Die deutsche Wirtschaft im Abschwung – was kann die Politik tun? Einige Ökonomen fordern: Es müsse mehr investiert werden. Die schwarze Null sei nicht haltbar. Finanzminister Olaf Scholz hält dagegen: Es ist genug Geld für Investitionen da – nur wird es nicht abgerufen.
Wer in Berlin Steglitz an der Lepsiusstraße 110 vorbeikommt, kann dort die Schuldenuhr am Eingang der Zentrale des Bundes der Steuerzahler beobachten – die seit der Jahreswende 2017/2018 erstmals nach vielen Jahren rückwärts läuft. Es ist auch ziemlich klar, woran das liegt: Seit Jahren profitiert die Öffentliche Hand von sprudelnden Steuerquellen, die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank bringt enorme Zinsersparnisse, und schließlich zeigt die Schuldenbremse ihre Wirkung. Zudem weigert sich Finanzminister Olaf Scholz beharrlich, ein Markenzeichen seines Amtsvorgängers Wolfgang Schäuble über Bord zu werfen: Er hält eisern an der Schwarzen Null fest, obwohl immer mehr Experten das für ökonomischen Unsinn halten.
Die Schuldenbremse soll Politiker disziplinieren und die Belastung künftiger Generationen reduzieren. Sie geht auf eine Regelung der deutschen Föderalismuskommission aus dem Jahr 2009 zurück, die dem Bund und den Ländern beginnend mit dem Jahr 2011 verbindliche Ziele für die Absenkung der Haushaltsdefizite machte. Die Nettokreditaufnahme des Bundes durfte ab 2016 maximal 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt BIP) betragen. Die Länder dürfen ab 2020 überhaupt keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Der Bund hat diese Vorgaben bereits im Jahr 2014 erreicht und die Nettokreditaufnahme auf null gesenkt.
Die Schuldenbremse zeigte ab 2011 Wirkung, nachdem die Staatsschuldenquote im Jahr 2010 einen Höchststand von 81 Prozent erreicht hatte. In diesem Jahr wird sie vermutlich unter die 60-Prozent-Marke fallen. Aber sind Schulden wirklich eine Belastung für künftige Generationen? Man kann den Spieß nämlich auch umdrehen und argumentieren: Wer heute die dringenden Investitionen in Bildung und Infrastruktur unterlässt, weil er nibelungentreu an der Schwarzen Null festklebt, der schadet künftigen Generationen viel mehr. Denn je länger man diese Investitionen hinausschiebt, desto teurer werden sie für nachfolgende Generationen.
Durch Zinszahlungen jedenfalls werden unsere Kinder nicht belastet. Denn das gegenwärtige Zinsniveau ist nicht nur außerordentlich niedrig, sondern liegt auch unter der Zuwachsrate der jährlichen Wirtschaftsleistung. „Aufgrund der demografischen Alterung wird das noch lange so bleiben; die Umverteilung zulasten künftiger Generationen entfällt“, sagt der Chef des wirtschaftsbnahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Zudem üben öffentliche Investitionen einen positiven Wachstumseffekt auf die Gesamtwirtschaft aus – und damit hätten auch künftige Generationen etwas von heutigen Investitionen, wenn sie in den Ausbau der Infrastruktur, bezahlbaren Wohnraum, und in die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesteckt werden.
In der Tat fährt der Staat die Infrastruktur konsequent auf Verschleiß. Davon zeugen marode Schulen, Straßen und Brücken sowie das chronisch überlastete Bahnsystem und die Funklöcher in den ländlichen Regionen der Republik. Und längst ist auch klar, dass es enorme staatlichen Ausgaben erfordern wird, den zwingend notwendigen ökologischen Umbau der Volkswirtschaft zu betreiben. Gleichzeitig könnte die öffentliche Hand all das praktisch kostenlos finanzieren. Zuletzt waren Anleger sogar bereit, deutsche Staatsanleihen zu negativen Zinsen zu kaufen. Handelt Olaf Scholz also wider besseres Wissen? Nein. Er hält dagegen: Es werde genug investiert, nur vielfach werde Fördergeld nicht abgerufen. Olaf Scholz kann gar nicht so viel Geld ausgeben, wie er hat.
Rund 19,2 Milliarden Euro hat der Bund aus dem Haushaltsjahr 2018 in den laufenden Haushalt übertragen, weil sie nicht abgerufen und verbraucht werden konnten, sagt das Berliner Finanzministerium. Nicht das Geld ist also das Problem bei den Investitionen, sondern der schleppende Abfluss.
Allein Deutschlands Städte und Gemeinden schieben einen Investitionsstau von gigantischen 138 Milliarden Euro vor sich her, sagt die staatliche KfW-Förderbank in ihrem Kommunalpanel 2019. Rund ein Drittel der Investitionsvorhaben konnte im vergangenen Jahr nicht umgesetzt werden. Wegen ausgelasteter Baufirmen und fehlenden Personals in den Verwaltungen haben 83 Prozent der Städte, Gemeinden und Landkreise nur einen Teil ihrer geplanten Gelder für Investitionen ausgeben können. Viele Vorhaben konnten nicht geplant, Fördermittel nicht beantragt und Aufträge nicht ausgeschrieben werden. Immerhin sei der Investitionsrückstand etwas abgebaut worden – 2017 habe er noch fast 159 Milliarden Euro betragen. Nötig sind deshalb schnellere Prozesse in den Behörden, mehr Planer und weniger Regulierungen.
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