Wirtschaft erholt sich trotz Krise

Foto: Rolf Wenkel

„Einkommensverluste trotz BIP-Wachstum“, schreibt das Münchener Ifo-Institut, „Deutschland shoppt sich aus der Krise“, titelt die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Wirtschaftsseite. Beide beziehen sich auf den gleichen Sachverhalt: Die deutsche Wirtschaft ist im Krisenjahr 2022 um 1,9 Prozent gewachsen, meldet das Buddhistische Standesamt in Wiesbaden.

Auf den ersten Blick eine erfreuliche Nachricht, obwohl die Wirtschaftsforscher Anfang 2022 sogar mit einem Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent gerechnet haben. Denn das Jahr 2022 sollte das Jahr der raschen Erholung vom Corona-Crash des Vorjahres werden. Knapp vier Prozent Wachstum wären vermutlich auch drin gewesen, wenn nicht der Kriegsverbrecher im Kreml alles zunichte gemacht hätte.

Plötzlich bestand die Gefahr, dass den Deutschen das Gas ausgeht, die Bürger frieren, die energieintensiven Fabriken reihenweise dichtmachen und die deutsche Wirtschaft vor einem Kollaps steht. Insofern ist ein Wachstum von 1,9 Prozent noch ein überraschend guter Wert, das fünfthöchste der vergangenen zehn Jahre.

Wachstumsträger: Der private Konsum

Großen Anteil an diesem Wachstum hatten die Verbraucher. Zu befürchten war, dass die Haushalte wegen der hohen Preise für Lebensmittel und Energie weniger konsumieren. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Konsumausgaben stiegen inflationsbereinigt um 4,6 Prozent und waren damit fast so hoch wie vor der Corona-Krise. „Grund hierfür waren Nachholeffekte im Zuge der Aufhebung fast aller Corona-Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2022. Dies wird besonders deutlich bei den Ausgaben für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen. Auch im Bereich Freizeit, Unterhaltung und Kultur gaben die privaten Haushalte wieder mehr aus als noch vor einem Jahr“ schreibt das Statistische Bundesamt.

 

Aber jede Medaille hat zwei Seiten. So gibt Ifo-Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser in einer Pressemitteilung zu bedenken, dass in Zeiten wie diesen die mit dem BIP gemessene wirtschaftliche Leistung die Einkommens- und damit die Wohlstandsentwicklung einer Volkswirtschaft überzeichnet. Da ein Großteil der Energie und der Vorprodukte aus dem Ausland bezogen wird und da durch ihre Verknappung die Importpreise kräftig gestiegen sind, musste ein zunehmender Teil von dem in Deutschland erwirtschafteten Einkommen zur Begleichung der Importrechnung verwendet werden.

Grafik: Ifo-Institut

„Daher dürften die verbleibenden Realeinkommen der deutschen Haushalte und Unternehmen nach Schätzungen des ifo Instituts im vergangenen Jahr um 0,7 Prozent geschrumpft sein“ schreibt Wollmershäuser. Oder anders ausgedrückt: „Insgesamt ging Deutschland im vergangenen Jahr Realeinkommen und damit Wohlstand im Umfang von schätzungsweise knapp 110 Milliarden Euro verloren“.

 

 

Messenger-News statt Vierfarb-Flyer?

Foto: Rolf Wenkel

Geht Euch das auch so? Jede Woche flattern mir mindestens zehn aufwendig gedruckte Vierfarb-Flyer des Einzelhandels ins Haus: HIT, Aldi, Rewe, Penny, Lidl, dazu noch ein Baumarkt, ein Elektromarkt, ein Getränkegroßhandel, mindestens zwei Möbelhäuser und ein Küchenstudio. Allerdings: Rund sieben von zehn Prospekten wandern bei mir sofort in die Tonne. Ungelesen. Muss das sein?

Der Kölner Handelsriese REWE hat mal ausrechnen lassen, was die bunten Prospekte für seine bundesweit rund 3.700 Filialen an Ressourcen verschlingen: Über 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2 , 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr, schreibt RWE in einer Pressemitteilung.

Jedes Jahr landen im Schnitt 40 Kilo an Papierprospekten in den Briefkästen der Republik. Das geht auch anders: Ob REWE, Aldi, Obi, Toom oder Netto – sie alle planen, die gedruckten Handzettel langfristig durch digitale Kommunikation ganz oder teilweise zu ersetzen. Im Gespräch sind besonders Messenger-Dienste wie WhatsApp, weil die auf fast jedem werberelevanten Endgerät verfügbar sind.

Ganz offensichtlich wollen die großen Handelsketten mindestens zwei, wenn nicht gar drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Umstellung auf digitale Werbekanäle wie Newsletter oder Messenger-Dienste gilt als modern und zukunftsorientiert, ist also gut für’s Image, man kann sich als grün, umweltbewusst und nachhaltig darstellen, weil man Ressourcen einspart, was auch gut für’s Image ist, und man spart nebenbei noch die Kosten für Papier und Energie, die dank des Kriegsverbrechers in Moskau in schwindelnde Höhen steigen.

Besonders forsch preschte der Kölner Handelsriese RWE nach vorn – mit der Ankündigung, zum 1. Juli diesen Jahres den Druck und den Vertrieb der bunten Prospekte ganz einzustellen. Indes. „Nur eine Woche nach Bekanntgabe (…) ruderte man in Köln zurück. Die Händler können selbst entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht“, heißt es in einem Newsletter der EHI Retail Institute GmbH, dem Forschungsinstitut des deutschen Einzelhandels in Köln.

Überhaupt muss man sich die Frage stellen, ob man klima- und ressourcentechnisch so viel einspart, wenn die digitalen Prospekte demnächst im digitalen Messenger-Briefkasten und nicht in der Papiertonne landen. Es gibt Schätzungen, wonach der digitale Datenverkehr weltweit für etwa zwei Prozent der globalen CO2 –Emissionen verantwortlich und damit in etwa mit der Luftfahrtbranche vergleichbar ist. Und man kann ruhig davon ausgehen, dass gut die Hälfte der digital verursachten CO2 –Emissionen auf das Konto der digitalen Werbung und des Marketings geht. Das ist gewiss keine quantité négligeable.

Allerdings macht das EHI Retail Institute auch auf einen nicht zu unterschätzenden Vorteil aufmerksam: „Der Versand der Angebotsprospekte über Whatsapp hat den Charme, dass die Kund:innen aktiv zustimmen müssen. Durch das Opt-in trennen sich Spreu und Weizen. Außerdem bildet diese Variante der digitalen Kundenbindung die Grundlage für das Sammeln von Daten und Bilden von Nutzerprofilen – natürlich DSGVO-konform.“

Ja, ja, das wäre eine schöne Zukunftsvision: Null Werbung, es sei denn, ich habe ausdrücklich zugestimmt. Die Zukunft jedoch, so fürchte ich, wird eine andere sein: Ich werde digital mit Werbung zugeballert – und muss trotzdem 40 Kilo Papierprospekte pro Jahr entsorgen. Hybrid-Strategie nennt man das denn wohl unter den Marketingexperten.

Inflationserwartungen gehen weltweit zurück

Rund 1500 Wirtschaftsfachleute aus aller Welt erwarten einen allmählichen Rückgang der Inflation. Das geht aus dem Economic Experts Survey hervor, den das Münchener ifo Institut und das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik vierteljährlich durchführen. Demnach wird die Inflationsrate im neuen Jahr weltweit 7,1 Prozent erreichen, im kommenden Jahr dann 5,8 Prozent und 2026 nur noch 4,5 Prozent.

Grafi: Ifo Institut/IWP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Die Erwartungen zum Jahresbeginn sind ermutigend, weil die Experten im Vergleich zum Vorquartal etwas niedrigere Inflationsraten sehen“, sagt ifo-Forscher Niklas Potrafke, Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. „Dennoch bleibt die Inflation auf einem sehr hohen Niveau.“ In Westeuropa (5,4 Prozent), Nordamerika (5,2 Prozent) und Südostasien (5,3 Prozent) liegen die Inflationserwartungen für 2023 deutlich unter dem globalen Durchschnitt. „Zum Rückgang der Inflationserwartungen in Europa haben auch die Zinserhöhungen der EZB im Dezember beigetragen“, sagt Potrafke. Die EZB hatte den Leitzins im Dezember um weitere 0,5 Prozentpunkte erhöht.

Besonders hoch sind die Inflationserwartungen dagegen in Südasien (23 Prozent), Südamerika (25 Prozent), Nordafrika (32 Prozent) und Ostafrika (knapp 35). An der Umfrage im Dezember haben sich 1.537 Expertinnen und Experten aus 133 Ländern beteiligt.

Grafik: Ifo-Institut/IWP

 

 

 

 

 

 

 

 

Innerhalb der Kontinente sind ebenso große Unterschiede in den Erwartungen der Expertinnen und Experten zu beobachten. Osteuropa hat innerhalb Europas mit Abstand die höchsten Inflationserwartungen für das Jahr 2023 (15 Prozent), wohingegen Südafrika innerhalb Afrikas mit 6,5 Prozent einen Ausreißer nach unten darstellt. In Nordamerika erwarten die Expertinnen und Experten für 2026 nur noch eine Inflationsrate von 2,8 Prozent. In Mittelamerika zeigt sich ein ähnlicher Rückgang, dort beträgt die Inflationserwartung noch 7,5 Prozent. Für Südamerika bleiben die Inflationserwartungen langfristig mit rund 18 Prozent auf einem weiterhin sehr hohen Niveau, heißt es in der Pressemitteilung des Ifo-Instituts.

Die Frage nach den Inflationserwartungen unter Wirtschaftsfachleuten ist nicht nur eine simple Meinungsumfrage oder Kaffeesatzleserei. Dahinter steckt die Vermutung, dass soziale Erwartungen durchaus soziale Realitäten schaffen können. So können Inflationserwartungen die Inflation beeinflussen, etwa, wenn die Bürger und Bürgerinnen eine Preissteigerung von – sagen wir mal – zehn Prozent erwarten und deshalb größere Anschaffungen vorziehen, wie etwa Autos, Möbel oder Elektrogroßgeräte. Sie glauben ja, dass später alles noch teurer wird. Die dadurch erhöhte Nachfrage wiederum kann für Preissteigerungen sorgen, die Inflationserwartung erfüllt sich und kann sogar sogar übertroffen werden. Ebenso kann die Inflationserwartung bei Lohn-und Tarifverhandlungen eine Rolle spielen: Arbeitnehmer und Gewerkschaften wollen höhere Lohnabschlüsse als Inflationsausgleich durchsetzen, was durch die höheren Personalkosten für Unternehmen zu höheren Kosten und damit meist höheren Verkaufspreisen führt.

Die Zentralbanken wie die Federal Reserve in Washington oder die EZB in Frankfurt versuchen, die Inflationserwartungen zu beeinflussen oder möglichst zu dämpfen, indem sie ihre Ziele klar kommunizieren und betonen, dass sie steigende Inflationsraten durch Maßnahmen wie eine Leitzinserhöhung oder eine restriktive Geldpolitik bekämpfen wollen. Höhere Zinsen verteuern Kredite und machen Sparen attraktiver, dadurch sinken Nachfrage und Preise, und durch eine restriktive Geldpolitik wird die Geldmenge verknappt und die Nachfrage sinkt.

Momentan haben wir es jedoch eindeutig mit einer Inflation zu tun, die von gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten, gestörten Lieferketten und einer Verknappung des Angebots in vielen Branchen und auf vielen Märkten befeuert wird – nicht zu vergessen von einem machtbesessenen Psychopathen in Moskau. Eine solche Inflation mit hohen Leitzinsen zu bekämpfen, gehört zwar zum Standardprogramm der Notenbanker, beseitigt aber nicht unbedingt ihre spezifischen Ursachen. Man kann sich dagegen durchaus fragen, ob die Notenbanker mit global steigenden Leitzinsen nicht auch eine weltweite Rezession in Kauf nehmen. Lieferketten, Fachkräftemangel und Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern heilen sie damit jedenfalls nicht.

 

Deutschland in der Rezession

Foto: Rolf Wenkel

Die deutsche Wirtschaft rutscht in eine Rezession. Nachdem das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2022 vermutlich um mehr als 1,5 Prozent gewachsen ist, wird die Wirtschaftsleistung im Jahr 2023 um rund 0,75Prozent sinken, zeigt die neue Konjunkturprognose des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Dagegen glaubt das Münchener Ifo-Institut, die erwartete Winterrezession werde milder ausfallen als bislang erwartet. Den Münchner Konjunkturforschern zufolge wird die Wirtschaftsleistung 2023 nur um 0,1 Prozent schrumpfen. Im Herbst erwarteten die Forscher noch minus 0,3 Prozent.

Die deutsche Wirtschaft musste sich in den vergangenen Monaten mit vielen Herausforderungen auseinandersetzen: Steigende Preise, ein drohender Gasmangel und der Krieg Russlands in der Ukraine belasten Verbraucher und Unternehmen. Der Blick auf das kommende Jahr ist kaum optimistischer, wie die Kölner IW-Konjunkturprognose zeigt: Für das kommende Jahr erwarten die IW-Konjunkturforscher einen BIP-Rückgang um 0,75 Prozent.

Die Weltwirtschaft werde im kommenden Jahr nur noch um zwei Prozent zulegen, glauben die Kölner. Vor allem die Energieversorgung bleibe unsicher, zudem drohten wieder Produktionsausfälle. Nach wie vor seien Lieferketten gestört. Anders als in der Industrie und dem Dienstleistungssektor verschärfe sich die Rezession im Bausektor weiter. Fehlende Materialien und Fachkräfte sowie die steigenden Bauzinsen belasteten die Branche.

Als Konjunkturstütze habe sich bisher der private Konsum erwiesen. Das dürfte sich ändern: Die IW-Konjunkturforscher gehen im kommenden Jahr von einem Rückgang in Höhe von 1,5Prozent im Vergleich zu 2022 aus. Immerhin zeigt sich der Arbeitsmarkt noch robust: Die Arbeitslosenquote beträgt im laufenden Jahr 5,3 Prozent. Für das kommende Jahr wird ein leichter Anstieg auf 5,4 Prozent erwartet.

Für das neue Jahr bedeutet das: Deutschland steht vor einer neuen Rezession. Allerdings deuten die Zahlen nicht auf einen Konjunktureinbruch in dem Ausmaß hin, wie es ihn in der Corona-Pandemie oder in der Finanzmarktkrise 2008 gab. „Wie schwer diese Krise ausfallen wird und wie lange sie dauert, hängt stark von der weiteren Entwicklung der Energiekrise ab. Über allem schwebt die geopolitische Gefahr, die vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgeht“, sagt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. „Die Volkswirtschaft als Ganzes ist mit einem gewaltigen Wohlstandsverlust konfrontiert.“
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Inflation wird durch Trittbrettfahrer angeheizt

Foto: Jürgen Nießen / pixelio.de

Wirtschaftsforscher in Dresden haben herausgefunden, dass Unternehmen in Handel, Bau und Landwirtschaft die Inflation nutzen, um ihre Gewinne zu steigern. Gestiegene Preise für Energie und Vorleistungen allein erklären nicht das Ausmaß der Inflation in Deutschland, sagt das Ifo-Institut in einer Pressemitteilung.

In einigen Wirtschaftszweigen scheinen die Unternehmen die Preissteigerungen dazu genutzt zu haben, ihre Gewinne auszuweiten. Das gelte vor allem für den Handel, die Landwirtschaft und den Bau, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung Dresden. Dies legten Daten der amtlichen Statistik zur Wirtschaftsleistung nahe. Daraus hat das ifo Unterschiede zwischen nominaler und preisbereinigter Wertschöpfung ermittelt. So lassen sich Rückschlüsse auf Preisanhebungen ziehen, die nicht durch höhere Vorleistungskosten verursacht wurden.

„Nach Corona hatten private Haushalte hohe Ersparnisse angesammelt. Diese wurden im Jahr 2022 aufgelöst und haben die Konsumnachfrage befeuert“, fügt Ragnitz hinzu. „Auch die Entlastungen durch die Regierung dürften dazu beigetragen haben, die Nachfrage zu stützen und damit Spielräume für Preisanhebungen zu erweitern.“

„Insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft einschließlich Fischerei sowie im Baugewerbe und in den Branchen Handel, Gastgewerbe und Verkehr haben die Unternehmen ihre Preise deutlich stärker erhöht als es aufgrund der gestiegenen Vorleistungspreise allein zu erwarten gewesen wäre. Einige Unternehmen scheinen den Kostenschub als Vorwand dafür zu nehmen, durch eine Erhöhung ihrer Absatzpreise auch ihre Gewinnsituation zu verbessern“, sagt Ragnitz.

Landwirtschaftsunternehmen hätten zunächst wohl ihre Vorräte an Dünge- und Futtermitteln aufgebraucht, in ihrer Kalkulation aber die zu erwartenden Preissteigerungen bei Nachbestellungen bereits eingerechnet. Auf dem Bau dürften Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu den besonders starken Preiserhöhungen beigetragen haben. Das gelte vor allem für einige Ballungszentren.

Ragnitz ergänzte, gegen überzogene Preisanhebungen helfe nur mehr Wettbewerb.  Verbraucher könnten auch billigere Produkte kaufen und so die Gewinninflation dämpfen. Es bestehe kein Grund für staatliche Eingriffe in die Preise. Auch eine Übergewinnsteuer sei wegen ihrer verzerrenden Wirkung auf die Knappheitssignale des Marktes weder marktkonform noch sei sie rechtssicher durchzusetzen. Da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass hinter den Preissteigerungen Absprachen der Unternehmen stehen, seien auch kartellrechtliche Maßnahmen nicht hilfreich.

Die Bekämpfung der Inflation sei vor allem eine Aufgabe der Europäischen Zentralbank. Die Regierung könne zur Senkung der Inflation beitragen, indem sie auf breit angelegte Entlastungen zugunsten aller Haushalte verzichte und politische Maßnahmen auf besonders arme Haushalte beschränke.

Aufsatz: „Gewinninflation und Inflationsgewinner“ von Joachim Ragnitz; aktualisierte Version vom Dezember 2022; ursprünglich veröffentlicht in: ifo Dresden berichtet,  Nr. 5/2022; jetzt hier: https://www.ifo.de/publikationen/2022/monographie-autorenschaft/gewinninflation-und-inflationsgewinner-aktualisierung

 

30 Jahre SMS

Foto: Peter Freitag/pixelio.de

„Merry Christmas“ stand in der ersten SMS. Sie wurde am 3. Dezember 1992 von einem Computer an den Vodafone-Mitarbeiter Richard Jarvis versendet. Drei Jahre später kam die SMS dann offiziell auf den Markt – und hat den Mobilfunkanbietern jede Menge Windfall-Profits in die Kassen gespült.  Jetzt ist es ruhig geworden um den Datendienst – doch totzukriegen ist er nicht.

„Richtig durchgesetzt hat sich die SMS als Kommunikationsmittel erst in den späten 1990er-Jahren, als Handys preiswerter wurden, die Preise für Mobilfunkdienste fielen und erste SMS-Flatrates auf den Markt kamen“, so zitiert WDR-Redakteur Jens Eberl Tanja Richter, Technikchefin von Vodafone.

Der Short Message Service, kurz: SMS, hat das Leben und die Kommunikation vieler Handynutzer geprägt. Die Kurzmitteilung war die vergleichsweise günstige Alternative zum teuren Handytelefonat. Unvergessen bleiben vielen die Erinnerungen an stundenlange Chats und Datenstau in der Neujahrsnacht. In der ersten Dekade des neuen Jahrtausends hatte die SMS ein beispielloses Rekordwachstum hingelegt. 1996 wurden gerade mal 41 Millionen SMS im ganzen Jahr geschrieben. Ab 1998 ging es dann steil bergauf. Im Jahr 2000 waren es bereits 14,8 Milliarden, und im absoluten Rekordjahr 2012 haben Deutschen fast 60 Milliarden Textnachrichten verschickt.

Was mich schon damals gestört hat: Die Mobilfunkanbieter haben seinerzeit Milliarden verdient, obwohl Ihnen durch den Short Message Service nie zusätzliche Kosten entstanden sind. Der Datenkanal, über den die 160 Zeichen laufen, wird ohnehin bei jeder Mobilfunk-Verbindung aufgebaut. Über diesen Kanal wird zum Beispiel die Rufnummer des Anrufenden angezeigt, sofern diese nicht unterdrückt wurde. Für eine SMS trotzdem 19 Cent zu verlangen, war ein wirklich starkes Stück. Windfall Profits nennt das der Fachmann. Aber wo sind die Milliarden-Einnahmen geblieben? Für Breitbandnetze auf dem platten Land sind sie jedenfalls nicht ausgegeben worden.

Seitdem ist es ruhiger geworden um die SMS. Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Telegram haben ihr inzwischen den Rang abgelaufen. Dort lassen sich auch Fotos oder Videos verschicken. Folgerichtig ging die Nutzung der SMS stark zurück. Im Jahr 2021 berichtet die Bundesnetzagentur von knapp acht Milliarden SMS, was etwa 13 Prozent des Rekordjahres 2012 entspricht. Immerhin hat die Nutzung im Vergleich zu den Vorjahren wieder etwas zugenommen.

„Im Jahr 2004 wurde „simsen“ in den Duden aufgenommen, und 2011 schaffte es das Kürzel LOL (englisch: Laugh Out Loud, deutsch: lautes Auflachen) ins Oxford Dictionary“, berichtet Tagesschau-Redakteur Jens Eberl. Vor einem Jahr wurde dann die erste SMS mit ihrer „Merry Chistmas“-Botschaft für den guten Zweck versteigert. Die als sogenannter Non Fungible-Token, kurz NFT, angebotene Kurznachricht erzielte einen Preis von 107.000 Euro.

„Auch wenn die SMS nicht mehr den Charme vergangener Jahre versprüht, wird sie uns wohl noch länger erhalten bleiben“, ist sich Vodafone-Technik-Chefin Richter sicher. Sie ist einfach zu simpel und vor allem bei Zweifach-Authentifizierungen von Zugängen für Online-Dienste oder als Benachrichtigungsservice für Mailbox-Nachrichten noch immer unverzichtbar. Zudem kann die SMS als Netzdienst unabhängig von Apps genutzt werden. Der Schutz privater Daten kann damit prinzipiell noch besser gewährleistet werden. Der Standard funktioniert auf jedem Handy, benötigt keine Internetanbindung und keine gesonderte Anmeldung.

 

Influencer: Die Luft wird enger

Wer heutzutage einigermaßen geradeaus in ein Mikrofon oder eine Kamera stammeln kann, fühlt sich bald zum Influencer berufen. Ein Drittel aller zwischen 1997 und 2010 in Deutschland geborenen Menschen will seinen Lebensunterhalt als Influencer verdienen, sagen Studien. Das Institut der deutschen Wirtschaft warnt indes: Die Aufmerksamkeit des Pubkikums lässt sich nicht beliebig steigern.

Ach ja, Influencer im Internet: Gibt es doch da die schöne Erzählung, nach der Cristiano Ronaldo auf einer Pressekonferenz der Europameisterschaft 2021 durch das Beiseitestellen zweier Cola-Flaschen den Aktienkurs des weltbekannten Zuckerbrause-Produzenten aus Atlanta/Georgia einbrechen ließ. Seitdem ist klar, wie stark bekannte Persönlichkeiten den Ruf und dadurch die wirtschaftliche Situation einzelner Unternehmen beeinflussen können – im positiven wie im negativen Sinne.

Das Erfolgsrezept: Anders als herkömmliche Werbung wirken Empfehlungen von Influencern auf deren Follower wie ein freundschaftlicher Rat. Für die Unternehmen hinter dem Werbedeal heißt das: Kundenvertrauen ist fest eingebaut. Den werbenden Influencern bringen die gesponsorten Posts indes gutes Geld ein. Und die stetig steigenden Ausgaben für Influencer-Kampagnen legen den Schluss nahe, dass sich die moderne Marketingstrategie auch für die Firmen rentiert. Im Jahr 2021 gaben Unternehmen laut Influencer Marketing Hub weltweit mit fast 14 Milliarden Dollar mehr als doppelt so viel für Influencer-Marketing aus wie noch zwei Jahre zuvor.

Na, das ist doch mal ein richtig dicker Wirtschaftsfaktor: Während 2018 nur zwölf Prozent der deutschen Unternehmen bereit waren, mehr als 100.000 Euro für Influencer-Marketing auszugeben, waren es 2020 bereits 25 Prozent. Laut einer Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft planten für das Jahr 2021 rund 45 Prozent der befragten Unternehmen, ihr Budget für Influencer-Marketing weiter zu erhöhen. Lediglich vier Prozent wollten weniger Geld als 2020 investieren.

Doch nicht nur die Nachfrage der Unternehmen nach werbenden Influencern wächst. Auch viele junge Menschen können sich mittlerweile vorstellen, ihr Geld über die sozialen Medien zu verdienen. Eine Umfrage von YouGov Deutschland unter den von 1997 bis 2010 Geborenen – auch bekannt als Generation Z – zeigt: Fast ein Drittel der Generation Z ist nach eigenen Angaben schon Vollzeit-Influencer oder möchte es werden, sechs Prozent der Befragten verdienten 2021 so bereits ihren Lebensunterhalt.

Auf Plattformen wie Instagram, YouTube und TikTok schießen Influencer derzeit immer noch wie Pilze aus dem Boden. Das Geschäftsmodell beruht natürlich einzig und allein auf der Neugierde und der Aufmerksamkeit ihrer Follower. „Aufmerksamkeit ist aber keine unendliche Ressource“, sagt Barbara Engels, Senior Economist für nachhaltige Digitalisierung beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Denn die Anzahl der Menschen, die eine Person wahrnehmen und mit denen sie interagieren kann, ist begrenzt. Das gilt auch für Influencer, die ihre Follower teilweise wie Freunde im Alltag begleiten. Mit höchstens 150 Menschen kann eine Person Studien zufolge in regelmäßigem Kontakt bleiben. Verwendet man diese Zahl für den deutschen Influencer-Markt, zeigen sich die Grenzen des Wachstums.“

Barbara Engels, Senior Economist für nachhaltige Digitalisierung beim IW in Köln (Quelle: IW )

Nicht jeder Influencer kann von seiner Arbeit in sozialen Medien leben. Erst ab einer Followerzahl von mindestens 20.000, eher noch 100.000, kann man davon ausgehen, dass ein Influencer damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Gäbe es im deutschen Markt nur mittelgroße Influencer mit 20.000 Followern, würde – unter Berücksichtigung der 150er-Regel – die Aufmerksamkeit der deutschen Internetnutzer ausreichen, um 543.000 Influencer im Markt zu halten, schreibt Barbara Engels in einer IW-Studie. Bereits jetzt verdienen laut Umfragen allein 500.000 Menschen der Generation Z ihren Lebensunterhalt als Influencer. Hinzu kommen noch Influencer anderer Generationen, und Influencer aus dem Ausland – unter diesen Annahmen dürfte der Markt als gesättigt angesehen werden.

Gleichzeitig ist die Branche in Bewegung: Neue Influencer gewinnen Follower, ältere verlieren sie, oder zumindest ihre Aufmerksamkeit. Eine längere Karriere als Influencer bestreiten zu können, ist nur den wenigsten vergönnt. Aber: Influencer sind nur ein Teil der Wertschöpfungskette. Unternehmen, die Influencer monetarisieren, ihnen eine Plattform bieten oder an Audio- und Videoinhalten mitarbeiten, sind Teil eines wachsenden Marktes. „Junge Menschen, die sich für eine Karriere als Influencer interessieren, sollten sich bei der Berufswahl eher an den angrenzenden Bereichen wie der IT-Branche orientieren“, rät IW-Digitalisierungsexpertin Barbara Engels. „Die Chancen stehen schlecht, dauerhaft als Influencer Geld zu verdienen.“

Übrigens, nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich mag viele Blogs und Vlogs, sie sind oft sehr unterhaltsam und auch nützlich, z.B. wenn Dir jemand erklärt, was in der chinesischen Gebrauchsanleitung steht oder wie man eine Artemide Tizio aus den 70er Jahren auf LED umrüstet. Die Betreiber haben einfach Spaß und vermutlich, wie das Finanzamt sagt, keine Gewinnerzielungsabsicht. Da sind immer nette Sachen dabei, aber ein ernstzunehmender Berufswunsch sollte das in meinen Augen für junge Menschen mit Perspektive auf die Zukunft nicht sein.

Halbherziger Kampf gegen die Kalte Progression

Foto: veit kern / pixelio.de

Ab dem Jahr 2023 will die Ampel die so genannte „Kalte Progression“ ausgleichen und damit nach eigenen Angaben auf Steuer-Mehreinnahmen von rund 14 Milliarden Euro verzichten. Toll. Sollen wir jetzt niederknien angesichts dieser grandiosen und großherzigen Geste aus Berlin? Wohl eher nicht. Denn erstens hat die Kalte Progression schon in diesem Jahr die Steuerzahler stärker bluten lassen, und dafür hat sich die Politik keinen Ausgleich ausgedacht. Zudem ist die Kalte Progression ein permanentes Übel, solange Inflation und nominale Einkommen weiter steigen und die progressiven Tarife bei der Einkommenssteuer nicht regelmäßig angepasst werden.  Besser wäre ein „Tarif auf Rädern“, der sich automatisch an die Lohn- und Preisentwicklung anpasst.  Die Schweiz, die Vereinigten Staaten, Schweden oder Frankreich machen das. Warum wir nicht?

Leute, ich werde das Gefühl nicht los, dass es da draußen jede Menge Trittbrettfahrer gibt, die sich an die Inflation dranhängen und ihre Preise ehöhen, obwohl sie keine gestiegenen Kosten haben. Kann ein Uhrenhändler, der vor vier Jahren seine Armbänder für 9,90 Euro eingekauft und sie bislang für 29 bis 49 Euro verkauft hat, plötzlich 79 Euro verlangen und jammern, dass die Transport- und Energiepreise so rasant gestiegen sind?

Ja er kann offenbar, obwohl es vor vier Jahren keine Energiekrise gab und es deshalb keine sachliche Begründung für seine Preistreiberei gibt. Er gehört damit zu jener Spezies, die die Inflation erst so richtig anheizen und selbst davon profitieren. Und es gibt noch jemanden, der von der Inflation profitiert: Der Staat. Der hat es nämlich überhaupt nicht eilig, etwas gegen die Inflation zu unternehmen, weil sie mehr Steuern in seine Kassen spült.

Immerhin: Ab dem Jahr 2023 will die Ampel diese so genannte „Kalte Progression“ ausgleichen. Damit ist ein Phänomen gemeint, das den Staat durch Nichtstun immer reicher macht. Angenommen, es herrschen in einer Volkswirtschaft fünf Prozent Inflation und die Gewerkschaften haben durchschnittlich fünf Prozent mehr Lohn für alle durchsetzen können – dann hat sich bei den Arbeitnehmern in Bezug auf die Kaufkraft nichts geändert.  Wohl aber das nominale Einkommen. Das ist gestiegen – was bewirkt, dass real konstante Einkommen mit der Zeit in höhere Regionen des Einkommensteuertarifs rutschen und stärker belastet werden.  Außerdem steigt auch die gesamtwirtschaftliche Steuerquote (Steuereinnahmen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt) automatisch.

Ab 2023 will die Ampel also für einen Ausgleich sorgen – doch für das Jahr 2022 zahlen  die Steuerzahler bereits jetzt drauf, ohne dass es einen Ausgleich gibt. Das haben Berechnungen des arbeitgebernahen  Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ergeben. Ein Single mit einem Monatseinkommen von 3.000 Euro wird dadurch um etwa 238 Euro belastet. Um diese Mehrbelastung auszugleichen, greift ab Januar das Inflationsausgleichsgesetz – aber eben erst nächstes Jahr. Darin steht, dass der Staat im Jahr 2023 auf Steuereinnahmen in Höhe von 14 Milliarden Euro durch die kalte Progression verzichtet. Was das für jeden einzelnen bedeutet, hat das IW in einer neuen Studie ausgerechnet.

Wie gesagt: Die Mehreinnahmen durch die kalte Progression, die bereits im Laufe des Jahres 2022 entstehen, gleicht der Staat nicht aus. Und weil die Entlastung im kommenden Jahr nur in Höhe der diesjährigen Belastung ausfällt, verschleppt der Staat den Ausgleich der kalten Progression und sorgt trotzdem jährlich für Mehreinnahmen. „Es gibt sogar Forderungen, die kalte Progression als alternative Finanzierungsmöglichkeit für die Entlastungspakete einzusetzen“, heißt es in einer Pressemitteilung des IW. Und: „Das wäre eine Steuererhöhung durch die Hintertür, die nicht demokratisch legitimiert ist.“

Unter Ökonomen gilt die Kalte Progression deshalb als heimliche Steuererhöhung mit negativen Auswirkungen für Arbeitsanreize. Die Verschiebungen der Steuerlastverteilung und die Ausweitung der Steuerquote sind Automatismen, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen. Deshalb ist es aus systematischer Sicht richtig, die Kalte Progression auszugleichen.

Der einfachste Weg, der Kalten Progression zu begegnen, liegt in der Einrichtung eines „Tarifs auf Rädern“, schreibt das IW. Hierbei werden die nominalen Eckwerte des Einkommensteuertarifs automatisch an die Preisentwicklung angepasst. Ein Tarif auf Rädern könnte sicherstellen, dass bei konstanten realen Bruttoeinkommen die reale Steuerbelastung gleich bleibt. Mehrere Länder wie die Schweiz, die Vereinigten Staaten, Schweden oder Frankreich praktizieren das bereits.

Ein Beispiel für variable Tarife sind die Beitragsbemessungsgrenzen für die Sozialversicherungsbeiträge, die sich der Brottolohnentwicklung anpassen. Bei der Einkommensteuer wenden Länder wie die Schweiz, die Vereinigten Staaten, Schweden oder Frankreich diese Methode bereits an. „Mit dem Tarif auf Rädern kann der Staat die Verschiebung der gesellschaftlichen Steuerlast stoppen. Es gibt keinen Grund, sie nicht auch in Deutschland einzuführen“, sagt IW-Ökonom Martin Beznoska. „Bei der derzeit hohen Inflationsrate nimmt der Staat besonders viel zusätzliche Steuern ein.“

Ebbt die Inflationswelle langsam ab?

Foto: Rolf Wenkel 2020

 

Die Zahl der Unternehmen, die demnächst ihre Preise erhöhen wollen, wird langsam kleiner. Das geht aus der aktuellen Umfrage des Münchener Ifo Instituts hervor. Die Preiserwartungen für die kommenden Monate sanken für die Gesamtwirtschaft im Oktober auf 51,5 Punkte, nach 53,8 im September.

Die Punkte bei den ifo Preiserwartungen geben an, wie viel Prozent der Unternehmen per Saldo ihre Preise erhöhen wollen. Der Saldo ergibt sich, indem man vom prozentualen Anteil der Unternehmen, die ihre Preise anheben wollen, den prozentualen Anteil derer abzieht, die ihre Preise senken wollen. Wenn alle befragten Unternehmen beabsichtigten, ihre Preise zu erhöhen, läge der Saldo bei plus 100 Punkten. Würden alle ihre Preise senken wollen, läge er bei minus 100. Der Saldo wurde saisonbereinigt. Das ifo Institut fragt nicht nach der Höhe der geplanten Preisänderung.

Vor allem der Handel und das Verarbeitende Gewerbe planen weniger Anhebungen, während die Preiserwartungen bei den Dienstleistern und im Baugewerbe steigen. „Die Inflationswelle ist noch nicht gebrochen“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Vor allem die hohen Energiekosten sind noch nicht vollständig auf die Verbraucher überwälzt.“

Lebensmitteleinzelhändler planen weiterhin kräftige Preiserhöhungen. Dort lagen die Preiserwartungen bei 96,7 Punkten, nach 100,0 im Vormonat. Auch die Bau- und Heimwerkermärkte (85,6) und die Verkäufer von Unterhaltungselektronik (85,4) wollen mehrheitlich ihre Preise anheben. Lediglich beim Handel mit Gebrauchtwagen sind erstmals seit März 2021 leicht sinkende Preise zu erwarten. Dort gingen die Preiserwartungen zurück auf minus 5,8 von plus 25,7 im Vormonat.

Die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe wollen mehrheitlich ihre Preise anheben. Allerdings ist ihr Anteil im Vergleich zum Vormonat zurückgegangen. In der Chemie sanken die Preiserwartungen von 52,3 auf 33,1 Punkte, in der Papierbranche von 65,3 auf 27,0 Punkte. Besonders hoch sind die Preiserwartungen bei den Herstellern von Bekleidung (83,5), Glaswaren und Keramik (72,1) sowie Nahrungs- und Futtermitteln (70,6). Auch die Dienstleister wollen ihre Preise mehrheitlich anheben. Die Preiserwartungen sind auf 47,0 Punkte gestiegen, von zuvor 45,5. Sehr hoch sind die Preiserwartungen in der Gastronomie mit 80,9 Punkten.

Grafik: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2022

Trotz Energiekrise, Inflation und Konsumzurückhaltung ist die Wirtschaftsleistung in Deutschland im dritten Quartal überraschend gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg gegenüber dem Vorquartal – preis-, saison- und kalenderbereinigt – um 0,3 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt am Freitag mit. „Nach dem leichten Anstieg im 2. Quartal 2022 (+0,1 Prozent) hat sich die deutsche Wirtschaft damit weiterhin trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit anhaltender Corona-Pandemie, gestörten Lieferketten, steigenden Preisen und dem Krieg in der Ukraine behauptet“, heißt es in einer Pressemitteilung der Statistiker. Und: „Die Wirtschaftsleistung im 3.Quartal 2022 wurde vor allem von den privaten Konsumausgaben getragen.“

Im Vorjahresvergleich war das BIP im 3. Quartal 2022 preis- und kalenderbereinigt 1,2 Prozent höher als im 3. Quartal 2021. Im Vergleich zum 4. Quartal 2019, dem Quartal vor Beginn der Corona-Krise, lag das preis-, saison- und kalenderbereinigte BIP im 3. Quartal 2022  mit +0,2 Prozent erstmals oberhalb des Vorkrisenniveaus. Allerdings: „Aufgrund der anhaltenden Corona-Krise und den Folgen des Kriegs in der Ukraine sind diese Ergebnisse mit größeren Unsicherheiten als sonst üblich behaftet“, schreiben die Wiesbadener Statistiker.

DIW: „Wir sind schon in der Rezession“

Grafik: DIW

Das Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) liegt auch im September deutlich im negativen Bereich: Mit 79,8 Punkten verharrt es weit unter der 100-Punkte-Marke, die für ein durchschnittliches Wachstum der deutschen Wirtschaft steht. Die Energiekrise, hohe Inflationsraten sowie die sich abkühlende Weltwirtschaft verursachen heftigen Gegenwind.

„Deutschland steckt in der Rezession und leider ist momentan kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen“, sagt DIW-Konjunkturexperte Guido Baldi. „Der vom russischen Präsidenten angezettelte Krieg in der Ukraine und seine weitreichenden Folgen dürften 2022 und 2023 zu Wachstumsverlusten in Deutschland von grob geschätzt fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts führen.“

Die enormen Steigerungen bei den Energiepreisen führten zu dramatischen Kaufkraftverlusten und drohten in vielen Unternehmen die Produktion unrentabel zu machen, schreibt das DIW. Darüber hinaus führe der Krieg in der Ukraine in den meisten entwickelten Volkswirtschaften nicht nur zu einer Energiekrise und hohen Inflationsraten, sondern auch zu deutlich geringeren Wachstumsraten oder gar Rezessionen. Die chinesische Wirtschaft wird zudem durch Corona-Lockdowns und die schwelende Immobilienkrise ausgebremst. All dies belastet die exportorientierte deutsche Wirtschaft zusätzlich.

Im Zuge dieser Entwicklung sind die Auftragseingänge für die deutsche Industrie aus dem In- und Ausland rückläufig. Immerhin scheinen sich die bislang hartnäckig haltenden Engpässe in den internationalen Lieferketten allmählich zu entspannen, sodass der immer noch hohe Auftragsbestand effizienter abgearbeitet werden kann. Die Energiekrise entwickelt sich allerdings auch für die deutsche Industrie zum Hauptproblem. „Preissteigerungen für Energie auf der einen und Unsicherheit auf der anderen Seite dämpfen die realen Umsätze und die Geschäftserwartungen,“ sagt Laura Pagenhardt, DIW-Konjunkturexpertin. „Für einige Firmen könnte sich bald die Frage stellen, ob es sich aktuell überhaupt noch lohnt, die Produktion aufrechtzuerhalten.“

Auch die Dienstleistungen befinden sich nach einem Zwischenhoch im Frühjahr nun im Abschwung. Die hohe Inflation dämpft die Kauflust der Haushalte, was sich immer mehr auf die Umsätze etwa im Einzelhandel oder im Gastgewerbe auswirkt. Wenigstens brauchen sich die meisten Menschen angesichts des Fachkräftemangels momentan zumindest keine Sorgen um einen Arbeitsplatzverlust zu machen. Die hohe Teuerung führt aber dazu, dass viele Beschäftigte inflationsbereinigt mit Lohneinbußen konfrontiert sind. Gerade Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen drohen so in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. „Viele Menschen und Unternehmen blicken trotz der bisher beschlossenen Entlastungspakete der Bundesregierung mit großen Sorgen in die Zukunft. Diese berechtigten Ängste bremsen die Konsum- und Investitionsneigung zusätzlich und drohen die Rezession noch weiter zu verschärfen“, sagt Baldi.

Der Branchenverband HDE sieht den Einzelhandel bereits im Dilemma. „Die Kundinnen und Kunden kaufen weniger oder günstiger ein, gleichzeitig steigen die Energiepreise auch für die Betriebe explosionsartig an“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. „Die Preissteigerungen einfach so an die Kundendurchzureichen, funktioniert in dieser Lage im harten Wettbewerbnicht.“ Deshalb müsse die Bundesregierung ihre Hilfsprogramme für von den Energiekosten überforderte Firmen rasch anpassen, damit auch Einzelhändler Unterstützung erhalten könnten.

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)der Hans-Böckler-Stiftung rechnet für 2023 mit einem Einbruch des privaten Konsums. Die Ausgaben der Haushalte dürften wegen der hohen Inflation um 2,5 Prozent sinken und damit so stark wie seit dem Corona-Jahr 2020 nicht mehr. Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gehen davon aus, dass Deutschland eine Rezession im Winter nicht verhindern kann. Sie veröffentlichen ihre Gemeinschaftsdiagnose am Donnerstag (29.09.) um 10 Uhr in Berlin. Bereits jetzt ist jedoch durchgesickert, dass die Ökonomen ihre Prognose vom Frühjahr massiv nach unten korrigiert haben. Für dieses Jahr erwarten die Fachleute demnach nur noch ein Wirtschaftswachstum von rund 1,4 Prozent und für 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um etwa 0,4 Prozent.

Die Diagnosen werden zweimal jährlich, jeweils im Frühjahr und im Herbst, erstellt. Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören gegenwärtig folgende Wirtschaftsforschungsinstitute an: Das ifo Institut in München in Kooperation mit dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), Wien, das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), und das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung  in Essen in Kooperation mit dem Institut für Höhere Studien in Wien. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat seine Mitarbeit an der Gemeinschaftsdiagnose vorläufig ausgesetzt und wird sich vermutlich erst im Herbst 2023 wieder an der gemeinsamen Diagnose beteiligen.