Der Bock wird zum Gärtner

Zugegeben: Seltsam fand ich es schon, dass sich vor einigen Monaten Alice Schwarzer ausgerechnet die Bild-Zeitung für ihre Kachelmann- Berichterstattung ausgesucht hat. Wer so etwas vor 25 Jahren vorausgesagt hätte, dem wäre vermutlich ein Besuch beim Psychiater empfohlen worden. Nun gut, dachte ich mir, Tante Alice braucht vermutlich die Kohle für ihre Emma, und den Bild-Redakteuren ist es vermutlich egal, was sie auf Seite acht schreibt, solange sich die Hauptkundschaft lieber weiterhin die netten Tittenbildchen auf Seite eins anschaut.

Aber jetzt lese ich, dass der Großverlegerssohn Konstantin Neven DuMont als Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg abberufen worden ist. Nicht dass ich mich um das Schicksal des armen Millionärssöhnchen grämen würde – merkwürdig ist nur, dass er sich auch eben jene Bild-Zeitung ausgesucht hat, um die Printerzeugnisse seines Väterchens niederzumachen. Nanu? Gesellschaftskritische Stimmen in einem Blatt, das viele noch nicht einmal zum Auskleiden ihrer Biomülltonne benutzen würden? Die Bildzeitung linksliberal – genauso gut könnte eine Tierschutzwoche im Schlachthaus ausgerufen werden, mutmaßt Günter Herkel in der ver.di-Medienzeitschrift M.

Auf die naheliegende Erklärung für dieses Phänomen hat mich der Betreiber des Teppichhauses Trithemius gebracht, der mir auf einen Kommentar zu Wikileaks unter anderem Folgendes geantwortet hat:

„Die Konkurrenz der Verlage ist ja leider inzwischen die Konkurrenz der Großverlage. Nehmen Sie nur die Beispiele aus Ihrer Region: Die ehemals unabhängige Kölnische Rundschau erscheint nun im selben Verlag wie der Kölner Stadtanzeiger, DuMont. Im DuMont-Verlag erscheinen auch die zusammengeschrumpfte Frankfurter Rundschau, die Berliner Zeitung, die Hamburger Morgenpost, die Mitteldeutsche Zeitung, um nur die großen zu nennen. Die Aachener Nachrichten haben ihre Unabhängigkeit gänzlich verloren und teilen sich sogar den Chefredakteur mit der Aachener Zeitung unter dem Dach des Aachener Zeitungsverlags. Der wiederum gehört zum größten Teil der Rheinischen Post. Indem diese Zeitungen ihre Unabhängigkeit verloren haben, konkurrieren sie auch kaum noch, allenfalls im Lokalteil. Mit Meinungsvielfalt hat das nur noch wenig zu tun, weil das von den Allierten verordnete System zerschlagen ist, dass in jeder Stadt oder Region je eine konservative und eine linksliberale Zeitung erschein sollte.“

Ja, das ist nicht nur richtig, sondern erklärt auch, weshalb sich frustrierte Verlegerssöhnchen in der Bild-Zeitung äußern müssen: Sie haben nicht mehr viel Auswahl, um ihren Feldzug gegen Daddy inszenieren zu können. Die Presselandschaft wird immer konzentrierter und ärmer. Aber auch das ist vermutlich nur ein vorübergehendes Phänomen. Wenn es stimmt, dass alle Entwicklungen aus den USA mit zwei bis drei Jahren Verzögerung auch bei uns stattfinden, dann stehen wir vor einem masenhaften Zeitungssterben. Überleben werden vermutlich nur die Online-Ausgaben einiger populärer Titel – doch auch die haben noch kein überzeugendes Geschäftsmodell entwickelt, wie man im Internet Geld verdienen kann. Denn im Internet ist alles umsonst, gelle?

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