Putin wirft die Wirtschaft um Jahre zurück

Das DIW-Portal in der Mohrenstraße (Foto: DIW)

Nach Putins völkerrechtswidrigen Angriff in der Ukraine haben die EU und die USA tiefgreifende Restriktionen im Finanzsektor in Kraft gesetzt, denen sich inzwischen auch die neutrale Schweiz angeschlossen hat. Dass über das SWIFT-Netz die russischen Banken vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten werden, damit hatte Russlands Despot natürlich gerechnet. Aber die Weltgemeinschaft hat noch eine andere Keule ausgepackt, die eine verheerende Wirkung auf Russlands Wirtschaft haben wird: Putins über Jahrzehnte angehäuften Devisenreserven sind praktisch wertlos, denn er kann sie nicht ausgeben.

Mit den Folgen für die russische Wirtschaft beschäftigt sich Dr. Hella Engerer vom  Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin in einer kurzen Analyse. Dort schreibt die Expertin für Ressourcenmärkte und Energiewirtschaft, die gegen die russische Zentralbank ergriffenen Maßnahmen zielten darauf ab, deren Handlungsspielraum durch Einfrieren ihrer Devisenreserven deutlich zu beschränken. Dies sei ein äußerst wirksames Instrument, das in der Geschichte erstmals gegenüber einer großen Volkswirtschaft verhängt wurde und zur Folge habe, dass die russische Zentralbank keinen Zugriff mehr auf einen Großteil ihrer knapp 600 Milliarden US-Dollar umfassenden Währungsreserven hat.

Dr. Hella Engerer (Foto: DIW)

Die Folge: Am Montag den 28. Februar stürzte die russische Währung ab – der Rubel verlor rund ein Drittel seines Wertes. Noch am gleichen Tag erhöhte die russische Zentralbank ihren Leitzins auf 20 Prozent, um den weiteren Währungsverfall zu stoppen. Doch dieses klassische Instrument zur Stützung einer Währung hat eine äußerst unangenehme Nebenwirkung: Geld wird für Unternehmen so teuer, dass sich keine Investition mehr lohnt, die Wirtschaft wird abgewürgt.

In der DIW-Analyse wird das so beschrieben: „Diese Zinserhöhung trifft eine ohnehin schon wachstumsschwache Volkswirtschaft, die es bislang versäumt hat, ihre starke Abhängigkeit von der Produktion fossiler Energieträger zu reduzieren.“

Die internationalen Reserven Russlands beliefen sich zum Ende des Jahres 2021 auf 630 Milliarden US-Dollar. „Rein rechnerisch könnte das Land damit seine Importe für etwa zwei Jahre decken“, heißt es in der DIW-Analyse von Hella Engerer. Die hohen Reserven hätte Putin nutzen können, um seine (Kriegs-)Wirtschaft zu finanzieren und Sanktionen auszusitzen. Doch daraus wird jetzt nichts, schreibt Engerer: „Dieses Kalkül wird angesichts der Restriktionen gegen die russische Zentralbank nicht aufgehen.“

Die USA, die Europäische Union, Großbritannien und die Schweiz haben beschlossen, russische Devisenbestände, die sich auf Konten in diesen Ländern befinden, einzufrieren und damit dem Zugriff der russischen Zentralbank zu entziehen. Die russische Zentralbank hat zuletzt im Juni 2021 nähere Angaben zur Zusammensetzung ihrer Reserven veröffentlicht, die damals 585,3 Milliarden Dollar umfassten. So sind die Devisenreserven sind vorwiegend in Euro, US-Dollar, britischem Pfund und weiteren westlichen Währungen angelegt. Aber auch die Position des chinesischen Renminbi haben die russischen Zentralbanker ausgebaut.

Die geographische Verteilung zeigt laut DIW ein hohes Gewicht europäischer Länder. Seit Mitte letzten Jahres sind die internationalen Reserven nochmals deutlich gestiegen; es wurden wahrscheinlich weitere Umschichtungen vorgenommen. „Dennoch dürften aktuell unter Einschluss der europäischen Länder, der USA, Kanadas und Japans wohl ein Großteil der Devisenreserven dem Zugriff der russischen Zentralbank entzogen sein“, urteilt das DIW. Zudem wird diskutiert Russland daran zu hindern, die Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds einzulösen. Auf die chinesischen Bestände hingegen dürfte die russische Zentralbank weiterhin zugreifen können. Zudem verfügt sie über Goldreserven in Höhe von 132 Milliarden US-Dollar, die sie aber kaum kurzfristig und in hohem Volumen auf internationalen Märkten veräußern kann. „Der Handlungsspielraum der russischen Zentralbank ist insgesamt deutlich enger geworden“, schreibt das DIW.

Generiert wurden die hohen russischen Devisenreserven vor allem durch den Export fossiler Energieträger. Lange Zeit lag das Exportvolumen auf hohem Niveau und die Ölpreise sicherten hohe Erlöse. Damit Schwankungen des Ölpreises nicht zu stark auf die inländische Wirtschaft durchschlagen, hat Russland bereits 2004 einen Staatsfonds aufgelegt, der – nach mehreren Umstrukturierungen – heute als „Nationaler Wohlstandsfonds“ bezeichnet wird. In diesen werden die Rohölexporterlöse teilweise eingespeist. Auch die Einlagen in diesem Fonds sind noch vor der Corona-Pandemie deutlich erhöht worden.

Indes: „Trotz hoher internationaler Reserven und Profite aus den Energieexporten entwickelte sich die russische Wirtschaft wenig dynamisch. Vor der Corona-Pandemie wurden jährliche Wachstumsraten realisiert, die unter denen anderer aufstrebender Volkswirtschaften lagen“, schreibt das DIW. Und weiter: „In der längerfristigen Perspektive zeigt sich eine deutliche Wachstumsschwäche der russischen Wirtschaft. Trotz hoher Exporterlöse ist es nicht gelungen, die Wirtschaft in der Breite zu modernisieren. Dabei ginge es insbesondere darum, den dringend notwendigen Strukturwandel endlich einzuleiten – weg von der Rohstoffproduktion und hin zu Hoch- und Schlüsseltechnologien. Damit bleibt die russische Wirtschaft im internationalen Vergleich wenig wettbewerbsfähig. Eine Modernisierung aus eigener Kraft wird kaum gelingen.“

Download der Studie: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.836694.de/diw_aktuell_79.pdf

 

 

Exitstrategie nach dem Shutdown gesucht

Foto: fotoART-by-Thommy-Weiss_pixelio.de

Die Beschränkungen in Gesellschaft und Wirtschaft allmählich zu lockern und dabei die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung zu sichern – dafür plädiert jetzt eine interdisziplinäre Gruppe renommierter Wissenschaftler. In ihrem Positionspapier zeigen die Forscher um ifo-Präsident Clemens Fuest und Martin Lohse, Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Wege zu diesem Ziel auf.

Die Strategie sieht vor, derzeitige Einschränkungen differenziert und unter kontinuierlicher Abwägung der Risiken nach und nach zu lockern. Priorität genießen müssten dabei Beschränkungen, die hohe wirtschaftliche Kosten verursachen oder zu starken sozialen und gesundheitlichen Belastungen führen, schreiben die Autoren in ihrem 30seitigen Strategiepapier, das man hier als pdf-Download findet.

Regionen mit niedrigen Infektionsraten und freien Kapazitäten im Gesundheitssystem könnten, so der Vorschlag der 14 Experten aus deutschen Universitäten und Forschungsinstituten, beim allmählichen Neubeginn vorangehen. Beginnen sollten zudem Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr wie zum Beispiel hochautomatisierte Fabriken sowie Bereiche mit weniger gefährdeten Personen, etwa in Schulen und Hochschulen.

„Die aktuellen Beschränkungen sind sinnvoll und zeigen erste Wirkung“, sagt Martin Lohse, Mediziner und Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Allerdings hätten die Maßnahmen neben hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten auch gravierende medizinische Folgen, etwa für Patienten mit anderen schweren Erkrankungen. „Ein genereller Shutdown ist keine langfristige Lösung“, sagt Martin Lohse.

„Gesundheit und eine stabile Wirtschaft schließen sich keineswegs aus“, sagt Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des Münchener ifo-Instituts. Beides bedinge sich vielmehr gegenseitig: „So wie eine positive wirtschaftliche Entwicklung bei unkontrollierter Ausbreitung des Virus nicht möglich ist, lässt sich auch die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens ohne eine funktionierende Wirtschaft nicht aufrechterhalten“, so Fuest. Continue reading „Exitstrategie nach dem Shutdown gesucht“

No deal for Trump

 

Impfstoff first for America? (Foto: Andreas Hermsdorf_pixelio.de)

US-Präsident Donald Trump hat offenbar versucht, sich Deutschland einen möglichen Impfstoff gegen das Coronavirus exklusiv für die USA zu sichern. Berlin hat empört reagiert, und die Firma versichert: Es gibt kein Milliardengeschäft mit der Krise.

 

 

Zwischen Deutschland und den USA gibt es in der Coronavirus-Krise Streit um ein Tübinger Pharma-Unternehmen, das an einem Impfstoff arbeitet. Auf die Frage, ob es aus der US-Regierung den Versuch gegeben habe, das deutsche Unternehmen CureVac für eine sehr hohe Geldsumme zu übernehmen, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer am Sonntag in Berlin: „Ich kann nur sagen, dass ich heute mehrfach gehört habe von Regierungsmitgliedern, dass dies zutrifft und dass wir da morgen im Krisenstab darüber reden.“

Zuerst hatte die „Welt am Sonntag“darüber berichtet. US-Präsident Donald Trump versuche, deutsche Wissenschaftler mit hohen finanziellen Zuwendungen nach Amerika zu locken oder das Medikament exklusiv für sein Land zu sichern, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Regierungskreise in Berlin. Der US-Präsident biete dem Bericht zufolge der Firma einen hohen Betrag, um sich deren Arbeit exklusiv zu sichern. Trump tue alles, um einen Impfstoff für die USA zu bekommen – aber eben nur für die USA, schreibt die Zeitung und beruft sich auf Kreise in der Bundesregierung.

Ein Exklusivvertrag etwa mit den USA für einen Corona-Impfstoff kommt für CureVac nach einem Bericht der Zeitung „Mannheimer Morgen“ allerdings nicht in Frage. „Wir wollen einen Impfstoff für die ganze Welt entwickeln und nicht für einzelne Staaten“, hieß es. Seit Januar forscht CureVac an einem Impfstoff gegen das Coronavirus.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier lobte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ am Sonntagabend die Tübinger Firma dafür, dass sie für die US-Avancen nicht zur Verfügung steht. Das sei eine großartige Entscheidung. Deutschland stehe „nicht zum Verkauf“, sagte Altmaier.

Das Bundesforschungsministerium wies zudem darauf  hin, dass die dortige Forschung mit staatlichen Geldern gefördert werde. „Der exklusive Verkauf eines eventuellen Impfstoffes an die USA muss mit allen Mitteln verhindert werden. Der Kapitalismus hat Grenzen“ schrieb der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter. Scharfe Kritik wegen US-Begehrlichkeiten kam auch von der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas: „Wenn es einen Impfstoff gibt, muss er allen zur Verfügung stehen. Alles andere wäre ein Skandal. Bei einer Pandemie geht es um alle Menschen und nicht um America first“.

 

Ökonomen: Corona-Hilfen reichen nicht

 

Foto: Christian Daum/pixelio.de

Eine Gruppe von prominenten Wirtschaftswissenschaftlern unterstützt das Paket der Koalition mit Hilfen für die Wirtschaft in der Corona-Krise. Gleichzeitig jedoch fordern sie die Regierung auf, mehr zu tun. Es seien bereits jetzt weitergehende Schritte erforderlich, heißt es in einem 15seitigen Papier, das sieben Volkswirte heute (11.03.2020) veröffentlicht haben.

„Wenn erforderlich, muss zur Behebung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise von der Schwarzen Null im Staatshaushalt abgewichen werden, und es sind die Spielräume zu nutzen, die die Schuldenbremse bietet“, schreiben die Autoren. Verfasst haben die Studie der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger, der Wissenschaftliche Direktor des IMK Sebastian Dullien, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Gabriel Felbermayr, ifo-Präsident Clemens Fuest, IW-Direktor Michael Hüther, der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Jens Südekum und die Präsidentin des Center for European Policy Research (CEPR), Beatrice Weder di Mauro.

Ausdrücklich loben die Ökonomen die vom Koalitionsausschuss beschlossenen Maßnahmen zur Erleichterung beim Zugang zu Kurzarbeitergeld und damit verbundene Erstattungen der Sozialbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit. Diese Maßnahmen unterstützten die Unternehmen, Beschäftigte zu halten und begrenzten damit schädliche indirekte Wirkungen auf den Konsum. Gelänge es, Unternehmenspleiten und Entlassungen so zu verhindern, sei die Chance gut, dass sich die Konjunktur nach Abflauen der Infektionswelle schnell wieder fange und ausgefallene Produktion nachgeholt werde.

Dafür müsse allerdings alles getan werden, um Liquiditätsengpässe bei Unternehmen zu vermeiden, die entweder Umsatzeinbrüche erleiden oder durch fehlende Teile Produktionsunterbrechungen hinnehmen müssen. Geeignete Instrumente dafür seien die generelle zinsfreie Stundung von Voraus- und Nachzahlungen bei Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer. Außerdem empfehlen die Ökonomen verbesserte Abschreibungsbedingungen, die großzügige Gewährung des Investitionsabzugs und eine großzügigere Gestaltung des steuerlichen Verlustrücktrags.

Auch das Vorziehen der Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags auf den 1. Juli wäre allein aus psychologischen Gründen zu begrüßen, schreiben die Autoren. Sie erhöhe unmittelbar die verfügbaren Einkommen weiter Teile der Bevölkerung. Dies könne zu relativ geringen Kosten das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik und in eine rasche wirtschaftliche Belebung nach dem Abflauen der Krise stärken. Continue reading „Ökonomen: Corona-Hilfen reichen nicht“

Corona: Angst essen Wohlstand auf

Foto: Angela Parszyk / pixelio.de

 

 

 

„Angst essen Seele auf“ heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder – Angst essen Wohlstand auf, könnte man in den Zeiten des Coronavius hinzufügen. Denn was richtet mehr Schaden an – ein Virus, das bald gestoppt wird, oder die Angst davor?

 

Lieferketten in der Industrie stocken, Messen werden abgesagt, Fluggesellschaften und Reiseveranstalter befürchten große Einbußen. Die Angst vor Ansteckung beeinträchtigt das Arbeitsleben. Erste Unternehmen sind gezwungen, ihre Produktionen vorübergehend zu reduzieren oder ganz herunterzufahren. Wenn Betriebe ihre Güter nicht weiter produzieren, stört dies die internationalen Wertschöpfungsketten.

Ein solcher Angebotsschock kann einen Dominoeffekt zur Folge haben: Wenn Zulieferungen aus China fehlen, fallen auch die aus anderen Ländern und schließlich von inländischen Firmen aus. Außerdem ist China für deutsche Unternehmen ein wichtiger Kunde. Nachfrageausfälle in China und anderen betroffenen Ländern belasten die Bilanzen deutscher Firmen. Leidtragend ist somit die gesamte Weltwirtschaft, die laut OECD in diesem Jahr um 0,5 Prozentpunkte weniger wachsen wird – wenn es gut ausgeht. Wenn nicht, könnte sich das globale Wachstum auf 1,5 Prozent halbieren, warnen Experten.

Während die einen dabei sind, Nudeln, Toilettenpapier und Desinfektionsmittel zu horten, denken andere darüber nach, was schlimmer ist: Das Coronavirus oder die Angst davor. „Angst vor Corona ist wie Angst vor Terrorismus“, zitiert das Handelsblatt den israelischen Verhaltensforscher  Dan Ariely. „Wir müssen die Verbindung zur Realität behalten. Die Gefahr ist in unserer Vorstellung viel größer, als die Zahlen aktuell vermuten lassen. 2017 sind zum Beispiel 2,5 Millionen Menschen weltweit an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Das ist rational betrachtet ein viel größeres Problem.“ Continue reading „Corona: Angst essen Wohlstand auf“

Schrecken an der Börse

Bulle und Bär vor der Börse in Frankfurt (Foto: Cornerstone / pixelio.de)

Deutschland bleibt ein Land der Aktienmuffel. Nachdem die Zahl der Aktienbesitzer zwei aufeinanderfolgende Jahre gestiegen ist, hat das Deutsche Aktieninstitut 2019 wieder sinkende Anlegerzahlen registriert.  

 

 

 

Für Anleger war die vergangene Woche die schwärzeste seit Beginn der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008. Der Kursrutsch an den Börsen ist eine Hypothek für die ohnehin fragile Aktienkultur in Deutschland. Denn nicht einmal im vergangenen Jahr, als die Börsen boomten, zog es die Deutschen in Scharen an die Aktienmärkte – im Gegenteil: Die Zahl der Aktionäre ist wieder gesunken, schreibt das Deutsche Aktieninstitut (DAI) in einer heute (28.02.2020) veröffentlichten Studie.

Insgesamt besaßen 2019 rund 9,7 Millionen Menschen Anteilsscheine von Unternehmen oder Aktienfonds. Das entspricht 15,2 Prozent der Bevölkerung oder knapp jedem siebten Bundesbürger ab 14 Jahren. 2018 legten dagegen noch 10,3 Millionen Menschen Geld am Aktienmarkt an. Im Vergleich zum Vorjahr kehrten damit knapp 660.000 Menschen der Börse den Rücken – obwohl  der Deutsche Aktienindex (DAX) im vergangenen Jahr um fast 26 Prozent gestiegen ist.

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Die Rentenlücke wird größer

Foto: uschi dreiucker / pixelio.de

Wer in Rente geht, hat heutzutage gemischte Gefühle. Einerseits die Erleichterung: Es ist geschafft. Andererseits die Frage: Kann ich meinen Lebensstandard halten? Ökonomen sagen: Viele Neurentner müssen den Gürtel enger schnallen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist in einer Studie der Frage nachgegangen, inwieweit die drei Säulen der Alterssicherung bestehend aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge ausreichen, den Konsum der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen zu decken, wenn diese jetzt in den Ruhestand gingen. Dazu wurden Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) von 2012 zu Rentenanwartschaften, Vermögen und Konsum der Geburtsjahrgänge 1948 bis 1957 ausgewertet.

Die Forscher kamen zu dem Ergebnis: Rund die Hälfte der heute 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen wird als Rentner ihren aktuellen Lebensstandard nicht halten können. Und dabei haben die Forscher um den DIW-Rentenexperten Markus Grabka noch nicht einmal pessimistische Annahmen über das Ende eines Berufslebens getroffen: Sie gingen bei ihren Berechnungen davon aus, dass die Arbeitnehmer bis zum derzeit durchschnittlichen Rentenzugangsalter von 64 Jahren arbeiten und ihre letzte berufliche Position beibehalten

Das Studienergebnis dürfte den Befürchtungen der meisten Menschen entsprechen: Im Alter wird das Geld knapp werden – außer für Beamtinnen und Beamte, die gut dotierte Pensionen beziehen. Bekanntermaßen sinkt seit etwa zwei Jahrzehnten das Rentenniveau, das das Verhältnis der Rentenbezüge zu den Löhnen wiedergibt.

DIW-Forscher Grabka schreibt in der Studie: „Die Hälfte der Menschen, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, werden ihren gewohnten Konsum nicht decken können“. Dafür reiche die Rente nicht. Wer als Neurentner seinen Konsum nicht einschränke, müsse nach seinen Berechnungen pro Monat Schulden in Höhe von 540 bis 740 Euro machen.

Quelle: DIW Berlin

58 Prozent der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen könnten ihren Konsum nicht aus Anwartschaften aus der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge oder Beamtenpensionen decken, wenn sie jetzt in den Ruhestand gingen, heißt es in der Studie. Sie hätten im Schnitt eine potentielle Versorgungslücke von monatlich rund 700 Euro. Private Versicherungen wie die Riester- und Rürup-Rente würden den Anteil der 55- bis 64-Jährigen mit einer potentiellen Versorgungslücke lediglich um zwei Prozentpunkte senken. Auch wenn sie zusätzlich ihr privates Vermögen einsetzten, könnten gut 40 Prozent ihren aktuellen Konsum nicht decken. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der DIW-Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde. Continue reading „Die Rentenlücke wird größer“

Fünf Millionen Jobs in Europa

Foto: Fritz Zühlke / pixelio.de

Die bösen deutschen Exporte machen angeblich Deutschland reich und die anderen Länder arm. Auch wenn dieses Narrativ ständig wiederholt wird, bleibt es ein Märchen: Von einer starken deutschen Industrie gehen keine Nachteile für die EU-Partnerstaaten aus, sagt eine Studie aus der Schweiz. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Aufgrund der intensiven Handelsverflechtungen der EU-Staaten untereinander profitieren die europäischen Handelspartner von einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Fünf Millionen Jobs in Europa hängen von der deutschen Nachfrage nach Gütern und Vorleistungen ab.

Die hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands der vergangenen Jahre stehen international in der Kritik. Donald Trump sieht sie als Ergebnis unfairer Handelspraktiken und denkt ab und zu laut über Strafzölle nach. Auch der Internationale Währungsfonds deutet an, dass Deutschland eine Mitschuld an den wachsenden Handelskonflikten trägt und empfiehlt regelmäßig höhere Staatsausgaben und kräftige Lohnsteigerungen. Die deutschen Überschüsse übersteigen auch deutlich die Zielvorgaben der Europäischen Union. Rund 7,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung hat Deutschland im vergangenen Jahr exportiert, die EU-Kommission hält höchstens sechs Prozent langfristig für angemessen. Im Rahmen des Makroökonomischen Überwachungsverfahrens könnte die Kommission ein Korrekturverfahren einleiten, an dessen Ende möglicherweise Strafzahlungen stehen, auch wenn die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heißt.

Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft – so wird behauptet – gingen zu Lasten anderer Staaten, insbesondere unserer EU-Partner. Die Kritik geht teilweise so weit, dass gefordert wird, Deutschland solle seine Wettbewerbsfähigkeit zu Gunsten seiner europäischen Partner gezielt schwächen. „Eine solche Argumentation ist absurd“, schimpft Bertram Bossard, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft vbw. Sein Verband hat das schweizer Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos AG beauftragt, einmal auszurechnen, ob und wie unsere Nachbarn vom deutschen Exportboom profitieren. Denn für fast alle EU-Länder ist Deutschland der wichtigste oder zweitwichtigste Exportmarkt. Die Nachfrage aus Deutschland sorgt für Wertschöpfung und Beschäftigung in ganz Europa, wie die Studie zeigt: Fünf Millionen Arbeitsplätze in den anderen EU-Staaten hängen unmittelbar an der Güternachfrage aus Deutschland.

Allein die Nachfrage der deutschen Industrie nach Vorleistungs- und Investitionsgütern sichert 3,3 Millionen Jobs bei unseren europäischen Partnern, heißt es in der Prognos-Studie, die 2019 erstellt wurde und sich auf Daten von 2017 bezieht. Szenario-Rechnungen zeigen, dass eine wirtschaftliche Stagnation Deutschlands ebenso wie eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auch den anderen europäischen Volkswirtschaften schaden würde. Es wäre also fatal, sich von unserem Erfolgsmodell der Internationalisierung abzukehren. Dies wäre nicht nur zum Schaden der deutschen, sondern der gesamten europäischen Wirtschaft. Continue reading „Fünf Millionen Jobs in Europa“

Plastikmüll – wie der Handel grüner werden will

Foto: Hartmut910_pixelio.de

Die einen fahren weiter mit ihren SUV-Panzern durch die Gegend, die anderen kriegen schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie im Supermarkt ihre Lebensmittel nur in Plastikverpackungen bekommen: Nachhaltigkeit ist aktuell stark in der Diskussion, auch was den riesigen Berg an Verpackungsmüll, angeht, den wir täglich produzieren. Der Handel, Konsumgüter- und Verpackungsindustrie lassen sich inzwischen einiges einfallen, um die Plastikflut einzudämmen und sich ein grüneres Image zu geben. Ob’s hilft?

Hilka Bergmann, Leiterin des Forschungsbereichs Verpackung und Versand beim Kölner EHI-Forschungsinstitut des Handels, hat für die Umweltaktivitäten ihrer rund 800 Mitgliedsfirmen drei Empfehlungen: Sie sollten RRR betreiben – will heißen, sie sollten die Vermeidung und Reduktion (reduce), die Wiederverwendbarkeit (reuse) und die Wiederverwertbarkeit (recycle) von Verpackungen anstreben. Allerdings gleicht das oft einer Quadratur des Kreises, denn einerseits soll die Recyclingfähigkeit von Verpackungen und der Einsatz recycelter Materialien erhöht werden, andererseits soll der Schutz der verpackten Produkte gewährleistet sein, die Verpackungen sollen „maschinengängig“ sein und nicht zuletzt auch noch die Verbraucher ansprechen.

Hilka Bergmann (Foto: EHI)

„Der Handel spielt bei diesem Thema eine sehr bedeutende Rolle“, sagt EHI-Forscherin Bergmann. „Zum einen schauen die Unternehmen in ihren Sortimenten, welche Verpackungen sich sinnvoll optimieren lassen – vor allem in den Bereichen Eigenmarken, Serviceverpackungen, Obst- und Gemüse, Convenience und E-Commerce. Zum anderen stellen sie Forderungen an die Industrie und tauschen sich mit Partnern entlang der Supply Chain aus, um ökologisch vorteilhaftere Verpackungen einzusetzen.“

Teilweise hätten sich Händler bereits mit anderen Unternehmen zu Initiativen zusammengeschlossen, um gemeinsam mehr bewirken zu können. Zusätzlich klärten Handelsunternehmen verstärkt die Kunden auf, welche Verpackungen ökologisch nachhaltig gestaltet seien, bei welchen Optimierungen vorgenommen wurden und wie Verpackungen getrennt und entsorgt werden müssten.

Die Kölner Rewe-Handelsgruppe zum Beispiel will bis Ende 2025 sämtliche Kunststoffverpackungen der Rewe und Penny Eigenmarken, die nicht vermieden werden können, recyclingfähig machen. Zudem wollen Rewe und Penny bis Ende 2025 insgesamt 20 Prozent weniger Kunststoff bei ihren Eigenmarkenverpackungen verwenden und bereits bis Ende 2020 für Papierverpackungen ausschließlich zertifizierte Rohstoffe einsetzen.

Aldi Nord und Aldi Süd haben laut Bergmann „Vermeiden, Wiederverwenden und Recyceln im Fokus“. Bis Ende 2022 sollen alle Eigenmarken-Produktverpackungen recyclingfähig sein. Zwei Drittel seien es bereits heute. Das Gesamtgewicht der Eigenmarken-Produktverpackungen soll bis zum Jahr 2025 um 30 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2015 reduziert werden.

Der dm drogerie-markt hat ein Forum Rezyklat gegründet, um sich gemeinsam mit Herstellern und Zulieferern dafür einzusetzen, Wertstoffkreisläufe entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses und bei der Kundschaft zu schließen. Partner des von dm initiierten Forums Rezyklat sind 34 Mitgliedsunternehmen, unter andrem machen auch Rossmann und Globus mit, sowie Konsumgüterhersteller, Entsorger und Verpackungsproduzenten.

Laut EHI-Forscherin Bergmann will auch der Onlinehandel künftig weniger überdimensionierte Verpackungen versenden. Firmen wie Otto oder Zalando dächten laut Bergmann zunehmend über Alternativen zu Kunststoffbeuteln und über Mehrweglösungen für die Versandverpackung nach. Bergmann: „Eine entscheidende Herausforderung liegt in der Verfügbarkeit von Rezyklaten. Aktuell existiert lediglich ein Kunststoff-Rezyklat-Standard für Lebensmittelverpackungen, Foodgrade genannt. Zur Erhöhung der Recyclingquote wäre es sinnvoll, für Verpackungen aus den Bereichen Kosmetik sowie Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel weitere rechtsverbindliche Rezyklat-Standards zu definieren.“

Allerdings hat die Branche ein grundsätzliches Problem: Neuer, aus Rohöl gewonnener Kunststoff ist günstiger als recycelte Produkte. Der Einsatz von Rezyklaten soll aber den Kreislaufwirtschaftsgedanken und damit die Vermeidung von Verpackungsmüll fördern. „Zwischen der Recyclingfähigkeit, dem reduzierten Materialeinsatz und dem Produktschutz besteht teilweise ein Zielkonflikt“, räumt Bergmann ein, deshalb müsse für jeden Artikel individuell eine optimale Lösung gefunden werden. In der öffentlichen Diskussion sei häufig nur der Handel im Visier. Doch der könne nur gemeinsam mit Konsumgüterindustrie, Verpackungsindustrie, Entsorgungsunternehmen, den Konsumenten und der Politik versuchen, den Konsum weniger umweltschädlich zu gestalten.

Abfüllstationen sind im Trend (Foto: Carola Langer_pixelio.de)

Inzwischen zieht auch der Verkauf loser Ware Kreise – von den Pionieren der plastik- und verpackungsfreien Läden, die die mitgebrachten Behälter ihrer Kunden befüllen, über Bio-Ketten bis hinein in den klassischen Supermarkt und andere Handelssparten. Zurzeit wird der Unverpackt-Trend in vielen Handelssparten erkundet, in Feldversuchen getestet und durchaus kontrovers diskutiert, weil in der Praxis noch eine Reihe Hürden zu überwinden sind. Dennoch ist das Thema, dauerhaft befeuert durch Umweltproblematik und Verpackungsgesetz, hochgradig virulent. Continue reading „Plastikmüll – wie der Handel grüner werden will“

Umsatzsteuerbetrug im großen Stil?

Foto: Tim Reckmann / pixelio.de

Die Europäische Union hat einen Handelsüberschuss von 307 Milliarden Euro – und jetzt raten Sie mal, mit wem? Mit sich selbst! Wenn alle Im- und Exporte in den europäischen Statistiken korrekt erfasst würden, müsste diese Salden eigentlich null sein. Logisch, oder? Messfehler allein jedoch können diese exorbitant große Abweichung nicht erklären.

 

Experten des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) und des ifo Instituts in München vermuten deshalb etwas ganz anderes. Sie glauben, dass ein massiver Umsatzsteuerbetrug eine der Ursachen für diese riesigen Diskrepanzen sein könnte. Träfe dies zu, entgingen den EU-Staaten 30 bis 60 Milliarden Euro pro Jahr, zeigt eine Datenanalyse der beiden Institute.

„Wenn Unternehmen Umsätze als Exporte deklarieren, sind diese von der Umsatzsteuer befreit. Werden diese Umsätze aber gar nicht im Ausland erzielt, sondern im Inland, fehlen sie in der Importstatistik des angeblichen Handelspartners und bleiben damit unversteuert“, erklären die Autoren, IfW-Präsident Gabriel Felbermayr und ifo-Forscher Martin Braml.

Nach ihren Schätzungen sind dem europäischen Fiskus so alleine im Jahr 2018 rund 30 Milliarden Euro verloren gegangen. Sie empfehlen einen digitalen, automatisierten Datenabgleich von Importen und Exporten innerhalb der EU, um Bilanzfehler künftig zu verringern und Betrug zu erschweren. Die Berechnungen sind nun als Working Paper erschienen.

Die Forscher haben die erfassten Handelsdaten aller 28 EU-Mitgliedsstaaten untereinander seit 1999 analysiert. Allein 2018 betrug der EU-EU-Handelsüberschuss beachtliche 307 Milliarden Euro. Dies entspricht knapp zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der EU und ist mehr als das BIP der acht kleinsten EU-Mitglieder zusammen.

Grafik: Ifo.de

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