Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, lieber Henrik! Schon schlimm, dass wir beide einen Tag vor Deiner Feier genötigt wurden, ein Pro und ein Contra zu schreiben zu der Frage: Fängt die Krise jetzt erst an? Bedingung war: Keiner hat mehr als zwei Minuten Zeit, seine Hörer zu überzeugen. Henrik schreibt:
„Das Schlimmste kommt erst noch. Schon allein deshalb, weil in Deutschland derzeit auch ein Wettbewerb läuft nach dem Motto: Wer will nochmal und hat noch nicht? Bei der Vorhersage der künftigen Konjunkturentwicklung übertreffen sich die sogenannten Experten in Schwarzmalerei. Wer das schlimmste Szenario aufzeigt, dem sind die Schlagzeilen sicher. Am besten immer mit dem Zusatz: Seit dem Zweiten Weltkrieg.
Wenn man sich unter den wirklichen Experten umhört, also den Unternehmern, die sich jeden Tag Gedanken machen müssen um die Zukunft ihrer Firma, dann hört man die ehrlichen Antworten. Wir wissen nicht, was da noch kommt. Oder: Nein, das habe ich so noch nicht erlebt. Das zeigt mir dann: Wir gehen wirklich schweren Zeiten entgegen. Wir zahlen jetzt den Preis für eine Wirtschaftsstruktur, die zu stark auf den Export und zu wenig auf Dienstleistungen und Konsum setzt. Wer jahrelang Exportweltmeister ist, wessen Wohlstand zum überwiegenden Teil darauf basiert, der muss umso mehr leiden, wenn niemand mehr die Produkte „made in germany“ kaufen will.
Wir zahlen jetzt den Preis für so manchen zu hohen Lohnabschluss der letzten Jahre. Schon als die Zeiten noch besser waren, sagten die Unternehmer: Das können wir uns eigentlich nicht leisten. Jetzt aber kommt es zum Schwur. Mal sehen, was die Gewerkschaften sagen, wenn die erste Entlassungswelle anrollt.
Es gibt Leute, die sehen Licht am Ende des Tunnels. Ich sage: Dieses Licht, das sind die Lampen eines entgegen kommenden Zuges. Und da wünsche ich mir dann, wir wären Amerikaner und hätten auch so einen Obama. Die Amerikaner sagen: Da müssen wir was machen. Die Deutschen sagen: Da müssen wir jetzt durch. Deswegen fängt die Krise jetzt erst richtig an.“
Meine Entgegnung:
„Krise? Ach woher, das Gröbste ist längst ausgestanden. Die Krise findet weitgehend in den Medien statt, und sonst nirgendwo. Haben wir in Deutschland etwa eine Immobilienkrise? Nein, nur ein paar naive Banker, die amerikanische Schrottpapiere gekauft haben und jetzt kleinlaut zugeben müssen: War wohl doch nicht so gut. Aber das meiste ist längst abgeschrieben, und von einer Kreditklemme ist wenig zu spüren. Klar werden die Banken jetzt vorsichtiger sein und zweimal hingucken, wem sie Geld geben. Aber das hätten sie auch schon vorher tun müssen, als ihnen amerikanische Schrottpapiere angeboten wurden.
Und die Kurzarbeit in der Automobilindustrie? Ich finde, das hat herzlich wenig mit der Finanzkrise zu tun. Manche Autobauer haben eben auf die falschen Modelle gesetzt, die jetzt keiner haben will, außerdem gibt’s sowieso zu viele Autofabriken, das hätte so oder so ein Hauen und Stechen gegeben, auch ohne Finanzkrise. Schöpferische Zerstörung nennt man so etwas, und das ist kein Systemfehler des Kapitalismus, sondern conditio sine qua non – zum Beispiel für bessere, umweltfreundlichere Autos.
Seid doch mal ehrlich, Leute, uns geht’s richtig gut. Die Geschäfte sind voll, der Arbeitsmarkt ist robust, die Unternehmen behalten ihre Facharbeiter und Ingenieure, weil sie genau wissen, dass sie sie später mit der Lupe suchen müssen, wenn sie sie jetzt entlassen. Die Energiepreise sinken, die Inflation ist eingedämmt, die Kaufkraft ist vorhanden, der LCD-Fernseher, den ich im Auge habe, wird von Woche zu Woche billiger, und im Sommer geht’s in die USA, wenn man für einen Euro zwei Dollar kriegt und nach Herzenslust chinesische Textilien mit amerikanischem Luxuslabel billig einkaufen kann. Wo, bitteschön, ist die Krise?“
Notabene: Ich bin dafür, dass die nächsten Pros und Contras von der Sportredaktion bestritten werden. Soll man im Fußball den Fernsehbeweis zulassen oder nicht? Soll man das passive Abseits abschaffen oder nicht? Das sind doch die Fragen, die die Nation wirklich bewegen!
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