Raus aus der Schnarchphase

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Das ist schon ein recht ungewöhnlicher Schulterschluss, doch diesmal sind sich Arbeitgeber und Gewerkschaften einig: Die Regierung macht nach ihrer Auffassung zu wenig für die Zukunft. Sie fordern vehement mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung. Die Frage ist nur, ob die Öffentliche Hand überhaupt noch das nötige Personal hat, um das Geld für Zukunftsinvestitionen sinnvoll auszugeben. 

Deutschland sollte in den nächsten zehn Jahren zusätzlich mehr als 450 Milliarden Euro investieren, um seine Infrastruktur und sein Bildungssystem zu modernisieren, fordern Arbeitgeber und der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB seit dem heutigen Montag (18.11.2019) in seltener Einigkeit. Die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse stellen sie dabei ebenso in Frage wie die noch auf Jahre von der Regierung angestrebte Schwarze Null im Haushalt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz bleiben allerdings stur. Sie sagen, die Investitionen lägen bereits auf Rekordniveau.

„Deutschland muss aus der Schnarchphase rauskommen“, sagte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Dieter Kempf, in Berlin. Es müsse ganz neu gedacht und diskutiert werden. Es gebe die echte Sorge, dass die Regierung zu wenig mache. Der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann, erwartet, dass die große Koalition dazu in der zweiten Hälfte ihrer Amtszeit dazu klare Ansagen macht. Beide verwiesen darauf, dass es für große Bauvorhaben eine effizientere Planung und schnellere Genehmigungsverfahren geben müsse.

Merkel verteidigte die Schwarze Null, obwohl Deutschland zuletzt nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt ist. Finanzminister Scholz sagte, in den nächsten zehn Jahren seien Investitionen von zusammen weit über 400 Milliarden Euro geplant. Das Klimaschutzpaket bringe weitere 150 Milliarden Euro. Deshalb sehe er die Forderungen von Gewerkschaften und Industrie eher als Unterstützung seiner ohnehin schon expansiven Finanzpolitik.

Sebastian Dullien, der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans Böckler-Stiftung, ist überzeugt, dass der Staat ganze zwei Jahrzehnte zu wenig investiert hat. Im nächsten Jahrzehnt müssten 138 Milliarden Euro eingesetzt werden, um den Investitionsstau der oft klammen Kommunen abzubauen – eine Summe, die auch der Deutsche Städtetag und die staatliche Förderbank KfW errechnet haben. Weiterhin müssten 110 Milliarden in den Bildungsbereich fließen, 75 Milliarden zur Förderung einer CO2-neutraleren Wirtschaft eingesetzt und 60 Milliarden in die Deutsche Bahn investiert werden. Jeweils 20 Milliarden empfiehlt der Experte für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, von Fernstraßen und der Breitband-Infrastruktur. Und mit 15 Milliarden müsste der Wohnungsbau angeschoben werden.

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, Michael Hüther, kritisierte wieder einmal die Schuldenbremse als reformbedürftig, weil sie zu wenig flexibel sei. Die Regelung ist nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 eingeführt worden, als Deutschland noch deutlich höhere Verbindlichkeiten hatte. Hüther sagte, viele Studien sprächen dafür, dass die Zinsen auf lange Sicht niedrig blieben, was für kreditfinanzierte Investitionen spreche. Weil Bundesanleihen als sehr sicher gelten und daher bei Investoren besonders begehrt sind, verdient der Staat momentan sogar Geld beim Schuldenmachen.

Auch die Bauindustrie ist unzufrieden mit der großen Koalition. Sie fordert konstante Infrastrukturmodernisierungen, damit die Firmen vernünftig planen und ihre Kapazitäten aufstocken könnten. Gleichzeitig müsse mehr getan werden, um die Akzeptanz von Großprojekten zu steigern. BDI-Präsident Kempf ergänzte, der Staat müsse dort aktiv sein, wo es sich für Firmen nicht lohne – und effizienter werden. Beim Breitbandausbau seien zum Beispiel von Fördermitteln in Höhe von 4,5 Milliarden Euro gerade einmal drei Prozent auch abgerufen worden.

Das ist auch die Crux bei allen Forderungen nach mehr Zukunftsinvestitionen: Oft werden sie nicht nur durch die Bürokratie oder den Widerstand von Bürgerinitiativen behindert und verzögert, sondern auch durch mangelnde Planungskapazitäten bei Bund, Ländern und Gemeinden.

Oder anders: Die bereits genehmigten Gelder können nicht sinnvoll eingesetzt und ausgegeben werden, weil das Personal für Planung, Projektmanagement und Kontrolle fehlt. Rund 19,2 Milliarden Euro hat der Bund aus dem Haushaltsjahr 2018 in den laufenden Haushalt übertragen müssen, weil sie nicht abgerufen und verbraucht werden konnten. Nicht das Geld ist also oft das Problem bei den Investitionen, sondern der schleppende Abfluss. Jetzt rächt sich, dass die Öffentliche Hand jahrzehntelang massiv Personal abgebaut hat – nicht nur bei Lehrern und Polizei, sondern auch bei Planern und Ingenieuren.

 

Die fetten Jahre und die schwarze Null

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Der Staat hat im vergangenen Jahr dank hoher Steuereinnahmen einen Rekordüberschuss von 58 Milliarden Euro erzielt. Das hat das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitgeteilt – und damit frühere Angaben leicht nach unten korrigiert. Demnach nahm die Öffentliche Hand (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen) 1,543 Billionen Euro ein und gab 1,485 Billionen Euro aus. Das ist absolut gesehen immer noch der höchste Überschuss, den der Staat seit der deutschen Wiedervereinigung erzielt hat. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen (3,386 Billionen Euro) ergibt sich daraus für den Staat eine Überschussquote von 1,7 Prozent.

Die Einnahmen legten im Vergleich zu 2017 mit 4,7 Prozent „deutlich“ zu, schreiben die Wiesbadener Statistiker, stärker als die Ausgaben, die um 3,2 Prozent wuchsen. Zu verdanken war das zum großen Teil den Einkommen- und Vermögensteuerzahlungen, sie stiegen um 5,7 Prozent. Die gute Arbeitsmarktlage führte auch zu einem kräftigen Anstieg von 4,3 Prozent bei den Sozialbeiträgen. Den höchsten Überschuss erzielte laut Statistik der Bund mit 17,9 Milliarden Euro. Die Sozialversicherungen schlossen das Jahr mit einem Plus von 14,9 Milliarden Euro ab. Den Kommunen blieb ein Überschuss von 14,0 Milliarden Euro, den Ländern 11,1 Milliarden Euro.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte zu Jahresbeginn gesagt, die „fetten Jahre“ seien vorbei. Wie passt das zusammen? Wir sind zwar auf der Liste der reichsten Länder auf Platz vier und haben einen gigantischen Exportüberschuss, aber Olaf Scholz wird doch sicher einen Grund haben, den Zeigefinger zu erheben? Und tatsächlich: Trotz Rekordeinnahmen des Staates wird demnächst vermutlich wieder ein Loch im Haushalt des Bundes klaffen. Neben einer abflauenden Konjunktur und abgesenkten Wachstumsprognosen (von 1,8 auf 1,0 Prozent bis 2020), was die Steuereinnahmen nicht mehr so üppig sprudeln lassen wird, schlagen auch Milliardenprojekte der großen Koalition zu Buche. In den kommenden Jahren (bis 2023) fehlen nach Angaben des Finanzministeriums 25 Milliarden Euro. Eine Sprecherin von Scholz sagte, die „schwarze Null“ stehe nicht zur Debatte.

Koalitionskonflikte um das knappe Geld stehen also an, gerade weil weitere Milliardenprojekte wie der Kohleausstieg und höhere Verteidigungsausgaben geplant sind. Die Unionsparteien planen außerdem Entlastung von Unternehmen oder die vollständige Abschaffung des „Soli“. Da ist es wohl an der Zeit, mal wieder einen Kassensturz vorzunehmen. Was geht, was geht nicht? Derzeit wird der Haushalt für 2020 und die Finanzplanung bis 2023 aufgestellt, beides soll vom Kabinett am 20. März beschlossen werden. Wegen der Engpässe darf es neue Ausgaben nur geben, wenn an anderer Stelle von den Ministerien gespart wird. Scholz in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Wir können uns fast alles leisten – aber nicht alles gleichzeitig.“