Umwelt- oder Symbolpolitik?

Foto: Brian Yurasits on Unsplash (@brian_yuri)

 

In Thailand ist ein Seekuh-Baby an Plastik im Magen verendet, in der Nähe von Spitzbergen finden Forscher 14.000 Plastikteilchen in einem Liter arktischen Schnee – und in Deutschland will die Regierung Plastiktüten aus dem Einzelhandel verbannen. Toll.

 

 

Bundesumweltministerin Svenja Schulze schrieb auf Twitter: „Wir verbieten Plastiktüten. Sie sind ein klassisches Wegwerfprodukt, in der Regel nicht länger als 20 Minuten genutzt. In der Umwelt richten sie schwere Schäden an.“

Wohl wahr. Hört sich gut an – ist aber reine Symbolpolitik. Denn Plastiktüten stehen für nicht einmal ein Prozent des Verpackungsmülls in Deutschland. Wer Plastikmüllberge abbauen will, sollte sich nicht diesem einen Prozent widmen, sondern den restlichen 99 Prozent.

Tatsächlich hat die Umweltministerin ein Problem. Und nicht nur sie, sondern wir alle. Die Deutschen zählen zu den größten Müllproduzenten der Welt, pro Kopf verursachen wir rund 220 Kilo im Jahr. Und selbst wenn wir künftig weniger umweltschädlich handeln und nur noch mit dem Stoffbeutel unterwegs sein wollten: Die Lebensmittel im Supermarkt sind fast durchgehend in Plastik, oder schlimmer noch: mit Verbundstoffen verpackt, und viele Lebensmittel lassen sich gar nicht lose transportieren. Es ist kaum möglich Lebensmittel plastikfrei einzukaufen.

Und überhaupt: Die Plastiktüten im Einzelhandel sind wirklich nicht das Problem. Das größte Problem ist der Straßenverkehr. In Deutschland gelangen einer Untersuchung zufolge pro Jahr rund 330.000 Tonnen sogenanntes Mikroplastik in die Umwelt. Das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen hat für 51 Quellen die freigesetzten Mengen errechnet.

Der größte Verursacher ist demnach der Abrieb von Autoreifen – vor allem von Pkw. Rund ein Drittel der Mikroplastik-Emissionen entfallen der Studie zufolge darauf. Weitere Hauptquellen seien die Abfallentsorgung, der Abrieb von Fahrbahndecken oder Freisetzungen auf Baustellen. Doch es gibt viel mehr Verursacher, wie die aktuelle Studie zeigt. Auftraggeber waren Chemiekonzerne, Kosmetikhersteller, Wasserverbände, Abfallentsorger und Hochschulen.

Derweil erregen immer mehr Horrornachrichten die Gemüter. In der Nähe von Spitzbergen haben Forscher im arktischen Schnee Mikroplastik der verschiedensten Sorten gefunden. Manche Proben enthielten bis zu 14.000 Partikel in einem Liter geschmolzenem Schnee. Experten befürchten jetzt, die Arktis könnte zu einem Sammelbecken für Mikroplastik werden, berichtet der Deutschlandfunk.

Eine an der thailändischen Küste gestrandete Baby-Seekuh ist mit Plastik im Bauch gestorben. Die „Mariam“ getaufte Seekuh starb den Behörden zufolge an einer Infektion, die sich wegen Plastikteilen in ihrem Magen verschlimmert hatte. Meeresbiologen hatten die im Mai gestrandete Seekuh-Waise unter ihre Fittiche genommen und versucht, sie gesundzupflegen. „Mariam“ war in den sozialen Medien Thailands ein regelrechter Star.

Auf solche Horrormeldungen muss die Politik natürlich reagieren, Stärke und Entschlossenheit zeigen, und wenn es auch nur blinder Aktionismus ist, der zudem noch arg daneben geht. Immerhin: Plötzlich sind Dinge möglich, die noch vor kurzem undenkbar waren: Die CSU entdeckt die Umwelt, Markus Söder will Bahntickets von der Mehrwertsteuer befreien und den Kauf von energiesparenden Haushaltsgeräten steuerlich fördern, obwohl Verbraucher schon jetzt bei Neuanschaffungen vor allem auf die Energieeffizienzklassen achten.

Diese tollen Ankündigungen sind Teil des großen Öko-Wettbewerbs, den sich die Parteien im Moment liefern. Klima- und Umweltschutz haben als Themen Hochkonjunktur, wie auch die vielen Klima-Vorhaben zeigen, die jetzt in Form eines Aktionsprogramms für den Klimaschutz im Kabinett behandelt wurden.

Da geht es zum Beispiel um ein Teil-Verbot von Giften: Ab 2021 soll die Anwendung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln „in ökologisch besonders schutzbedürftigen“ Bereichen und Gebieten verboten werden, heißt es in dem Aktionsprogramm. Den Einsatz des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat will die Koalition bis 2020 weiter einschränken. Zum Stichtag 31. Dezember 2023 soll die Verwendung komplett verboten werden. Das klingt nach einer mutigen Großtat – zufällig aber läuft an jenem Tag auch die Zulassung von Glyphosat in der Europäischen Union aus. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

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