Schuldenbremse – ökonomischer Unfug?

IW-Direktor Michael Hüther
IW-Direktor Michael Hüther (Foto: IW)

Die Schuldenbremse ist in die Jahre gekommen: In Zeiten niedriger Zinsen und eines großen Investitionsbedarfs nimmt sie der Politik die nötigen Spielräume, ist Michael Hüther überzeugt. Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) glaubt: „Wir haben uns eingemauert.“ Doch wie kommt man aus dem selbstgewählten Gefängnis heraus?
 
 
 
Die Schuldenbremse stammt aus der Zeit großer Haushaltsnot: Vor zehn Jahren kletterte der gesamtstaatliche Schuldenstand auf 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit deutlich über die Maastricht-Grenze von 60 Prozent. Die Schuldenbremse sollte beitragen, die Handlungsfähigkeit des Staates langfristig zu sichern. Seitdem ist die selbst auferlegte Grenze in der Verfassung verankert. Michael Hüther bezeichnet sie als „wertvolles polit-ökonomisches Konzept, wenn man davon überzeugt ist, dass Parlamentarier nur kurzfristig denken können und in der Folge künftige Generationen zwangsläufig ausgebeutet werden.“

Tatsächlich haben in den zurückliegenden 50 Jahren Regierungen zur Haushaltssanierung oft genug in die Ausgabenstrukturen eingegriffen, auch wenn es dabei bisweilen zu heftigen . Verteilungskonflikten kam. Inzwischen steht der Bundeshaushalt jedoch nicht mehr auf tönernen Füßen, sondern auf einem soliden Fundament. Seit sieben Jahren schrumpft die Schuldenlast des Staates, sie hat inzwischen annähernd die Maastricht-Grenze erreicht. Die Schuldenbremse wirkt nun wie ein Relikt: Sie bremst Investitionen und mögliche Steuersenkungen. „Die Verteufelung der Schulden ist nicht mehr zeitgemäß,“ sagt IW-Direktor Hüther.

Dabei gab es polit-ökonomisch durchaus einmal gute Gründe: Die Schuldenbremse sollte die Politik disziplinieren und die Belastung künftiger Generationen reduzieren. Eine Trendwende hat sie jedoch nicht eingeleitet. Die Konsolidierung der letzten zehn Jahre resultierte vor allem aus den niedrigen Zinsausgaben und den beschäftigungsbedingt exorbitant hohen Steuereinnahmen und Sozialbeiträgen. Diese Entwicklung war viel wirksamer als die Schuldenbremse. Die wird deshalb immer fragwürdiger: „Liegt der langfristige Zins auf Staatsschuldtitel höher als die Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP), kommt es zwar zu einer Umverteilung zulasten der künftigen Generation“, räumt Hüther ein. Dennoch könne es sinnvoll sein, öffentliche Aufgaben durch Kredit zu finanzieren. Dann nämlich, wenn sie einen positiven Effekt auf den Wachstumspfad haben. „Diese notwendigen staatlichen Investitionen allein aus dem Steuerhaushalt zu finanzieren, benachteiligt die heutige Generation“, warnt Hüther.

Die traditionelle Ökonomik spricht von der „goldenen Regel“, staatliche Investitionen durch Kredit zu finanzieren. Für diese Regel spricht zusätzlich, dass das Zinsniveau nicht nur außerordentlich niedrig ist, sondern auch unter der Zuwachsrate der jährlichen Wirtschaftsleistung liegt. Und: „Aufgrund der demografischen Alterung wird das noch lange so bleiben; die Umverteilung zulasten künftiger Generationen entfällt“, ist Hüther überzeugt. Zudem zeigten vorhandene Studien, dass öffentliche Investitionen einen positiven Wachstumseffekt auf die Gesamtwirtschaft ausüben – mithin auch künftige Generationen etwas von heutigen Investitionen haben.

Die Zinsen auf langlaufende deutsche Staatsanleihen sind seit einigen Jahren niedriger als das BIP-Wachstum. Solange dies so bleibt, können neue Kredite nicht eine Umverteilung zu Lasten künftiger Generationen bewirken. „Und deshalb ist auch nicht erkennbar, weshalb Steuergelder für die Schuldentilgung verwendet werden sollten, während wichtige Zukunftsinvestitionen ausbleiben“, schreibt Hüther. Dringend benötigte Innovationsförderungen blieben so auf der Strecke, der Ausbau digitaler Netze und Verkehrswege käme viel zu kurz.

„Eine denkbare Lösung wäre, die Schuldenbremse zu öffnen“, schlägt Hüther vor. Eine Abkehr von der Bremsautomatik dürfe allerdings nicht dazu führen, dass die mühsam etablierte, selbst auferlegte Disziplin wieder hinfällig wird. Vielmehr brauche es klar definierte Investitionsspielräume: In diesem Rahmen könnte ein gesamtstaatlicher Sonderhaushalt geschaffen werden, der notwendige Investitionen und Innovationen garantiert – beispielsweise im Bereich der Künstlichen Intelligenz. „Wir sind mitten in einem technologischen Sprung und drohen wegen der Schuldenbremse den Anschluss zu verlieren“, warnt Hüther.

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