Gewinninflation und Inflationsgewinner

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Das Ifo-Institut bestätigt eine Vermutung, die ich im Dezember in meinem Post „Inflation wird durch Trittbrettfahrer angeheizt“ beschrieben habe:  Da draußen scheint es jede Menge Unternehmen zu geben, die die Inflation nutzen, um ihre Gewinne kräftig aufzublasen – obwohl sie selbst von einem Kostenschub überhaupt nicht betroffen sind. 

 

Manche Unternehmen haben auch im vierten Vierteljahr 2022 ihre Verkaufspreise stärker erhöht als es durch die Entwicklung der Einkaufspreise angelegt war“, schreibt das Ifo-Institut in einer Pressemitteilung. „Diese Firmen haben die Lage genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu steigern. Das gilt vor allem für Unternehmen im Handel, Gastgewerbe und Verkehr sowie im Baugewerbe“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung in Dresden. Insgesamt habe sich die Entwicklung im vierten Quartal jedoch verlangsamt. (Hier gibt’s die Studie als PDF)

Die hohen Preissteigerungsraten werden gemeinhin auf höhere Beschaffungskosten der Unternehmen zurückgeführt. Tatsächlich sind insbesondere die Einfuhrpreise stark gestiegen, getrieben vor allem durch die Verteuerung von Energierohstoffen. Es sei aber zur kurz gegriffen, dies allein auf den Ukraine-Krieg und die dadurch verursachten Kostensteigerungen zurückführen, schreibt Ragnitz. Denn der beschleunigte Preisanstieg bei importierten Gütern wie auch bei Energie habe bereits im Frühjahr 2021 eingesetzt. Die Exportpreise seien demgegenüber deutlich schwächer gestiegen. Teuer im Ausland einkaufen, gleichzeitig beim Export kaum Preiserhöhungen durchsetzen – das bedeutet unterm Strich: Deutschland ist ärmer geworden.

Einflüsse aus dem Ausland sind jedoch nicht der alleinige Grund für die gestiegene Inflation. Ein Großteil ist auch hausgemacht: Es ist ja auch sehr verführerisch, den Kostenschub  als Vorwand dafür zu nehmen, durch eine noch stärkere Erhöhung ihrer Absatzpreise auch ihre Gewinnsituation zu verbessern. Dies dürfte die Inflation auf der Verbraucherstufe verstärkt haben.

Dies sei aber kein Grund für staatliche Eingriffe in die Preisbildung, schreibt Ragnitz weiter. Auch Ideen wie die aktuell gerne geforderte Übergewinnsteuer erteilt Ragnitz eine Absage. Sie würde die Knappheitssignale des Marktes verzerren und ließe sich zudem nicht rechtssicher durchsetzen. Sie berge überdies die Gefahr, dass damit auch solche Gewinne einzelner Unternehmen abgeschöpft würden, die aufgrund von Innovationen oder aufgrund einer Steigerung der Absatzmengen erzielt werden können. Und da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass hinter den Preissteigerungen Absprachen der Unternehmen stehen könnten, seien auch kartellrechtliche Maßnahmen nicht hilfreich.

Stattdessen, so Ragnitz weiter, werde man auf herkömmliche Rezepte setzen müssen: So sei die Inflationsbekämpfung primär eine Sache der Geldpolitik der EZB, die freilich wegen ihres gesamteuropäischen Mandats Besonderheiten der Entwicklung in Deutschland nicht berücksichtigen könne, und auf Unternehmerebene helfe nur vermehrter Wettbewerb gegen weitere Preissteigerungen.

Auch die Finanzpolitik könne – wenngleich nur mit Einschränkungen – zur Senkung der Inflation beitragen, schreibt Ragnitz. Beispielsweise indem sie auf breit angelegte Entlastungsmaßnahmen zugunsten der privaten Nachfrager verzichte, die den realwirtschaftlichen Anpassungseffekt hoher Preise konterkarierten. Stattdessen sollten entsprechende Maßnahmen zielgerichtet auf einkommensschwache Haushalte konzentriert werden.

DIW: „Wir sind schon in der Rezession“

Grafik: DIW

Das Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) liegt auch im September deutlich im negativen Bereich: Mit 79,8 Punkten verharrt es weit unter der 100-Punkte-Marke, die für ein durchschnittliches Wachstum der deutschen Wirtschaft steht. Die Energiekrise, hohe Inflationsraten sowie die sich abkühlende Weltwirtschaft verursachen heftigen Gegenwind.

„Deutschland steckt in der Rezession und leider ist momentan kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen“, sagt DIW-Konjunkturexperte Guido Baldi. „Der vom russischen Präsidenten angezettelte Krieg in der Ukraine und seine weitreichenden Folgen dürften 2022 und 2023 zu Wachstumsverlusten in Deutschland von grob geschätzt fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts führen.“

Die enormen Steigerungen bei den Energiepreisen führten zu dramatischen Kaufkraftverlusten und drohten in vielen Unternehmen die Produktion unrentabel zu machen, schreibt das DIW. Darüber hinaus führe der Krieg in der Ukraine in den meisten entwickelten Volkswirtschaften nicht nur zu einer Energiekrise und hohen Inflationsraten, sondern auch zu deutlich geringeren Wachstumsraten oder gar Rezessionen. Die chinesische Wirtschaft wird zudem durch Corona-Lockdowns und die schwelende Immobilienkrise ausgebremst. All dies belastet die exportorientierte deutsche Wirtschaft zusätzlich.

Im Zuge dieser Entwicklung sind die Auftragseingänge für die deutsche Industrie aus dem In- und Ausland rückläufig. Immerhin scheinen sich die bislang hartnäckig haltenden Engpässe in den internationalen Lieferketten allmählich zu entspannen, sodass der immer noch hohe Auftragsbestand effizienter abgearbeitet werden kann. Die Energiekrise entwickelt sich allerdings auch für die deutsche Industrie zum Hauptproblem. „Preissteigerungen für Energie auf der einen und Unsicherheit auf der anderen Seite dämpfen die realen Umsätze und die Geschäftserwartungen,“ sagt Laura Pagenhardt, DIW-Konjunkturexpertin. „Für einige Firmen könnte sich bald die Frage stellen, ob es sich aktuell überhaupt noch lohnt, die Produktion aufrechtzuerhalten.“

Auch die Dienstleistungen befinden sich nach einem Zwischenhoch im Frühjahr nun im Abschwung. Die hohe Inflation dämpft die Kauflust der Haushalte, was sich immer mehr auf die Umsätze etwa im Einzelhandel oder im Gastgewerbe auswirkt. Wenigstens brauchen sich die meisten Menschen angesichts des Fachkräftemangels momentan zumindest keine Sorgen um einen Arbeitsplatzverlust zu machen. Die hohe Teuerung führt aber dazu, dass viele Beschäftigte inflationsbereinigt mit Lohneinbußen konfrontiert sind. Gerade Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen drohen so in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. „Viele Menschen und Unternehmen blicken trotz der bisher beschlossenen Entlastungspakete der Bundesregierung mit großen Sorgen in die Zukunft. Diese berechtigten Ängste bremsen die Konsum- und Investitionsneigung zusätzlich und drohen die Rezession noch weiter zu verschärfen“, sagt Baldi.

Der Branchenverband HDE sieht den Einzelhandel bereits im Dilemma. „Die Kundinnen und Kunden kaufen weniger oder günstiger ein, gleichzeitig steigen die Energiepreise auch für die Betriebe explosionsartig an“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. „Die Preissteigerungen einfach so an die Kundendurchzureichen, funktioniert in dieser Lage im harten Wettbewerbnicht.“ Deshalb müsse die Bundesregierung ihre Hilfsprogramme für von den Energiekosten überforderte Firmen rasch anpassen, damit auch Einzelhändler Unterstützung erhalten könnten.

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)der Hans-Böckler-Stiftung rechnet für 2023 mit einem Einbruch des privaten Konsums. Die Ausgaben der Haushalte dürften wegen der hohen Inflation um 2,5 Prozent sinken und damit so stark wie seit dem Corona-Jahr 2020 nicht mehr. Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gehen davon aus, dass Deutschland eine Rezession im Winter nicht verhindern kann. Sie veröffentlichen ihre Gemeinschaftsdiagnose am Donnerstag (29.09.) um 10 Uhr in Berlin. Bereits jetzt ist jedoch durchgesickert, dass die Ökonomen ihre Prognose vom Frühjahr massiv nach unten korrigiert haben. Für dieses Jahr erwarten die Fachleute demnach nur noch ein Wirtschaftswachstum von rund 1,4 Prozent und für 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um etwa 0,4 Prozent.

Die Diagnosen werden zweimal jährlich, jeweils im Frühjahr und im Herbst, erstellt. Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören gegenwärtig folgende Wirtschaftsforschungsinstitute an: Das ifo Institut in München in Kooperation mit dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), Wien, das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), und das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung  in Essen in Kooperation mit dem Institut für Höhere Studien in Wien. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat seine Mitarbeit an der Gemeinschaftsdiagnose vorläufig ausgesetzt und wird sich vermutlich erst im Herbst 2023 wieder an der gemeinsamen Diagnose beteiligen.

 

Ein Verlierer schlägt um sich

fotoART by Thommy Weiss / pixelio.de.

Diktator Gasputin hat seinen Angriffskrieg auf die Ukraine vermutlich zu spät gestartet, um auf lange Sicht Erfolg zu haben, schreibt ein britischer Professor für Geschichte und internationale Beziehungen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung FAS. Die Überschrift: „Politik eines Verlierers“.

 

Der Brite Harold James ist auf deutsche und europäische Wirtschaftsgeschichte spezialisiert und lehrt an der Princeton University in den USA. Nun haben die USA bislang erfolgreich den Eindruck vermeiden können, sie hätten besonders viel Ahnung von fremden Ländern, Kulturen, Denkweisen. Aber das gilt mehr für ihre Politiker und ihre Politik, z.B. in Ostasien oder im Nahen Osten, nicht aber für ihre Universitäten. Die Einlassungen von Harold James in der FAS finde ich jedenfalls plausibel und hochspannend.

Putin träumt ganz offensichtlich davon, ein russisches Imperium von sowjetischen Ausmaßen wieder zu errichten, vermuten viele Analysten. Harold James sieht darin Parallelen zu den Leitideen des Imperialismus des 19. Jahrhunderts, „den Drang, ein Imperium mit allen Mitteln zu errichten, egal wie brutal und zerstörerisch.“ Zwar kämen jetzt noch die Methoden und Taktiken des KGB hinzu, doch es gehe hier nicht um Putins persönliche Psychopathologie, sondern darum, dass die Konstruktion einer neuen imperialen Wirklichkeit erhebliche Mängel aufweise, schreibt James – und führt fünf dieser Konstruktionsmängel auf.

Harold James (Foto: Adena Stevens / princeton.edu)

Vier dieser Schwächen sind Leckerbissen für Historiker, Philosophen und Psychologen, die fünfte ist eine ökonomische Schwäche, die unmittelbar daran anschließt, was Dr. Hella Engerer vom  Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin in einer kurzen Analyse angemerkt hat (siehe auch https://mmmblog.de/?p=3961 ): „Trotz hoher internationaler Reserven und Profite aus den Energieexporten entwickelte sich die russische Wirtschaft wenig dynamisch. In der längerfristigen Perspektive zeigt sich eine deutliche Wachstumsschwäche der russischen Wirtschaft.“ Obwohl er also die Mittel dazu hatte, sei es Putin nicht gelungen, die Wirtschaft in der Breite zu modernisieren.

Das deckt sich mit der Beobachtung von Professor Harold James – doch der zieht viel weiter reichende Schlüsse daraus. Zu Beginn seiner politischen Vorherrschaft sei Putin die strategische Wette eingegangen, seine natürlichen Ressourcen dazu nutzen – wie die Sowjetunion in den 1970er und 80er Jahren – um Einfluss auszuüben und Abhängigkeiten zu schaffen: „Der entscheidende Fehler Russlands in den 2000er Jahren bestand darin, jeden Gedanken an eine fortschrittliche Industrieproduktion oder eine Strategie der industriellen statt rohstoffbezogenen Ausrichtung aufzugeben“, schreibt James in der FAS.

Diese Strategie sei aber zum Scheitern verurteilt in Zeiten, in denen sogar postsowjetische Staaten wie Kasachstan über Dekarbonisierung nachdenken. Alle Welt denkt darüber nach – nur Russland nicht. Dabei wäre „Gasputin ohne Gas hilflos.“ Klar hat er noch Gas, jede Menge, aber das wird bald keiner mehr haben wollen. „Die Diskussion über das globale CO2-Problem und der Übergang zu globalen Vereinbarungen über die Erderwärmung (von Donald Trump kurzzeitig aufgehalten) entzogen der russischen Langzeitstrategie dann die Grundlage.“

Jedes Möchtegern-Imperium häuft erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Ressourcen an, „von denen sie glauben, dass sie sie im Verlauf des unvermeidlichen Konflikts beschützen werden“, schreibt James in der FAS. Das kaiserliche Deutschland legte seine Kriegsreserve in Gold im Juliusturm in Spandau an – genutzt hat es nichts. Putin hat rund 74 Millionen Feinunzen Gold angehäuft, die Ende Januar rund 140 Milliarden Dollar wert waren – nützen wird es ihm nichts, „weil sie nicht leicht bewegt und gehandelt werden können“.

Hinzu kommt, dass die Opposition, so schwach sie auch im Moment zu sein scheint, immer auch mit den Füßen abstimmen und aus dem Rubel fliehen kann – die Schlangen in Moskau, um Dollar zu kaufen, waren unübersehbar. Für Demonstranten sei es gefährlich, auf die Straßen zu gehen, die Oligarchen wagten keinen offenen Widerspruch – aber die jungen Russen würden vermutlich keine Staatsanleihen zur Kriegsfinanzierung zeichnen, weil Anleihen Vertrauen voraussetzen, Vertrauen, das Putin längst verspielt hat, schreibt Harold James.

Die neuen elektronischen Privatwährungen wie Bitcoin und Etherum böten zudem die Möglichkeit, „einen Widerstand auszudrücken und ein finanzielles Vertrauensvotum abzugeben“. Der Anstieg des Bitcoin-Preises sei ein Hinweis auf die dramatische Kapitalflucht aus einem Regime, das seine Glaubwürdigkeit verloren habe. Geld – oder der Mangel daran – könne Imperien zerstören, modernes Geld könne diese Aufgabe sogar noch viel schneller erledigen als früher.