Smalltalk beim Dentisten

Alle halbe Jahre fordert mich mein Zahnarzt auf, zum Routinecheck anzutreten. Dann macht er den Zahnstein weg und gut ist. Doch das letzte mal hat er mich beiseite genommen und gefragt, wie es denn mit der Wirtschaft weitergeht, weil er weiß, dass ich in der Wirtschaftsredaktion der Deutschen Welle arbeite. Ich wollte den Mann beruhigen: Wenn es in den USA nicht zu einer Doppelrezession kommt und die Rohstoffpreise nicht explodieren, geht der Aufschwung in moderatem Tempo weiter, sagte ich. Vor allem würde ich mir keine Sorgen um die Inflation machen, denn die Europäische Zentralbank habe ein gut gefülltes Munitionslager, schließlich lägen die Leitzinsen derzeit bei einem Prozent, da sei genug Luft nach oben. Das hat ihn offenbar beruhigt. Er gestand mir, dass ihn einige Anlageberater dringend vor der bevorstehenden Inflation gewarnt hätten – mit entsprechenden Anlageempfehlungen natürlich. Zahnärzte sind bei Anlageberatern offenbar sehr beliebt. Wie gesagt, mein Zahnarzt mit dem vielsagenden Namen Spangenberg wirkte beruhigt, obwohl ich nicht den Eindruck hatte, dass er den Zusammenhang zwischen Leitzinsen und Inflation begriffen hat.

Schon die Deutsche Bundesbank hat es nicht leicht gehabt, für stabile Preise zu sorgen und Inflationstendenzen einzudämmen. Denn schon in Frankfurt oder München ist das Preisniveau anders als in ländlichen Gegenden wie Niedersachsen oder den Voralpen – der Währungsraum, in dem die Europäische Zentralbank unterschiedliche Preistendenzen zu beobachten hat, ist ungleich größer geworden.

Was ist eigentlich Inflation?

Ideal wäre es, wenn der Index der Verbraucherpreise am Ende eines Jahres auf dem gleichen Niveau stünde wie am Anfang, die jährliche Inflationsrate also Null wäre. Doch Notenbanker sind Pragmatiker und keine Idealisten. Sie nehmen an, dass eine Wirtschaft auch dann noch spannungsfrei funktioniert, wenn die Preise im Schnitt um zwei Prozent im Jahr steigen. Erst wenn Gefahren am Horizont auftauchen, dass diese Marke nachhaltig nach oben verfehlt wird, muss der Patient auf den Operationstisch.

Der Instrumentenkasten einer Zentralbank ist ziemlich reichhaltig. Sie kann zum Beispiel genau beobachten, wie viel Geld den Wirtschaftssubjekten zur Verfügung steht und versuchen, diese Geldmenge zu steuern. Dahinter steht die Idee, dass dem Produktionspotenzial einer Wirtschaft und ihrer Menschen genau eine bestimmte Menge an Geld gegenüber stehen muss, um inflationsfreies Wachstum zu gewährleisten.

Wächst die Geldmenge schneller als das Produktionspotenzial, bekommen die Wirtschaftssubjekte den Einduck, sie seien reicher als zuvor. Durch diese Geldillusion wollen sie mehr Güter kaufen, was die Nachfrage und damit die Preise nach oben treibt. Wird die Wirtschaft dagegen zu knapp mit Geld versorgt, hemmt das zwar die Inflation, doch durch das knappe Geld steigt dann auch der Zins, sozusagen der Preis des Geldes. Das sorgt für weniger Investitionen, Konsum und Wachstum – der Ärger mit den Politikern ist programmiert.

Wie steuert man das Wachstum einer Geldmenge?

Wenn die Geldmenge zu schnell wächst, halten wir die Gelddruckmaschine an, und wenn sie zu langsam wächst, lassen wir sie schneller laufen, könnte die nahe liegende Antwort lauten. Doch leider ist die Wirklichkeit etwas komplizierter. Die Notenbank ist zwar die einzige Institution, die Geld herstellen und in Umlauf bringen darf, alle anderen müssen früher oder später mit einem Aufenthalt im Gefängnis rechnen. Doch 1999 zum Beispiel betrug der Bargeldumlauf in Euroland rund 330 Milliarden Euro, die tatsächliche Geldmenge dagegen belief sich auf die stolze Summe von 4.500 Milliarden Euro, war also 13,6 mal höher, ohne dass jemand dafür ins Gefängnis gekommen wäre.

Das liegt daran, dass auch die Banken am Geldschöpfungsprozess beteiligt sind. Früher hatten sie dicke Kontobücher, heute dicke Computer, in denen penibel jede Forderung und Gegenforderung, jedes Guthaben, jedes Sparkonto und jede Schuldverschreibung verzeichnet ist. Weil solche Forderungen und Guthaben jederzeit zu Geld zu machen sind, müssen sie auch dem Bargeld zugerechnet werden. Dass diese geldwerten Forderungen und Guthaben den tatsächlichen Bargeldbestand um ein Mehrfaches übersteigen, ist nicht kriminell, sondern ganz legal. Da nicht jeder sein ganzes Guthaben in bar abhebt, reicht es, nur einen Teil davon in Form von Bargeld zu decken. Der Rest ist sogenanntes Giralgeld.

Das Wachstum dieser Giral-Geldmenge direkt zu steuern ist besonders schwer. Die USA und Großbritannien haben es versucht und bald wieder aufgegeben. Auch die Bundesbank ist bei 21 Versuchen, das Wachstum der Geldmenge in einem bestimmten Zielkorridor zu halten, elf mal gescheitert.

Das liegt unter anderem daran, dass die Notenbanken nicht alleine das Geldmengenwachstum bestimmen. Auch das Verhalten der Anleger, der Banken und der Regierungen hat einen Einfluss auf diese Größe. Deshalb stützt sich die Europäische Zentralbank neben der Analyse der Geldmengenentwicklung auch noch auf eine zweite Säule, die Beobachtung und Analyse sämtlicher Wirtschafts- und Finanzindikatoren, die einen Hinweis auf künftige Inflationsgefahren geben können.

Das Dilemma der zwei EZB-Säulen

Dabei kann es leicht zu Widersprüchen, ja zu einem Dilemma kommen, etwa wenn sich Geldmengenkonzept, die erste Säule, und Indikatorkonzept, die zweite Säule, auf verschiedene Zeiträume beziehen und daher unterschiedliche Signale geben. Was zum Beispiel sollen die Banker tun, wenn die kurzfristigen Indikatoren einen nachlassenden Inflationsdruck signalisieren, gleichzeitig aber auf mittlere Sicht die Geldmenge exorbitant aus dem Ruder zu laufen droht? Daraus könnte zum Beispiel die Neigung entstehen, erstmal nichts zu tun, obwohl schon längst Maßnahmen zum Bremsen der drohenden Inflation angebracht wären.

Wichtig ist, sagen die meisten Volkswirte, den Märkten unmissverständlich klare Absichten mitzuteilen. Geldpolitik sollte offen, ehrlich, transparent und konsequent sein, damit sie glaubwürdig ist. Die Märkte sollten nicht über die Ziele im Unklaren gelassen werden. Die Ziele und Entscheidungen müssen deutlich kommuniziert werden. Zeigt die EZB zum Beispiel durch konkrete Maßnahmen, dass sie nicht bereit ist, auf Dauer eine höhere Inflationsrate als zwei Prozent hinzunehmen, entsteht an den Märkten auch keine Unsicherheit über den künftigen Kurs der Zentralbank, und die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer werden auf einem niedrigen Niveau stabilisiert.

Die Anti-Inflations-Waffen

Die eigentlichen Waffen im Kampf gegen die Inflation aber sind die Zinsen. Eine Notenbank bringt zwar Geld in Umlauf, aber sie verschenkt es nicht. Sie versteigert jede Woche an die Geschäftsbanken gegen Hinterlegung von festverzinslichen Wertpapieren Zentralbankgeld, freilich nicht umsonst. Die Geschäftsbanken müssen Zinsen dafür zahlen. Dieser Zins wird Hauptrefinanzierungssatz genannt und ist der wichtigste Leitzins in Euroland. Hat sich ein Geldeinkäufer bei der Bank verschätzt und merkt, dass seine Bank für die Abwicklung der täglichen Geschäfte mehr Geld braucht, kann sich seine Bank gegen die Hinterlegung von weiteren Wertpapieren kurzfristig mehr Geld bei der EZB besorgen – freilich zu höheren Zinsen, der so genannten Spitzenrefinanzierungsfazilität.

Das dritte Leitzins schließlich ist die so genannten Einlagefazilität. Merkt eine Bank, dass sie sich für ihre laufenden Geschäfte zu viel Zentralbankgeld geliehen hat, kann sie dieses Geld über Nacht auf Konten der Zentralbank anlegen – zu einem mageren Zinssatz, der aber verhindert, dass die Banken plötzlich mit Geld um sich werfen und die Geldmarktsätze nach unten drücken.

Die Banken wiederum stellen das Zentralbankgeld der Wirtschaft und den Haushalten in Form von Krediten zur Verfügung. Dabei orientieren sich die Zinssätze am Leitzins der Zentralbank, plus einer Marge für die Bank, um die Angestellten, Mite, Licht und Telefon zu bezahlen und die Aktionäre der Bank bei Laune zu halten.

Auf diese Art schlägt der Leitzins der EZB direkt auf die Zinsen der gesamten Volkswirtschaft durch. Das gibt der Notenbank einen Enfluss darüber zu entscheiden, ob das Geld „billig“ oder „teuer“ ist – gemeint ist der Zinssatz, zu dem es die Banken bekommen können.

Erhöht die Zentralbank bei ihren Bemühungen, die Inflation zu bekämpfen, den Leitzins zu heftig, kann sie damit womöglich das Wirtschaftswachstum abwürgen. Der umgekehrte Fall, mit niedrigen Zinsen, die Wirtschaft anzukurbeln, birgt aber die Gefahr einer steigenden Inflation.

Deshalb ist die Europäische Zentralbank nach dem Vertrag von Maastricht nur verpflichtet, für stabiles Geld – also eine niedrige Inflation zu sorgen. Ein stabiles Geld schafft die besten Voraussetzungen für ein gesundes Wirtschaftswachstum. Dass es dann auch soweit kommt, dafür müssen Politik und Unternehmen dann schon selbst sorgen – auch wenn so mancher Politiker gerne die EZB als Sündenbock für eine verfehlte Wirtschaftspolitik verwendet.

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4 thoughts on “Smalltalk beim Dentisten

  1. na, und das hast du deinem zahnarzt jetz alles während der sprechstunde erzählt. dass man die konsultation bei einem zahnarzt überhaupt „sprechstunde“ nennt (haben wir denn nicht gelernt, dass man mit vollem munde, und wenn es sich auch nur um bohrer oder druckreiniger handelt, eben nicht sprechen soll?) ist per se schon ein witz – genau wie unsere geldwirtschaft.

    so mancher einer trägt doch sein geld in die wirtschaft, oder? da gibt es ja bis zu 57 prozent, hihi …

  2. Von Sprechstunde war auch nie die Rede. Ich bekomme alle halbe Jahre per Post die Aufforderung, zur Routineuntersuchung zu erscheinen. Und wenn ich nicht absage, erwartet mich mein Dr. Spangenberg meistens an einem Mittwoch um 8:15 Uhr. Da wird auch nicht viel gesprochen, aus den Grüden, die Du beschrieben hast.

    Mir ist diese Regelung ganz lieb, weil ich 25 Jahre nicht zum Zahnarzt gegangen bin. Die Quittung habe ich auf einem Flug mit einem Wirtschaftsminister namens Günter Rexrodt nach Djakarta bekommen: Kaum waren wir in der Luft, bekam ich tierische Zahnschmerzen. Der Arzt an Bord erklärte mir, ich hätte eine Barodontalgie. Die Hälfte seiner Kollegen behauptete, eine solche Krankheit gäbe es überhaupt nicht. Dabei sei die ganze Sache recht einfach zu erklären: Ich hätte seit Wochen eine latente Entzündung an der Zahnwurzel, dort hätte sich eine Kaverne mit Sekreten gebildet, im Flugzeug lasse der Luftdruck nach und die Sekrete oder Faulgase oder was auch immer dehnten sich aus und würden auf den Nerv drücken. Leute: Es gibt sie, die Barodontalgie. Im Landeanflug auf Indonesiens Hauptstadt waren die Schmerzen weg.

    Auf dem Rückflug war der Arzt vorgewarnt und hat mir vor dem Start einige Scheißegal-Tropfen verabreicht. Zurück in Deutschland habe ich am Sonntag beim Frühstück zu kräftig zugebissen, und da war klar, dass ich den zahnärztlichen Notdienst konsultieren musste, und diesen Notdienst hatte besagter Dr. Spangenberg. Seine Sprechstundenhilfe bekam einen Krampf in der rechten Hand, so oft musste sie das Wort „kariös“ schreiben. Der Mann hat mir dann sofort zwei Zähne gezogen und mir keine Schmerzmittel mit nach Hause gegeben. Als die Betäubung nachließ, hätte ich fast die Tapete von der Wand abgefressen vor Schmerzen. Das war mir eine Lehre. Danach gab es rund 20 Sitzungen zur Sanierumng meines Restgebisses, und nun bin ich wieder in der Spur.

    Was die Geldwirtschaft angeht: Man wird wohl nicht um irgendeine Tausch- und Bewertungseinheit herumkommen. Wer fünf Tage in der Woche acht Stunden seine Zeit und Arbeitskraft zu Markte trägt, der erwartet keine Mehlsäcke oder Schrauben, nur weil sein Arbeitgeber Kamps oder Adolf Würth GmbH & Co. KG heißt. Er will ein fungibles Äquivalent für seine Arbeitskraft, das ihm erlaubt, dafür Radieschen oder Haarshampoo oder was auch immer zu erstehen. Also brauchst Du eine Verrechnungseinheit, und die heißt bei uns eben Euro. Bist Du schon mal mit einem Sack Schrauben beim Gemüsehändler oder bei DM gewesen?

  3. Uff, habe ich doch glatt vergessen, die wahre Witschaft zu erwähnen, in der es bis zu 57 Prozent gibt. Das stimmt wohl, aber sie vermehrt leider nicht Dein Kapital, sondern belastet Deine Leber, macht Dich müde und so großzügig, dass Dein Deckel voll mit Strichen ist, obwohl Du überhaupt nicht den Eindruck hast, viele Prozente eingestrichen zu haben. Viele Mitmenschen steigen deshalb freiwillig von 57 Prozent auf z.B. 4,8 Prozent um (z.B. Flensburger Pils, selbst getestet).

  4. die gebisssanierung habe ich schon vor zwei jahren hinter mich gebracht, in die wirtschaft gehe ich nicht, denn egal ob bank oder barhocker, ich hab dank meiner großfamilie kaum gelegenheit, mein geld irgendwo sonst anzulegen als für kindesunterhalt und deren hobbies *g*

    immerhin hab ich nette gesellschaft als rendite …

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