Wirtschaft warnt vor AfD

Edeka-Anzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Vor den Landtagswahlen am kommenden Sonntag haben zahlreiche Unternehmen und Wirtschaftsverbände vor der rechtspopulistischen AfD gewarnt.  So hat sich der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, in einem dringenden, aber leider wenig beachteten Appell an die Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen gewendet, sich für „Offenheit und Toleranz“ und gegen die AfD zu entscheiden. Denn in seinen Augen ist jede Stimme für die rechtsradikalen Populisten „Gift für unsere Wirtschaft“.

Sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Löhne: Eigentlich hätten sich Sachsen, Thüringen und Brandenburg im vergangenen Jahrzehnt prächtig entwickelt, besser als der Bundesschnitt, schreibt Hüther. Für die amtierenden Regierungsparteien könnten das gute Nachrichten sein, doch eine aktuelle IW-Befragung zeige: Die Menschen im Osten nehmen diese positive Entwicklung nicht wahr. Jeder fünfte Befragte glaubt sogar, in einer abgehängten Region zu leben.

Populisten machten sich diesen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit zunutze. Das sei gefährlich, so Hüther. Denn auch bei der Frage, was der Osten für die Zukunft brauche, ignorierten die Populisten die Fakten: So wehren sich die AfD und ihre Anhänger hartnäckig gegen den Ausbau erneuerbarer Energien. Dabei werde der Erfolg der Energiewende im Osten mit entschieden, schon heute stehe mehr als jedes dritte Windrad im Osten und sorge so für günstige Energie.

Auch gegen Zuwanderer mache die Partei Stimmung, obwohl die ostdeutsche Wirtschaft stark auf sie angewiesen sei: 2023 lag der Anteil ausländischer Beschäftigter an der Bruttowertschöpfung in den ostdeutschen Bundesländern bei 5,8 Prozent, das sind rund 24,6 Milliarden Euro, wie neue Berechnungen zeigen. Anders ausgedrückt: Die AfD schürt die Angst vor Migranten, ohne die im entvölkerten Osten schon heute nichts mehr laufen würde. 

Sorgen wegen möglicher Regierungsbeteiligungen der AfD in Landesregierungen machen sich auch die deutschen Familienunternehmen. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ und Chefin des Lebensmittelgroßhandels Rullko in Hamm, sagte am Donnerstag dem WDR: „Wir sprechen uns in Land und Bund deutlich gegen eine Wahl der AfD aus. Die AfD ist eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ Die rassistischen Äußerungen des AfD-Personals seien „ein massives Hemmnis für die Fachkräfteeinwanderung“, so Ostermann weiter.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hatte sich in dieser Woche ebenfalls öffentlich zu Wort gemeldet. Präsident Alexander von Preen rief zur Wahl demokratischer Parteien auf. „Ich kann nur alle Akteure davor warnen, die gesellschaftlichen Spielregeln in Richtung Ausgrenzung und Hass zu verschieben. Das führt Gesellschaft und Wirtschaft nicht in eine positive Zukunft, sondern in eine Sackgasse„, sagte er.

Im Einzelhandel sind laut HDE zurzeit etwa 120.000 Stellen unbesetzt. „Woher sollen die Menschen denn alle kommen, wenn Politiker an das Ruder gelangen, die auf Ausgrenzung und Abschottung setzen?„, so von Preen. Er bezeichnete die AfD als gefährlich und verantwortungslos: „Mit Björn Höcke hat sich eine der Führungsfiguren der AfD zum wiederholten Male selbst demaskiert, als er den Familienunternehmen, die öffentlich eine Aktion für Vielfalt in Gesellschaft und Wirtschaft unterstützen, die Insolvenz wünschte.

Erst vor wenigen Tagen haben mehr als 40 deutschen Unternehmen die Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ ins Leben gerufen. . Beteiligt sind unter anderem die Drogeriekette Rossmann, der Motorsägen- und Gartengerätehersteller Stihl und der Audiospezialist Sennheiser. Auch zahlreiche Unternehmen aus NRW machen mit – hier eine Auswahl:

  • Nahrungsmittel-Gruppe Dr. Oetker in Bielefeld
  • Haushaltsgerätehersteller Vorwerk in Wuppertal
  • Hygienepapier-Hersteller Wepa in Arnsberg-Müschede
  • Messtechnik-Unternehmen Krohne in Duisburg
  • Lebensmittelkonzern Pfeifer & Langen in Köln
  • Metallverarbeiter Otto Fuchs in Meinerzhagen
  • Logistikunternehmen Fiege in Greven
  • Haushaltsgerätehersteller Miele in Gütersloh

„Bei Fiege arbeiten 22.000 Menschen aus 123 Ländern. Das heißt, mehr als die Hälfte unserer Kolleginnen und Kollegen kommen nicht aus Deutschland. Da ist es unsere Pflicht, uns für demokratische Werte, Vielfalt und Toleranz einzusetzen“, sagte Vorstandsmitglied Martin Rademaker im WDR.

Mir geht es ähnlich: Ich habe bei der Deutschen Welle gearbeitet, ein Unternehmen, das Nachrichten und Informationen aus Deutschland in rund 30 Sprachen in die Welt transportiert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 60 verschiedenen Nationen arbeiten an dieser Aufgabe mit viel Herzblut und Engagement. Und es fällt uns immer schwerer, ihnen zu erklären zu versuchen, weshalb sich die Wählerinnen und Wähler in den ostdeutschen Flächenländern so pessimistisch, so  verschlossen und verstockt verhalten  – und vor allem, mit welcher Ignoranz sie objektive Fakten negieren.

 

 

 

 

 

Hört ruhig auf die Idioten

Grafik: Tim Reckmann / pixelio.de:

AfD-Adepten schießen sich am liebsten selbst ins Knie. Oder, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin in einer Kurzstudie formuliert: „Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen“. Denn die glauben ernsthaft, eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus und eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik böte ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen. Genau das Gegenteil würde ihnen blühen, sagt das DIW.

Zu diesem Ergebnis kommen die DIW-Forscher, nachdem sie die programmatischen Ziele dieser Partei mit den Anliegen, Einstellungen und der sozio- ökonomischen Situation von AfD-Unterstützern und Unterstützerinnen zueinander in Beziehung gesetzt haben. Dabei tritt ein bemerkenswertes Paradox auf: Menschen, die die AfD unterstützen, würden am stärksten unter deren Politik leiden, und zwar in Bezug auf fast jeden Politikbereich: Wirtschaft und Steuern ebenso wie Klimaschutz, soziale Absicherung, Demokratie und Globalisierung. „Dieses Paradox scheint mit einer falschen Selbsteinschätzung vieler AfD-Wähler*innen und mit einer Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität zusammenzuhängen“, schreiben die DIW-Forscher. (Sorry für die völlig absurden Gendersternchen, aber im Originalzitat darf ich sie natürlich nicht verändern).

Wer wählt überhaupt die AfD? Menschen, die mit dieser Partei sympathisieren, sind überwiegend männlich, häufig arbeitslos und leben oft  in strukturschwachen Regionen, ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage

https://www.n-tv.de/politik/Umfrage-zeigt-Eigenschaften-der-AfD-Waehler-article24203917.html.

Ältere Untersuchungen haben gezeigt, dass Einkommen und Bildung eher schwach sind. Die Unzufriedenheit über das eigene Leben und über den Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft ist unter der AfD-Klientel deutlich höher als im Durchschnitt aller Wahlberechtigten. Und oft haben oder hatten sie eine geringere soziale und auch politische Teilhabe.

Machen wir uns nichts vor: Die AfD schneidet besser in Wahlkreisen ab, in denen die Perspektivlosigkeit groß ist, die Chancen für junge Menschen gering sind und durch deren Abwanderung wichtige Infrastrukturen für Familien und Kinder – und damit auch für Unternehmen – schlechter werden oder verschwinden. Denn dort „kümmern“ sich die AfD-Vertreter um diese abgehängten Leute, blasen ihnen das Lied von denenen da Oben und wir da unten ein – was CDU-, SPD-, Grünen- und FDP-Politiker und Politikerinnen vor Ort oft nicht leisten wollen oder für nötig halten.

Das Ergebnis ist eine hohe Zustimmung vor Ort, die mit den tatsächlichen programmatischen Positionen der Partei praktisch nichts zu tun hat. Beispiele gefällig? Nehmen wir die Wirtschaftspolitik, sie ist in der Programmatik der AfD noch neoliberaler und marktradikaler als die der FDP. Steuersenkungen für Spitzenverdiener, niedrigere Löhne für Geringverdiener, und eine Beschneidung der Sozialsysteme würden AfD-Adepten viel stärker beuteln als alle anderen. Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, käme es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen von unten nach oben, die Deppen wären die AfD-Wähler.

Wie kann es sein, dass ein Fünftel der Menschen in Deutschland die Politik einer Partei unterstützt, die stark dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Interessen zuwiderläuft? Eine plausible Antwort ist laut DIW „die individuelle und kollektive Fehleinschätzung“ ihrer eigenen Situation. Sie liegt laut DIW darin, „dass viele AfD-Wähler*innen nicht realisieren, dass eine Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark negativ betreffen würde.“

Denn sie selbst gehören häufig zum unteren Rand der Einkommensverteilung, genießen seltener Privilegien und haben weniger Chancen als andere und sind stärker auf finanzielle Leistungen des Staates angewiesen. So wären vor allem AfD-Adepten von Arbeitsplatzverlusten, einer schlechteren Infrastruktur und weniger Leistungen, einer Schwächung der Europäischen Union oder Steuersenkungen für Spitzenverdiener betroffen.

Die kollektive Fehleinschätzung der AfD-Wähler besteht in dem, was der Zeit-Journalist Nils Markwardt „Verblendungszusammenhänge“ nennt. Da  geht es im besten Fall um eine verzerrte Wahrnehmung der Realität und im schlimmsten Fall um irre Verschwörungstheorien, bei denen sich AfD-Adepten als Opfer von Politik und Gesellschaft darstellen und sich selbst als Mehrheit beschreiben.

Das Fazit: AfD-Adepten glauben ernsthaft, eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik würde ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen. Genau das Gegenteil wird passieren.

Die ganze Studie hier:

Klicke, um auf diw_aktuell_88.pdf zuzugreifen

 

 

 

 

 

 

 

Rottet sich die AfD selbst aus?

Grafik: Tim Reckmann / pixelio.de

 

 

Eine bereits länger gefühlte Wahrheit ist jetzt wissenschaftlich dingfest gemacht: Es ist kein Zufall, dass in AfD-Hochburgen auch die Corona-Inzidenzen überdurchschnittlich sind, berichtet die Katholische Nachrichten-Agentur KNA. 

 

Durch die Auswertung von umfangreichem Datenmaterial haben Forscher aus Jena und München nachgewiesen: Der AfD-Zweitstimmenanteil hat “signifikante Effekte“ auf die regionalen Anstiege der Corona-Infektionszahlen in den ersten beiden Wellen. Signifikant heißt in der Wissenschaft: Nicht mehr durch den Zufall erklärbar.

Als Grundlage für die Studie dienten die Wahlergebnisse und Nichtwähleranteile der letzten Bundestagswahlen sowie die Daten zum Infektionsgeschehen im vergangenen Jahr in allen 401 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten. Die Forschungsarbeit stellt fest: Die durchschnittliche Infektionshöhe in der ersten Pandemiewelle ist dort um 2,2 Prozentpunkte erhöht, wo das Wahlergebnis der AfD um einen Prozentpunkt ansteigt.

„Damit liegt statistisch die Infektionshöhe in einem Kreis mit 20 Prozent AfD-Zweitstimmenanteil circa 22 Prozentpunkte über einem Kreis mit einem Stimmenanteil von lediglich 10 Prozent“, erklärt der Soziologe und Mitautor der Studie, Christoph Richter. Dies gelte für West- und Ostdeutschland gleichermaßen. Andere Erklärungen schlossen die Autoren aus.

Denn die Wissenschaftler vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, die dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt angehören, und vom Helmholtz Zentrum München zogen auch weitere soziostrukturelle Variablen wie die wirtschaftliche Situation, Mobilität, Grenznähe, Lebenserwartung und Altersstruktur in ihre Untersuchungen ein. Jedoch keiner dieser insgesamt 48 Faktoren lieferte eine alternative Erklärung.

Steigende Corona-Zahlen ließen sich auch im Zusammenhang mit rechtsextremen Kleinstparteien und Nichtwähler-Anteilen beobachten. Ein ähnlicher Effekt konnte jedoch nicht für die anderen im Bundestag vertretenen Parteien ausgemacht werden.

Schon im Sommer wies eine Studie der TU Dresden in eine ähnliche Richtung. Sie befasste sich mit der Pandemie in Sachsen. Ein besonders hohes Maß an Ablehnung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie lasse sich vor allem bei AfD-Sympathisanten finden. Sie neigten zudem überdurchschnittlich oft dazu, sich nicht impfen lassen zu wollen.

Die Arbeit der TU legte zudem offen, dass “pandemieskeptische Einstellungen und ein Corona-bezogenes Verschwörungsdenken“ verbreitet bei jenen Personen sind, die mit der AfD sympathisieren. Auch die Jenaer Wissenschaftler verwiesen im Blick auf andere Forschungsarbeiten darauf, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen und Verschwörungsglauben “stark“ miteinander korrelieren. Dies zeige sich unter anderem in einer Skepsis bis hin zur offenen Ablehnung derjenigen demokratischen Institutionen, die Entscheidungsrelevanz in der Pandemie besäßen.

Das Feindbild der eigenen Regierung ist das Narrativ, dessen sich auch die AfD bedient. Die Forscher vom IDZ bescheinigen der Partei eine “beachtliche inhaltliche Kehrtwende“ in ihrer Corona-Politik. Bis April 2020 noch forderte sie Grenzschließungen und effektivere Schutzmaßnahmen. Es folgte der Ruf nach sofortiger Beendigung der Maßnahmen. Die AfD zielte “auf die Delegitimierung demokratischen staatlichen Handelns und beförderte die in der Pandemie aktualisierten Anti-Establishment-Haltungen“, beschreiben die Autoren.

Ihre Studie galt der ersten und zweiten Pandemie-Welle. Ausgehend von den Ergebnissen sei anzunehmen, dass rechte Einstellungen jedoch auch bei der aktuellen vierten Welle und einer mangelnden Impfbereitschaft verstärkt auf die Pandemie einwirkten. Bei der Bundestagswahl 2021 kam die AfD in Sachsen auf 24,6 Prozent der Zweitstimmen. In der vergangenen Novemberwoche überschritt die Inzidenz im Freistaat die Tausendermarke. In beiden Fällen führt das Bundesland die Statistik an.

Führende AfD-Vertreter wie etwa die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel brüsten sich geradezu damit, nicht geimpft zu sein und nutzen dies auch zur politischen Instrumentalisierung. Sie werde die Interessen der Ungeimpften und derer, die sich diskriminiert fühlten, im Bundestag “bis zum Ende vollumfänglich vertreten und sie verklagen und jagen, bis es nicht mehr weitergeht“.

Als das Erzbistum Berlin bekanntgab, dass für die Gottesdienste in der Advents- und Weihnachtszeit weitgehend 2G-Auflagen gelten sollten, warf die Brandenburger AfD der Kirche prompt vor, sie diskriminiere damit die Ungeimpften. An ihre Zielgruppe gewandt sagte die kirchenpolitische Fraktionssprecherin Kathleen Muxel: “Wer an den Herrn glaubt, sollte sich vor der Plage Corona nicht ängstigen.“