Warum ist die EU so mutlos?

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Trumps Maga-Politik ist ebenso simpel wie wirksam: Erst mit der großen Keule drohen, dann einen „Deal“ abschließen – zu seinen Gunsten natürlich. Wie wäre es, wenn man mal den Spieß umdreht und ihn richtig an den Eiern packt?

 

Die USA sind bei Importen von einigen wichtigen Produkten stark von der EU abhängig. Besonders bei chemischen Erzeugnissen und Maschinen können die USA Lieferungen aus Europa kaum kurzfristig ersetzen. Das zeigt eine neue Analyse des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „In Zollverhandlungen könnte die EU somit deutlich selbstbewusster auftreten“, schreibt das IW folgerichtig in einer Pressemitteilung vom 18. September.

In mehr als 3.100 Warengruppen haben die USA im Jahr 2024 mindestens die Hälfte ihrer Importe aus der Europäischen Union bezogen – im Gesamtwert von rund 290 Milliarden US-Dollar. Fast 46 Prozent aller US-Importe aus der EU entfallen also auf Produkte, bei denen Europa als Lieferant schwer zu ersetzen sein dürfte.

Dr. Samina Sultan, im IW zuständig für europäische Wirtschaftspolitik und Außenhandel, und Jürgen Mattes, Leiter des Themenclusters Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte, haben die Außenhandelsstatistik der USA mal genauer unter die Lupe genommen. Sie kommen zu einem interessanten Fazit: Ihre Untersuchung habe „ gezeigt, dass die US-Importabhängigkeit von der EU relativ hoch ist und im Jahr 2024 inzwischen sogar höher als die US-Importabhängigkeit von China.“

Daraus leiten sie eine ganze Reihe von Empfehlungen ab. So wäre die Bundesregierung gut beraten, eine Task-Force zur Analyse internationaler Wertschöpfungsketten einzusetzen. Denn: „Die Frage, wie kritisch die US-Importabhängigkeit von der EU wirklich ist, lässt sich mit Außenhandelsdaten allein nicht abschließend klären. Dazu sind weitergehende Informationen darüber nötig, wie unverzichtbar ein Produkt für die US-Wirtschaft ist und welche gesamtwirtschaftlichen Schäden sein Ausbleiben verursachen würde.“ Durch zusätzlichen Rückgriff auf Unternehmensinformationen und Lieferketten-Datenbanken ließen sich kritische Abhängigkeiten leichter identifizieren, heißt es.

Warenströme sind nicht unveränderlich
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Natürlich würde das IW niemals empfehlen, den US-Präsidenten an den Eiern zu packen. Hier wird das seriöser ausgedrückt: „Die Handelsvereinbarung zwischen der EU und den USA wird zuweilen als zu defensiv kritisiert. Dabei wird teilweise der Vergleich zu China gezogen, das es auf eine Eskalation ankommen ließ. Damit habe China ein Einlenken der US-Administration erreicht, weil die USA auch über Seltene Erden hinaus vermeintlich zu sehr auf chinesische Produkte angewiesen seien. Eine solche Kritik an der Europäischen Kommission erscheint zwar überzogen… Doch verdeutlichen die Ergebnisse dieser Studie, dass die EU durchaus etwas stärker und selbstbewusster in den Verhandlungen auftreten könnte.“

Europas weiche Haltung gegenüber Trump beruhte auch auf der Mutmaßung, dass die EU bei weitem keine so starke Position als Lieferant für die USA habe wie China und daher lieber Zurückhaltung üben solle. Indes: „Diese Studie macht dagegen deutlich, dass die US-Importabhängigkeit von der EU ähnlich groß ist wie die von China. Denn US-Importe aus der EU sind für industrielle Wertschöpfungsketten und teils auch strategisch wichtig für die USA. Die EU hat demnach deutlich mehr zu bieten und die USA sind deutlich abhängiger von der EU als bislang bekannt. Daraus ergeben sich wichtige Schlussfolgerungen für die Verhandlungsstrategie der EU.“

Schwieriger dürfe es werden, Trump klarzumachen, dass er sich mit exorbitanten Zöllen selbst ins Knie schießt: „Die empirische Forschung zu den US-Strafzöllen auf viele chinesische Waren während der ersten Trump-Administration kommt einhellig zu dem klaren Ergebnis, dass die US-Wirtschaft nahezu die volle Last der höheren Zölle trug, da die US-Importpreise in annähernd gleichem Maße stiegen wie die Zölle.“ Doch um diesen Zusammenhang zu begreifen, müsste der klügste Präsident aller Zeiten vermutlich mehr als eine DIN A4-Seite lesen – was er dem Vernehmen nach nicht kann oder will.

Auch ist nicht sicher, ob Trump weiß, dass auch in den USA Wertschöpfungsketten wegen fehlender EU-Vorprodukte abreißen können: „Wenn für die US-Industrie wichtige Vorprodukte nicht mehr verfügbar sind, kann es dort zu Produktionskürzungen oder gar Produktionsstillständen kommen. Dieses Wissen mindert die Gefahr, dass es zu einem eskalierenden Zollkrieg kommt, weil sich die USA damit selbst erheblichen Schaden zufügen würden. Es ist zwar nicht sicher, ob sich die schwer berechenbare US-Administration davon tatsächlich abschrecken lässt. Doch wäre zu erwarten, dass sich die US-Industrie ähnlich vehement gegen anhaltend hohe Zölle auf EU-Produkte wenden würde, wie sie es auch bei der Zolleskalation zwischen den USA und China getan hat.

Desweiteren empfehlen Samina Sultan und Jürgen Mattes vom IW dringend, den europäischen Binnenmarkt weiter zu stärken, Bürokratie und Handelshemmnisse weiter abzubauen, auch mit Großbritannien und der Schweiz, sowie Freihandelsabkommen mit Schwellenländern schnell abzuschließen. „Der Druck von außen erhöht den politischen Handlungsdruck der EU(…) und hat das Potenzial, die Umsetzungschancen deutlich zu erhöhen. In dieser Hinsicht liegt in der Krise auch eine Chance.“

Die ganze 44-Seiten-Studie kann man hier herunterladen:

 

 

 

 

 

 

Ein neues magisches Viereck

Quelle: IMK

Wohlstand bedeutet heutzutage mehr als stabile Preise, Wachstum und Beschäftigung. Ein schonender Umgang mit der Natur und der Abbau sozialer Ungleichheit sind heute mindestens ebenso wichtig. Vor knapp 60 Jahren glaubten Politiker in Westdeutschland, man müsse nur die vier Ziele stetiges Wachstum, stabile Preise, wenig Arbeitslose und eine ausgeglichene Export/Importbilanz in ein Gesetz schreiben, und alles würde sich zum Guten wenden. Das ist jedoch schon damals nur ein frommer Wunsch gewesen. 

Im Jahr 1967 trat in der Bundesrepublik das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ in Kraft, allgemein immer nur Stabilitätsgesetz genannt. Es benennt vier Einzelziele, die Bund und Länder mit ihren wirtschaftlichen und finanz­politischen Maßnahmen gleichzeitig erreichen sollen. Sie werden häufig als „magisches Viereck“ bezeichnet, weil sie sich nicht immer ohne Konflikte gleichzeitig realisieren lassen. Das magische Viereck umfasst laut Gesetz folgende Ziele: Ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum, ein stabiles Preisniveau, ein hoher Beschäftigungsstand und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht.

Klingt vernünftig, oder? Allerdings wird es Keinen wundern, dass die Daten zum magischen Viereck über die letzten 50 Jahre deutlich schwankten und fast immer mindestens eines dieser Ziele verfehlt wurde. Zudem sind diese vier Ziele bei weitem nicht die einzigen, die sich ein moderner Staat setzen sollte. So sollte die Politik auch beachten, dass es noch andere wichtige Ziele gibt, die teilweise in Konflikt mit den oben genannten Indikatoren stehen.

Beispielsweise mag zwar der deutsche Staatshaushalt einen Überschuss aufweisen, aber gleichzeitig verfällt die deutsche Infrastruktur. In Deutschland stehen immer mehr Menschen in Lohn und Brot, aber gleichzeitig steigt auch die Zahl der von Armut bedrohten Menschen. Die Wirtschaft mag zwar konstant und relativ solide wachsen, aber dies gilt leider auch für den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase.

Damit Regierungen sich diesen und anderen Konflikten stellen, haben die Ökonomen Sebastian Dullien und Till van Treeck schon 2012 vorgeschlagen, per Gesetz ein „Neues Magisches Viereck“ der Wirtschaftspolitik einzuführen. Dieses ergänzt die im alten Viereck enthaltenen Zielgrößen um weitere Indikatoren und verändert die Schwerpunktsetzung. Die neuen vier Zielgrößen lauten: Wirtschaftlicher Wohlstand und Stabilität, Nachhaltigkeit der Staatstätigkeit und der –finanzen, soziale Nachhaltigkeit und ökologische Nachhaltigkeit.

Das gewerkschaftseigene Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf untersucht gelegentlich, wie es um das Neue Magische Viereck bestellt ist. Und, wenig überraschend, zeigt die aktuelle Auswertung der Wirtschaftspolitik für die Jahre 2019 bis 2023, dass Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit viele Ziele nicht erreicht hat. Beim materiellen Wohlstand und der ökonomischen Stabilität sind das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und der Konsum pro Kopf gesunken, während die Inflationsrate und die Leistungsbilanzüberschüsse zu hoch waren. Ein großer Erfolg war allerdings, trotz Krisen, die ansteigende Beschäftigungsquote.

„Die Nachhaltigkeit der Staatstätigkeit und der Staatsfinanzen zeigt eine Verschlechterung aller Indikatoren“, schreibt IMK-Autor Fabian Lindner. „Defizite und Schuldenstandquote sind gestiegen, und die öffentlichen Nettoinvestitionen blieben unzureichend.“ Auch bei der sozialen Nachhaltigkeit sei zum aktuellen Zeitpunkt keines der Ziele erreicht worden. Die Armutsrisikoquote ist im Vergleich zum Vorjahr minimal gesunken, die Einkommensungleichheit nahm leicht zu, und der Gender Pay Gap blieb bestehen. Der Anteil der Jugendlichen ohne Abschluss stieg an.

Beim Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit bescheinigt Lindner der Bundesregierung eine „zielkonforme Reduzierung der Treibhausgasemissionen.“ Allerdings seien die Reduzierung des Primärenergieverbrauchs und der Ausbau der erneuerbaren Energien hinter den Zielen zurückgeblieben. Auch die Ziele zur Biodiversität wurden nicht annähernd erreicht. Diese Ergebnisse zeigten laut Lindner „die Herausforderungen, denen die deutsche Wirtschaftspolitik in der Polykrise gegenübersteht.“ Wer will, kann hier die gesamte Studie hier als PDF herunterladen.

Deutschlands Überschuss wieder gestiegen

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Deutschlands Überschuss in der Leistungsbilanz ist im vergangenen Jahr wieder gestiegen und bleibt der weltweit größte. „Wir rechnen mit 293 Milliarden Dollar oder 262 Milliarden Euro, was 7,6 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung entspricht. 2018 waren es nur 7,3 Prozent“, schreibt Christian Grimme, Konjunkturexperte am ifo Institut im Ifo-Schnelldienst 2/2020. Die Europäische Union hält höchstens sechs Prozent für langfristig tragfähig.

„Die Rezession in der deutschen Industrie dürfte ein wichtiger Faktor sein, denn dadurch sind die Importe von Waren langsamer gestiegen“, sagt Grimme. Aber auch die so genannten Primäreinkommen, hinter denen vor allem die Erträge aus im Ausland angelegtem Vermögen stehen, haben 2019 weiter zugelegt. Die durch Primäreinkommen erzielten Überschüsse machen inzwischen 37 Prozent des Leistungsbilanzüberschusses aus. So werden hohe Nettoeinnahmen aus ausländischen Direktinvestitionen und Wertpapieranlagen erzielt. Dabei ist sich die Wissenschaft noch uneinig, wie rentabel die deutschen Investitionen im Ausland angelegt sind.

Deutschland dürfte also im Jahr 2019 wieder das Land mit dem größten Leistungsbilanzüberschuss gewesen sein, wie schon in den drei Jahren zuvor. Der deutsche Wert liegt weit vor Japan, das einen Überschuss von 194 Milliarden US-Dollar (3,8 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung) aufweisen dürfte. Auf Rang drei folgt China mit rund 183 Milliarden US-Dollar (1,3 Prozent). Dagegen dürften die USA weltweit wieder das größte Leistungsbilanzdefizit verzeichnen mit etwa 490 Milliarden US-Dollar, was aber nur 2,3 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung entspricht. Dahinter folgen das Vereinigte Königreich mit einem Defizit von 117 Milliarden US-Dollar (4,2 Prozent) und Brasilien mit 51 Milliarden US-Dollar (2,9 Prozent).

„Der Handelskonflikt zwischen den USA und China hat seine Spuren im internationalen Handel hinterlassen. Die Auswirkungen auf die Leistungsbilanzsalden fallen aber bisher insgesamt noch eher gering aus“, schreibt Ifo-Forscher Christian Grimme, wohl auch, weil die Handelszölle sowohl die Ausfuhr- als auch die Einfuhrseite belasten. Handelsverschiebungen infolge des Konflikts seien großflächig noch nicht zu beobachten, da Firmen Zeit brauchten, sich auf das neue handelspolitische Umfeld und die damit verbundenen Unsicherheiten einzustellen.

Für das laufende Jahr sehen die Aussichten für den internationalen Handel nicht rosig aus, glaubt Ifo-Forscher Grimme. Zwar wurde Anfang dieses Jahres ein erstes Handelsabkommen zwischen den USA und China abgeschlossen, allerdings wird ein Großteil der Zölle weiter in Kraft bleiben. Auch bleibt weiter ungewiss, ob es zu US-Zöllen auf europäische Kraftfahrzeuge und andere Güter kommen wird.

Zum Schluss geht Ifo-Forscher Christian Grimme auf die bilateralen Leistungsbilanzsalden ein, die besonders die US-Regierung gerne ins Feld führt, um über die Ungerechtigkeit der Welt zu lamentieren. Genau diesen Disput will Grimme nämlich nicht weiter befeuern. „Die vorliegende Studie beschäftigt sich bewusst nicht mit bilateralen Salden, da aktuelle Forschungsarbeiten Zweifel daran aufkommen lassen, wie verlässlich die außenwirtschaftlichen Datengrundlagen sind.“

So zeige eine Studie mit dem Titel „What do we really know about the Transatlantic Current Account?“  von Ifo-Forscher Martin Braml und Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, dass für jedes Jahr der gesamten letzten Dekade unklar ist, ob die EU einen bilateralen Leistungsbilanzüberschuss oder ein -defizit gegenüber den USA aufweist. Beim bilateralen Leistungsbilanzsaldo liegen europäische und amerikanische Statistiken um bis zu 180 Milliarden US-Dollar auseinander. Auch die EU weist für 2018 laut dem EU-Statistikamt Eurostat in Luxemburg einen Handelsüberschuss mit sich selbst in Höhe von 307 Millirden Euro oder knapp zwei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung aus – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

 

Sind die fetten Jahre vorbei?

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Für viele Arbeitnehmer war 2018 ein gutes Jahr, schreibt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in ihrer neuesten Tarifbilanz für das Jahr 2018. Demnach sind die Tariflöhne- und -gehälter im vergangenen Jahr im Schnitt um 3,0 Prozent gestiegen. Zieht man von diesem Zuwachs die Inflationsrate des vergangenen Jahres ab, bleibt unterm Strich immer noch ein realer Lohnzuwachs von 1,1 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr habe die Lohnentwicklung damit deutlich an Dynamik gewonnen, heißt es in der Untersuchung.

„Mit der Tarifrunde 2018 haben die Gewerkschaften nicht nur kräftige Lohnzuwächse durchgesetzt, sondern auch eine Renaissance der tariflichen Arbeitszeitpolitik eingeleitet“, schreibt der Leiter des gewerkschaftlichen Tarifarchivs, Thorsten Schulten. Denn in einer Reihe von Branchen, von der Metall- und Elektroindustrie bis zur Deutschen Post AG, sei erstmalig die Möglichkeit geschaffen worden, dass Beschäftigte auf einen Teil der vereinbarten Lohnerhöhung verzichten und stattdessen zusätzliche freie Tage wählen können.

Allerdings gab es deutliche Unterschiede zwischen den Branchen. Am höchsten fiel 2018 die jahresbezogene Tarifsteigerung mit nominal 5,2 Prozent im boomenden Bauhauptgewerbe aus. Am wenigsten stiegen die Tariflöhne und -gehälter bei den Banken mit 1,3 Prozent und in der Textilindustrie mit 1,2 Prozent. Insgesamt bedeute die aktuelle Tariflohn-Entwicklung eine „Umverteilung zugunsten der Arbeitseinkommen“, meint Schulten. Denn der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen steige damit wieder an.

Wenn Ihr mich fragt, verdienen deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer noch zu wenig. Continue reading „Sind die fetten Jahre vorbei?“