Keine Zinswende in Sicht

Foto: Jorma Bork / Pixelio.de
Foto: Jorma Bork / Pixelio.de

Entgegen anders lautender Hoffnungen und Vermutungen wird die Europäische Zentralbank in diesem Jahr vermutlich keine Wende in der Geldpolitik einleiten. Zu viele hoch verschuldete Euroländer bekämen dann nämlich Probleme mit ihren exorbitanten Schuldenbergen.

 

 

Ein Mitglied des EZB-­Direktoriums, der Franzose Benoit Coeure, hat in der ersten Aprilwoche 2017 Regierungen, die Finanzbranche und andere Wirtschaftsakteure aufgefordert, sich auf ein Ende der jahrelangen Phase ultraniedriger Zinsen einzustellen. „Es ist offensichtlich, dass der Finanzsektor und andere Wirtschaftsakteure, vor allem Regierungen, sich vorbereiten müssen“, sagte das Mitglied des sechsköpfigen Führungsgremiums der Europäischen Zentralbank in Paris. „Ich hoffe, dass die Regierungen in der Euro­Zone wissen, dass die Zinsen nicht auf dem aktuellen Niveau bleiben werden.“

Die EZB hält ihre Leitzinsen schon seit vielen Monaten auf dem Rekordtief von null Prozent. Zudem pumpt sie über den Kauf von Anleihen und anderen Wertpapieren Woche für Woche Milliarden in das Finanzsystem des Währungsraums. Mit den auf 2.280 Milliarden Euro angelegten Käufen will sie Geldhäuser unter anderem dazu anregen, mehr Kredite an die Wirtschaft auszureichen. Das
stützt die Konjunktur und soll so auch die nach dem Geschmack der EZB immer noch zu niedrige Inflation anheizen. „Nur wenn sich die Wirtschaft besser entwickelt als wir jetzt in unseren Schätzungen erwarten, könnten wir erwägen, das Tapering vorzuziehen“, sagte der
Zentralbankchef der Niederlande, Klaas Knot. Unter „Tapering“ wird im Notenbank-­Chinesisch dasZurückfahren der Wertpapierkäufe bis auf Null verstanden.

Nur eine Einzelmeinung?

Doch so wie es aussieht, steht der Franzose Coeure mit seinen Andeutungen, die EZB könne ihre Geldpolitik bald wieder straffen, ziemlich alleine da. So hält EZB­-Chefvolkswirt Peter Praet die ultralockere Geldpolitik weiterhin für angemessen, wie er die spanische Zeitung „Expansion“ wissen ließ. Auch andere Top­-Notenbanker haben für die Beibehaltung des aktuellen geldpolitischen Kurses der Währungshüter plädiert.

Der Druck auf die EZB, einen Kurswechsel einzuleiten, dürfte auch angesichts der jüngsten Daten zur Preisentwicklung in Deutschland nachlassen. Laut statistischem Bundesamt sank die Inflation in der größten Volkswirtschaft der Eurozone im März erstmals seit knapp einem Jahr auf 1,6 Prozent. Im Februar hatte die Preissteigerung noch 2,2 Prozent betragen. Der ölpreisbedingte Anstieg der Teuerung in der Euro­Zone auf 2,0 Prozent im Februar war also offenbar nur von kurzer Dauer.

„Politik der ruhigen Hand“

„Es ist wichtig, dass Notenbanken eine Politik der ruhigen Hand verfolgen“, sagte Österreichs Notenbank­Gouverneur Ewald Nowotny in Wien. Die Strategie der EZB sei für 2017 im Wesentlichen fixiert. „Und es ist aus meiner Sicht kein Anlass gegeben, von dieser Strategie abzugehen.“ Finnlands Notenbank­Chef Erkki Liikanen sprach sich dafür aus, den aktuellen geldpolitischen Ausblick beizubehalten. „Wir müssen zu unseren Zusagen stehen“, sagte das Mitglied des EZB­Rates.

Die Euro­Notenbank hatte auf ihrer Zinssitzung im März bekräftigt, dass die Schlüsselzinsen weit über die Zeit des laufenden Anleihekaufprogramms hinaus auf dem aktuellen Niveau oder sogar noch niedriger liegen werden. Die Negativzinsen der Notenbank -­ Banken müssen derzeit 0,4 Prozent Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB über Nacht überschüssige Liquidität parken wollen -­ diese Negativ­zinsen waren aus Sicht des Franzosen Coeure bislang geldpolitisch wirksam. Sie dürften aber nicht zu lange bestehen, wegen der Gefahr, dass Banken dadurch geschwächt werden.

Pizza Draghi

Die Banken klagen schon seit längerem, dass die Politik der Mini­zinsen es ihnen immer schwerer macht, im angestammten Kreditgeschäft auskömmliche Gewinne zu erzielen. So verkauft die Sparkasse Niederbayern-­Mitte laut Handelsblatt neuerdings in ihrer Zentrale am Theresienplatz in Straubing „Pizza Draghi“ aus Protest gegen die ultralockere Geldpolitik des EZB­-Chefs. Benoit Coeure allerdings kann Gefahren für das Funktionieren der Märkte oder Risiken für die Finanzstabilität durch die Geldflut derzeit nicht erkennen. Die Euro-­Wächter blieben aber wachsam, sagt er: „Der EZB-­Rat wird weiterhin diese Entwicklungen sorgfältig beobachten.“

Offiziell wird seitens der EZB immer wieder betont, man wolle die Zinsen nicht so schnell wieder anheben, weil die Wirtschaft in der Eurozone noch nicht so laufe wie gewünscht und die Inflationsrate noch weit von der Zwei­-Prozent-­Marke entfernt sei. Andererseits wissen auch die Euro-­Notenbanker, dass ein steigendes Zinsniveau auch direkte Auswirkungen auf die Verzinsung von Staatsanleihen im Euroraum hat. Die Schulden der Euro­Staaten marschieren stramm auf die Zehn-Billionen-­Euro-­Marke zu -­ ein steigendes Zinsniveau würde viele Euro-­Länder in Bedrängnis bringen.

Warnungen berechtigt

Steigen nämlich die Zinssätze für Staatsanleihen der Euro­-Staaten wieder auf das Vorkrisen-­Niveau, wird dies für einige Länder sehr teuer. Spaniens Verschuldung hat sich beispielsweise seit 2007 beinahe verdreifacht, die Schulden Irlands haben sich fast vervierfacht, die Schulden Zyperns haben sich verdoppelt, ebenso wie die von Portugal. Frankreichs und Italiens Schulden sind in diesem Zeitraum zwar nur um rund ein Drittel gestiegen, beeindrucken allerdings durch die Höhe ihrer Schuldenberge in absoluten Zahlen: Italien 2,2 Billionen im Jahr 2016, Frankreich 2,18 Billionen Euro.

Insofern machen die Äußerungen des Franzosen Benoit Coeure doch wieder Sinn. Denn er sagt lediglich, dass die Zinsen nicht ad Infinitum bei Null bleiben können, auch wenn sich im laufenden Jahr noch nichts ändert. Und dass die Regierungen gut beraten wären, sich rechtzeitig auf andere Zeiten einzustellen -­ eine massive Warnung also, schleunigst die Hausaufgaben zu machen und die Staatshaushalte zu konsolidieren. Denn jeder Prozentpunkt, den diese Staaten mehr an Zinsen zahlen müssen, macht den Schuldendienst richtig teuer, wenn nicht sogar auf lange Sicht unbezahlbar.

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