Droht uns eine Chip-Krise?

Grafik: Bitkom

Deutschlands Versorgung mit Halbleitern könnte aufgrund geopolitischer Krisen stark gefährdet sein – so die in der Wirtschaft weit verbreitete Meinung. 92 Prozent der Unternehmen, in denen intensiv mit Halbleitern gearbeitet wird, halten insbesondere die Drohungen Chinas gegenüber Taiwan mit Blick auf die Halbleiterversorgung in Deutschland für besorgniserregend. Und das Vertrauen in die USA schwindet.

Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom unter 503 Unternehmen ab 20 Beschäftigten aus verarbeitendem Gewerbe, der IT und Telekommunikation – also Branchen, in denen Halbleiter stark genutzt werden.

Rund zwei Drittel haben kein Vertrauen in die USA

Nur noch 37 Prozent der Unternehmen, die Halbleiter verwenden, vertrauen den USA in Sachen weitere Versorgung mit Chips. Knapp die Hälfte (48 Prozent) hat dagegen „eher geringes Vertrauen“ und 14 Prozent „gar kein Vertrauen“ in die Vereinigten Staaten. „Halbleiter stehen im Mittelpunkt internationaler Wirtschaftskonflikte“, so wird Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst in einer Pressemitteilung zitiert. „Wir brauchen daher ein starkes Ökosystem von Unternehmen rund um Halbleiter in Deutschland und Europa. So können wir Abhängigkeiten reduzieren und sind weniger erpressbar.“

Neun von zehn Unternehmen verwenden Halbleiter, acht von zehn halten sie für unverzichtbar. Wer im Jahr 2025 Halbleiter bereits gekauft hat oder dies noch tut, bezieht diese vor allem von Unternehmen, die ihren Hauptsitz in den USA (72 Prozent) und in China haben (63 Prozent). Auf Platz Drei liegen Halbleiter-Unternehmen mit dem Hauptsitz in Deutschland (54 Prozent), auf Platz Vier in Japan (36 Prozent). 28 Prozent beziehen ihre Halbleiter von Unternehmen mit Sitz in Taiwan, 27 Prozent von südkoreanischen Unternehmen und 26 Prozent aus der restlichen EU.

„Halbleiter stecken in Smartphones, in Medizintechnik, in Autos, Industrieanlagen, Rechenzentren und Kommunikationsnetzen – ohne sie stünden viele Bereiche unseres Lebens still“, so Wintergerst. „Ihre Herstellung beruht auf einem hochkomplexen globalen Produktionsnetzwerk, in dem viele Länder eng verflochten sind.“ Nicht nur China und die USA, sondern auch Taiwan spielt dabei eine zentrale Rolle für Entwicklung und Produktion der leistungsfähigsten Chips. Ein Konflikt um Taiwan würde daher weit über die Region hinaus die weltweite Chipversorgung massiv stören.

So fordern 90 Prozent der befragten Unternehmen, Deutschland müsse einseitige Abhängigkeiten bei der Halbleiterversorgung beenden. 86 Prozent halten ein starkes Halbleiter-Ökosystem wichtig für die nationale Sicherheit und 85 Prozent für entscheidend, wenn es um die digitale Souveränität Deutschlands geht. Den Status-quo der Halbleiter-Versorgung erleben die Unternehmen weiterhin als schwierig, wenn auch weniger problematisch als 2023 und 2021. So hatten 60 Prozent derjenigen, die in diesem Jahr bereits Halbleiter gekauft haben, Schwierigkeiten bei der Beschaffung – 2023 sagten dies noch 89 Prozent und 81 Prozent im Jahr 2021.
Durchschnittlich 4 Monate Lieferverzögerung

Die Schwierigkeiten bleiben aber vielfältig: 96 Prozent der von Beschaffungsproblemen betroffenen Unternehmen leiden unter Lieferverzögerungen, 91 Prozent sind mit Preiserhöhungen konfrontiert. Für 84 Prozent sind bestimmte Bauteile teilweise nicht verfügbar, bei 75 Prozent wurden die Liefermengen reduziert. Zwei Drittel (67 Prozent) haben mit Export- oder Importbeschränkungen zu kämpfen. Rund vier Monate beträgt aktuell die durchschnittliche Lieferverzögerung bei Halbleitern in Deutschland. Damit hat sich die Verzögerung leicht abgemildert, bleibt aber auf hohem Niveau: Vor zwei Jahren waren es 5 Monate, 2021 noch 6,5 Monate. Wintergerst: „Die Lage auf dem Halbleitermarkt bleibt angespannt – auch wenn sich die schlimmsten Engpässe der vergangenen Jahre gelöst haben. Lieferverzögerungen, Preissprünge und Exportbeschränkungen bleiben Bremsklötze für die deutsche Industrie. Um dauerhaft unabhängiger zu werden, braucht es mehr europäische Fertigungskapazitäten, strategische Partnerschaften und gezielte Maßnahmen, die die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick nehmen. Dass die Bundesregierung dieses Problem mit einer eigenen Mikroelektronik-Strategie angehen will, ist daher ein wichtiger Schritt.“

Der Umgang mit Lieferanten aus den USA ist für viele Unternehmen, die dort Halbleiter kaufen oder kaufen wollen, von Unsicherheiten unter anderem durch die amerikanische Handelspolitik geprägt. 15 Prozent geben bereits jetzt an, künftig keine Halbleiter mehr aus den USA beziehen zu wollen – 13 Prozent definitiv, zwi Prozent wahrscheinlich. Weitere 21 Prozent würden gern anderswo Halbleiter beziehen, haben aber keine gleichwertigen Alternativen gefunden. 14 Prozent wollen weiter von amerikanischen Unternehmen kaufen, obwohl es für sie gleichwertige Alternativen gibt – und 31 Prozent werden wahrscheinlich Halbleiter von Unternehmen beziehen, die ihren Sitz in den USA haben.

Vier von zehn rechnen mit kritischer Versorgungslage 2026

Groß ist die Unsicherheit und damit auch die Unentschiedenheit der Unternehmen, die Halbleiter verwenden, bei einem Ausblick auf das kommende Jahr. 42 Prozent rechnen damit, dass die Versorgungslage 2026 entweder sehr kritisch (5 Prozent) oder eher kritisch (37 Prozent) sein wird. 55 Prozent gehen von einer eher guten (53 Prozent) oder sehr guten (2 Prozent) Versorgungslage aus. Viele Unternehmen, die Halbleiter verwenden, haben sich auf den anhaltenden Chip-Mangel eingestellt und strategische Maßnahmen ergriffen, um ihn abzumildern. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) lagert Halbleiter ein bzw. baut eigene Bestände auf. 52 Prozent haben langfristige Vereinbarungen mit Lieferanten bzw. Anbietern getroffen. 44 Prozent suchen nach alternativen Lieferanten, z.B. in anderen Ländern und ebenso viele (44 Prozent) haben eine Multi-Vendor-Strategie aufgebaut, kaufen ihre Halbleiter-Bauteile also bei mehreren statt nur bei einem Anbieter.

Flüchten Investoren vor Trump?

Foto: Horst Schröder / pixelio.de

Profitieren wir vom Trump-Effekt? Ausländische Unternehmen haben in diesem Jahr so viel in Deutschland investiert wie lange nicht, zeigt eine neue Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die auf Zahlen der Deutschen Bundesbank beruht. „In unsicheren Zeiten scheint Deutschland für Investoren verlässlicher zu sein als die USA“, schreibt das IW.

Von Januar bis Juli 2025 sind 334 Milliarden Euro nach Deutschland geflossen. Das ist mehr als das Zweieinhalbfache des Durchschnitts der vergangenen zehn Jahre (126 Milliarden Euro) und der zweithöchste Wert seit 2014. Besonders deutlich zeigt sich der Anstieg bei den Direktinvestitionen: In den ersten sieben Monaten dieses Jahres investierten ausländische Unternehmen rund 68 Milliarden Euro, 2024 waren es im gleichen Zeitraum nur knapp 49 Milliarden Euro. Zwar legten auch die Auslandsinvestitionen deutscher Firmen stark zu – von 52 Milliarden im ersten Halbjahr 2024 auf 76 Milliarden Euro im gleichen Zeitraum 2025. Unterm Strich ergibt sich nur noch ein geringes Defizit von weniger als acht Milliarden Euro.

Grafik: IW

„Die neuen Zahlen könnten ein erstes Anzeichen für einen Umschwung bei der Wirtschaftsstimmung und damit ein Hoffnungsschimmer für die ersehnte wirtschaftliche Erholung sein“, schreibt das IW. Gut möglich sei aber auch, dass Investoren schlichtweg keine besseren Alternativen sähen: In China wachse die politische und wirtschaftliche Unsicherheit, in den USA sorge Donald Trump für ständige Irritationen, Frankreich steck politisch fest und drohe in eine Schuldenkrise zu geraten, die Briten litten unter hoher Inflation und hohen Staatsdefiziten. Im Vergleich dazu wirke Deutschland trotz der Stagnation noch relativ stabil – wie der Einäugige unter den Blinden.

In diesen unsicheren Zeiten zählten offenbar die alten deutschen Tugenden wieder mehr: Die ausgeprägte Rechtssicherheit sowie die hohe politische und wirtschaftliche Stabilität. Trotz zunehmender Schwächen zehrt Deutschland weiterhin von seinen alten Stärken: Einer Innovationslandschaft, die Forschung, Unternehmen und Start-ups miteinander verbindet, gut ausgebildeten Fachkräften und der zentralen Lage in Europa.

Die Zahlen seien dennoch mit Vorsicht zu interpretieren, schreibt das IW weiter: Direktinvestitionen schwankten stark und seien häufig längerfristig geplant. „Für viele Investoren dürfte der Standort zudem immer noch viel zu teuer sein – die Lohnstückkosten hierzulande waren zuletzt so hoch wie in fast keinem anderen Industrieland.“ Deshalb müsse die Bundesregierung im angekündigten Herbst der Reformen vor allem die Kosten für die Unternehmen senken. Klar, was ein unternehmernahes Wirtschaftsforschungsinstitut bei solchen Gelegenheiten fordert: „Helfen könnte eine konsequente Absenkung der Energiekosten sowie ein wirksamer Bürokratieabbau, etwa bei den deutschen und europäischen Lieferkettenberichtspflichten.“ Und: „Um die Arbeitskosten zu senken, führt zudem kein Weg an einer Reform des Sozialstaates vorbei.“

 

Jedes siebte Patent stammt von Zuwanderern

Blick über die Isar zum Europäischen Patentant in München
Foto: Wolfgang Dirscherl/pixelio.de

Hier kommt wieder mal eine Nachricht, die vermutlich alle AfD-Wähler und sonstige xenophoben Idioten da draußen ärgern wird. Denn sie stammt aus einer seriösen Quelle, die man schlecht als linksversifft denunzieren kann. Eine neue Auswertung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt: Jede siebte Erfindung hierzulande stammt von zugewanderten Menschen – sie werden für unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand immer wichtiger.

„Erfinder mit ausländischen Wurzeln sind für einen wachsenden Teil der Patentanmeldungen in Deutschland verantwortlich“, schreibt das IW in einer Pressemitteilung vom 13.10.25. Laut IW-Berechnungen gingen 2022 etwa 14 Prozent auf ihr Konto. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 war es erst jede zwanzigste Patentanmeldung. Für ihre Untersuchung haben die Forscher die Vornamen sämtlicher Erfinderinnen und Erfinder seit 2000 einem von 24 Sprachräumen zugeordnet. So lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Herkunftsregion der betreffenden Person bestimmen.

Mit jeweils knapp drei Prozent leisten Erfinderinnen und Erfinder aus Ost- und Südeuropa den größten Beitrag zum Patentgeschehen hierzulande. Auf Platz drei folgt der arabische Raum inklusive der Türkei mit rund zwei Prozent. Sein Anteil hat sich seit dem Jahr 2000 vervierfacht. Besonders stark ist das Wachstum unter den Menschen mit indischer Herkunft: Seit der Jahrtausendwende haben sich ihre Patentanmeldungen verzwölffacht, auf inzwischen 1,2 Prozent.

Unter den Zugewanderten ist der Anteil von Erfinderinnen mit knapp neun Prozent fast doppelt so hoch wie unter den Deutschen (fünf Prozent). Ein Grund: In vielen Herkunftsländern entscheiden sich Frauen häufiger für ein MINT-Studium, aus dem besonders viele Patente hervorgehen. Damit sind sie auch für den deutschen Arbeitsmarkt besonders attraktiv.

Deutschland altert und ist wie andere Industrieländer auf die Zuwanderung gut ausgebildeter Menschen angewiesen. „Um im Wettbewerb um die klügsten Köpfe mithalten zu können, sind schnelle und unbürokratische Verfahren zur Einreise und Anerkennung von Qualifikationen notwendig“, erklärt Alexandra Köbler, Forscherin am IW. Ein weltoffenes Klima sei ebenfalls entscheidend, Expertinnen und Experten mit ihrem Know-how zu gewinnen und attraktiv für Talente im Ausland zu bleiben.

Zur Methodik: Die Zahlen basieren auf der Patentdatenbank des IW. Sie umfasst vollständige Datenreihen zu rund vier Millionen internationalen Patentfamilien ab dem Jahr 1994. Für den Vergleich wurde das Vornamensmodul der IW-Patentdatenbank verwendet, das die rund 45.000 Vornamen aller in Deutschland wohnhaften Erfinderinnen und Erfinder beinhaltet, die an einer dieser Patentanmeldungen beteiligt waren.

Hier geht es zur Original-Studie.