Messenger-News statt Vierfarb-Flyer?

Foto: Rolf Wenkel

Geht Euch das auch so? Jede Woche flattern mir mindestens zehn aufwendig gedruckte Vierfarb-Flyer des Einzelhandels ins Haus: HIT, Aldi, Rewe, Penny, Lidl, dazu noch ein Baumarkt, ein Elektromarkt, ein Getränkegroßhandel, mindestens zwei Möbelhäuser und ein Küchenstudio. Allerdings: Rund sieben von zehn Prospekten wandern bei mir sofort in die Tonne. Ungelesen. Muss das sein?

Der Kölner Handelsriese REWE hat mal ausrechnen lassen, was die bunten Prospekte für seine bundesweit rund 3.700 Filialen an Ressourcen verschlingen: Über 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2 , 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr, schreibt RWE in einer Pressemitteilung.

Jedes Jahr landen im Schnitt 40 Kilo an Papierprospekten in den Briefkästen der Republik. Das geht auch anders: Ob REWE, Aldi, Obi, Toom oder Netto – sie alle planen, die gedruckten Handzettel langfristig durch digitale Kommunikation ganz oder teilweise zu ersetzen. Im Gespräch sind besonders Messenger-Dienste wie WhatsApp, weil die auf fast jedem werberelevanten Endgerät verfügbar sind.

Ganz offensichtlich wollen die großen Handelsketten mindestens zwei, wenn nicht gar drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Umstellung auf digitale Werbekanäle wie Newsletter oder Messenger-Dienste gilt als modern und zukunftsorientiert, ist also gut für’s Image, man kann sich als grün, umweltbewusst und nachhaltig darstellen, weil man Ressourcen einspart, was auch gut für’s Image ist, und man spart nebenbei noch die Kosten für Papier und Energie, die dank des Kriegsverbrechers in Moskau in schwindelnde Höhen steigen.

Besonders forsch preschte der Kölner Handelsriese RWE nach vorn – mit der Ankündigung, zum 1. Juli diesen Jahres den Druck und den Vertrieb der bunten Prospekte ganz einzustellen. Indes. „Nur eine Woche nach Bekanntgabe (…) ruderte man in Köln zurück. Die Händler können selbst entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht“, heißt es in einem Newsletter der EHI Retail Institute GmbH, dem Forschungsinstitut des deutschen Einzelhandels in Köln.

Überhaupt muss man sich die Frage stellen, ob man klima- und ressourcentechnisch so viel einspart, wenn die digitalen Prospekte demnächst im digitalen Messenger-Briefkasten und nicht in der Papiertonne landen. Es gibt Schätzungen, wonach der digitale Datenverkehr weltweit für etwa zwei Prozent der globalen CO2 –Emissionen verantwortlich und damit in etwa mit der Luftfahrtbranche vergleichbar ist. Und man kann ruhig davon ausgehen, dass gut die Hälfte der digital verursachten CO2 –Emissionen auf das Konto der digitalen Werbung und des Marketings geht. Das ist gewiss keine quantité négligeable.

Allerdings macht das EHI Retail Institute auch auf einen nicht zu unterschätzenden Vorteil aufmerksam: „Der Versand der Angebotsprospekte über Whatsapp hat den Charme, dass die Kund:innen aktiv zustimmen müssen. Durch das Opt-in trennen sich Spreu und Weizen. Außerdem bildet diese Variante der digitalen Kundenbindung die Grundlage für das Sammeln von Daten und Bilden von Nutzerprofilen – natürlich DSGVO-konform.“

Ja, ja, das wäre eine schöne Zukunftsvision: Null Werbung, es sei denn, ich habe ausdrücklich zugestimmt. Die Zukunft jedoch, so fürchte ich, wird eine andere sein: Ich werde digital mit Werbung zugeballert – und muss trotzdem 40 Kilo Papierprospekte pro Jahr entsorgen. Hybrid-Strategie nennt man das denn wohl unter den Marketingexperten.

Influencer: Die Luft wird enger

Wer heutzutage einigermaßen geradeaus in ein Mikrofon oder eine Kamera stammeln kann, fühlt sich bald zum Influencer berufen. Ein Drittel aller zwischen 1997 und 2010 in Deutschland geborenen Menschen will seinen Lebensunterhalt als Influencer verdienen, sagen Studien. Das Institut der deutschen Wirtschaft warnt indes: Die Aufmerksamkeit des Pubkikums lässt sich nicht beliebig steigern.

Ach ja, Influencer im Internet: Gibt es doch da die schöne Erzählung, nach der Cristiano Ronaldo auf einer Pressekonferenz der Europameisterschaft 2021 durch das Beiseitestellen zweier Cola-Flaschen den Aktienkurs des weltbekannten Zuckerbrause-Produzenten aus Atlanta/Georgia einbrechen ließ. Seitdem ist klar, wie stark bekannte Persönlichkeiten den Ruf und dadurch die wirtschaftliche Situation einzelner Unternehmen beeinflussen können – im positiven wie im negativen Sinne.

Das Erfolgsrezept: Anders als herkömmliche Werbung wirken Empfehlungen von Influencern auf deren Follower wie ein freundschaftlicher Rat. Für die Unternehmen hinter dem Werbedeal heißt das: Kundenvertrauen ist fest eingebaut. Den werbenden Influencern bringen die gesponsorten Posts indes gutes Geld ein. Und die stetig steigenden Ausgaben für Influencer-Kampagnen legen den Schluss nahe, dass sich die moderne Marketingstrategie auch für die Firmen rentiert. Im Jahr 2021 gaben Unternehmen laut Influencer Marketing Hub weltweit mit fast 14 Milliarden Dollar mehr als doppelt so viel für Influencer-Marketing aus wie noch zwei Jahre zuvor.

Na, das ist doch mal ein richtig dicker Wirtschaftsfaktor: Während 2018 nur zwölf Prozent der deutschen Unternehmen bereit waren, mehr als 100.000 Euro für Influencer-Marketing auszugeben, waren es 2020 bereits 25 Prozent. Laut einer Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft planten für das Jahr 2021 rund 45 Prozent der befragten Unternehmen, ihr Budget für Influencer-Marketing weiter zu erhöhen. Lediglich vier Prozent wollten weniger Geld als 2020 investieren.

Doch nicht nur die Nachfrage der Unternehmen nach werbenden Influencern wächst. Auch viele junge Menschen können sich mittlerweile vorstellen, ihr Geld über die sozialen Medien zu verdienen. Eine Umfrage von YouGov Deutschland unter den von 1997 bis 2010 Geborenen – auch bekannt als Generation Z – zeigt: Fast ein Drittel der Generation Z ist nach eigenen Angaben schon Vollzeit-Influencer oder möchte es werden, sechs Prozent der Befragten verdienten 2021 so bereits ihren Lebensunterhalt.

Auf Plattformen wie Instagram, YouTube und TikTok schießen Influencer derzeit immer noch wie Pilze aus dem Boden. Das Geschäftsmodell beruht natürlich einzig und allein auf der Neugierde und der Aufmerksamkeit ihrer Follower. „Aufmerksamkeit ist aber keine unendliche Ressource“, sagt Barbara Engels, Senior Economist für nachhaltige Digitalisierung beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Denn die Anzahl der Menschen, die eine Person wahrnehmen und mit denen sie interagieren kann, ist begrenzt. Das gilt auch für Influencer, die ihre Follower teilweise wie Freunde im Alltag begleiten. Mit höchstens 150 Menschen kann eine Person Studien zufolge in regelmäßigem Kontakt bleiben. Verwendet man diese Zahl für den deutschen Influencer-Markt, zeigen sich die Grenzen des Wachstums.“

Barbara Engels, Senior Economist für nachhaltige Digitalisierung beim IW in Köln (Quelle: IW )

Nicht jeder Influencer kann von seiner Arbeit in sozialen Medien leben. Erst ab einer Followerzahl von mindestens 20.000, eher noch 100.000, kann man davon ausgehen, dass ein Influencer damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Gäbe es im deutschen Markt nur mittelgroße Influencer mit 20.000 Followern, würde – unter Berücksichtigung der 150er-Regel – die Aufmerksamkeit der deutschen Internetnutzer ausreichen, um 543.000 Influencer im Markt zu halten, schreibt Barbara Engels in einer IW-Studie. Bereits jetzt verdienen laut Umfragen allein 500.000 Menschen der Generation Z ihren Lebensunterhalt als Influencer. Hinzu kommen noch Influencer anderer Generationen, und Influencer aus dem Ausland – unter diesen Annahmen dürfte der Markt als gesättigt angesehen werden.

Gleichzeitig ist die Branche in Bewegung: Neue Influencer gewinnen Follower, ältere verlieren sie, oder zumindest ihre Aufmerksamkeit. Eine längere Karriere als Influencer bestreiten zu können, ist nur den wenigsten vergönnt. Aber: Influencer sind nur ein Teil der Wertschöpfungskette. Unternehmen, die Influencer monetarisieren, ihnen eine Plattform bieten oder an Audio- und Videoinhalten mitarbeiten, sind Teil eines wachsenden Marktes. „Junge Menschen, die sich für eine Karriere als Influencer interessieren, sollten sich bei der Berufswahl eher an den angrenzenden Bereichen wie der IT-Branche orientieren“, rät IW-Digitalisierungsexpertin Barbara Engels. „Die Chancen stehen schlecht, dauerhaft als Influencer Geld zu verdienen.“

Übrigens, nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich mag viele Blogs und Vlogs, sie sind oft sehr unterhaltsam und auch nützlich, z.B. wenn Dir jemand erklärt, was in der chinesischen Gebrauchsanleitung steht oder wie man eine Artemide Tizio aus den 70er Jahren auf LED umrüstet. Die Betreiber haben einfach Spaß und vermutlich, wie das Finanzamt sagt, keine Gewinnerzielungsabsicht. Da sind immer nette Sachen dabei, aber ein ernstzunehmender Berufswunsch sollte das in meinen Augen für junge Menschen mit Perspektive auf die Zukunft nicht sein.

Digitalisieren wir unsere Jobs weg?

Foto: Marko Greitschus / pixelio.de
Foto: Marko Greitschus / pixelio.de

Wer Ängste schürt, macht Auflage. „Zerstören Roboter das deutsche Jobwunder?“, fragt denn auch so mancher Sensationsjournalist. Aber ist das wirklich so? Denn die Arbeit ist noch nie ausgegangen – sie verändert sich nur.

Die Angst vor Veränderungen im Arbeitsleben ist nicht neu. Anfang des 19. Jahrhunderts sorgten sich englische Textilarbeiter um die Auswirkungen der industriellen Revolution, was in der gezielten Zerstörung von Maschinen gipfelte. Auch der britische Ökonom John Maynard Keynes warnte in den 1930er Jahren vor „technologischer Arbeitslosigkeit“, die sich weit verbreiten werde.

In seinem Buch „Das Ende der Arbeit“ hat der amerikanische Ökonom und Soziologe Jeremy Rifkin 1995 gezeigt, dass durch den Produktivitätszuwachs von 1975 bis 1995 zahllose Fabrikarbeitsplätze verschwunden sind – obwohl die Wirtschaft im gleichen Zeitraum weiter gewachsen ist. Anhand weltweiter Wirtschaftsdaten sagte Rifikin voraus, 2020 würden nur noch zwei Prozent der Weltbevölkerung in der Produktion arbeiten.

Und heute? Heute wird erneut Angst geschürt, und die Schuldigen heißen diesmal Digitalisierung, Industrie 4.0, das Internet der Dinge, Plattformökonomie – sie alle werden uns die Arbeit streitig machen, heißt es. „Zerstören Roboter das deutsche Jobwunder?“ fragte die „Bild“-Zeitung neulich. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2013 sagt, in den USA seien 47 Prozent aller Jobs durch den technischen Wandel bedroht. Experten haben das auf Deutschland übertragen und kommen auf 42 Prozent. Continue reading „Digitalisieren wir unsere Jobs weg?“