 

Durch die Auswertung von umfangreichem Datenmaterial haben Forscher aus Jena und München nachgewiesen: Der AfD-Zweitstimmenanteil hat “signifikante Effekte“ auf die regionalen Anstiege der Corona-Infektionszahlen in den ersten beiden Wellen. Signifikant heißt in der Wissenschaft: Nicht mehr durch den Zufall erklärbar.

Als Grundlage für die Studie dienten die Wahlergebnisse und Nichtwähleranteile der letzten Bundestagswahlen sowie die Daten zum Infektionsgeschehen im vergangenen Jahr in allen 401 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten. Die Forschungsarbeit stellt fest: Die durchschnittliche Infektionshöhe in der ersten Pandemiewelle ist dort um 2,2 Prozentpunkte erhöht, wo das Wahlergebnis der AfD um einen Prozentpunkt ansteigt.

„Damit liegt statistisch die Infektionshöhe in einem Kreis mit 20 Prozent AfD-Zweitstimmenanteil circa 22 Prozentpunkte über einem Kreis mit einem Stimmenanteil von lediglich 10 Prozent“, erklärt der Soziologe und Mitautor der Studie, Christoph Richter. Dies gelte für West- und Ostdeutschland gleichermaßen. Andere Erklärungen schlossen die Autoren aus.

Denn die Wissenschaftler vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, die dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt angehören, und vom Helmholtz Zentrum München zogen auch weitere soziostrukturelle Variablen wie die wirtschaftliche Situation, Mobilität, Grenznähe, Lebenserwartung und Altersstruktur in ihre Untersuchungen ein. Jedoch keiner dieser insgesamt 48 Faktoren lieferte eine alternative Erklärung.

Steigende Corona-Zahlen ließen sich auch im Zusammenhang mit rechtsextremen Kleinstparteien und Nichtwähler-Anteilen beobachten. Ein ähnlicher Effekt konnte jedoch nicht für die anderen im Bundestag vertretenen Parteien ausgemacht werden.

Schon im Sommer wies eine Studie der TU Dresden in eine ähnliche Richtung. Sie befasste sich mit der Pandemie in Sachsen. Ein besonders hohes Maß an Ablehnung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie lasse sich vor allem bei AfD-Sympathisanten finden. Sie neigten zudem überdurchschnittlich oft dazu, sich nicht impfen lassen zu wollen.

Die Arbeit der TU legte zudem offen, dass “pandemieskeptische Einstellungen und ein Corona-bezogenes Verschwörungsdenken“ verbreitet bei jenen Personen sind, die mit der AfD sympathisieren. Auch die Jenaer Wissenschaftler verwiesen im Blick auf andere Forschungsarbeiten darauf, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen und Verschwörungsglauben “stark“ miteinander korrelieren. Dies zeige sich unter anderem in einer Skepsis bis hin zur offenen Ablehnung derjenigen demokratischen Institutionen, die Entscheidungsrelevanz in der Pandemie besäßen.

Das Feindbild der eigenen Regierung ist das Narrativ, dessen sich auch die AfD bedient. Die Forscher vom IDZ bescheinigen der Partei eine “beachtliche inhaltliche Kehrtwende“ in ihrer Corona-Politik. Bis April 2020 noch forderte sie Grenzschließungen und effektivere Schutzmaßnahmen. Es folgte der Ruf nach sofortiger Beendigung der Maßnahmen. Die AfD zielte “auf die Delegitimierung demokratischen staatlichen Handelns und beförderte die in der Pandemie aktualisierten Anti-Establishment-Haltungen“, beschreiben die Autoren.

Ihre Studie galt der ersten und zweiten Pandemie-Welle. Ausgehend von den Ergebnissen sei anzunehmen, dass rechte Einstellungen jedoch auch bei der aktuellen vierten Welle und einer mangelnden Impfbereitschaft verstärkt auf die Pandemie einwirkten. Bei der Bundestagswahl 2021 kam die AfD in Sachsen auf 24,6 Prozent der Zweitstimmen. In der vergangenen Novemberwoche überschritt die Inzidenz im Freistaat die Tausendermarke. In beiden Fällen führt das Bundesland die Statistik an.

Führende AfD-Vertreter wie etwa die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel brüsten sich geradezu damit, nicht geimpft zu sein und nutzen dies auch zur politischen Instrumentalisierung. Sie werde die Interessen der Ungeimpften und derer, die sich diskriminiert fühlten, im Bundestag “bis zum Ende vollumfänglich vertreten und sie verklagen und jagen, bis es nicht mehr weitergeht“.

Als das Erzbistum Berlin bekanntgab, dass für die Gottesdienste in der Advents- und Weihnachtszeit weitgehend 2G-Auflagen gelten sollten, warf die Brandenburger AfD der Kirche prompt vor, sie diskriminiere damit die Ungeimpften. An ihre Zielgruppe gewandt sagte die kirchenpolitische Fraktionssprecherin Kathleen Muxel: “Wer an den Herrn glaubt, sollte sich vor der Plage Corona nicht ängstigen.“

Mehr Covid-Infekte durch Querdenker

Das Titelblatt der Studie Quelle: ZEW

Heute bin ich auf eine Pressemitteilung des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW gestoßen, die ich für bemerkenswert halte: Die „Querdenker“-Demos im November 2020 haben dazu beigetragen, dass sich das Corona-Virus innerhalb Deutschlands stark verbreitet hat, zeigt eine aktuelle Studie des ZEW und der Humboldt-Universität zu Berlin. Untersucht wurde, wie sich die zwei großen „Querdenken“-Kundgebungen im November 2020 auf die Sieben-Tage-Inzidenz bis Ende Dezember ausgewirkt haben. Ich bin ehrlich: Mein Mitleid mit denen, die sich dort infiziert haben, hält sich in Grenzen.

Untersucht wurde das Infektionsgeschehen in den Landkreisen, aus denen zehntausende Demonstranten zu den Kundgebungen am 7. November 2020 in Leipzig und am 18. November 2020 in Berlin anreisten. Um diese Orte zu bestimmen, nutzen die Autoren der Studie Informationen über das Angebot von Busreisen eines Netzwerks von Busunternehmen, das sich seit Sommer 2020 auf die Beförderung von Demonstranten zu den „Querdenken“-Kundgebungen spezialisiert hat.

So stieg die Sieben-Tages-Inzidenz nach den Demonstrationen deutlich stärker in Landkreisen an, die Städte mit einer solchen Busverbindung beinhalten, als in Landkreisen ohne solche Busverbindungen. Dies hatte bis Weihnachten einen Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz um 40 in den betroffenen Landkreisen zur Folge.

Die Wissenschaftler schätzen, dass bis Weihnachten zwischen 16.000 und 21.000 Covid-19-Infektionen hätten verhindert werden können, wenn diese beiden großen „Querdenker“-Kundgebungen abgesagt worden wären. „Die Analyse von ZEW und Humboldt-Universität quantifiziert somit erstmals den Zielkonflikt zwischen der Einschränkung von Freiheitsrechten und gesundheitspolitischen Maßnahmen zum Infektionsschutz“, heißt es in einer am 09.02.2021 veröffentlichten Pressemitteilung des ZEW.

Das individuelle Verhalten – wenn Personen beispielsweise entgegen der geltenden Regeln keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen oder Abstandsregeln missachten – kann laut ZEW-Analyse große Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben. „Eine mobile Minderheit, die sich nicht an geltende Hygieneregeln hält, kann so ein erhebliches Risiko für andere Personen darstellen“, sagt der ZEW-Wissenschaftler und Koautor der Studie, Martin Lange.

Das ZEW in Mannheim forscht im Bereich der angewandten und politikorientierten Wirtschaftswissenschaften und stellt der nationalen und internationalen Forschung wichtige Datensätze zur Verfügung. Das Institut berät Politik, Unternehmen und Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene. Es untersucht vor allem, wie Märkte und Institutionen gestaltet sein müssen, um eine nachhaltige und effiziente wirtschaftliche Entwicklung der wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften zu ermöglichen. Das ZEW wurde 1991 gegründet. Es ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Derzeit arbeiten am ZEW Mannheim rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen rund zwei Drittel wissenschaftlich tätig sind.

Hier geht es zum Download der Studie