Schuldenbremse verfassungswidrig

Foto: Torsten Bogdenand / pixelio.de

Ja Leute, das hört sich erstmal völlig verrückt an. Wie kann etwas, was in der Verfassung steht, verfassungswidrig sein? Nun, wenn man sich die beiden Grundgesetz-Artikel anschaut, die sich auf die Schuldenbremse beziehen, dann kommen – mir zumindest – erhebliche Zweifel, ob das überhaupt in der gegenwärtigen Form in ein Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gehört. 

In Artikel 109 unserer Verfassung heißt es: „Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.“ Und in dem besagten Artikel 115 GG heißt es: „Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.“

Mit anderen Worten: Die Nettoneuverschuldung des Bundes darf nur einem Bruchteil der jährlichen Leistung unserer Wirtschaft entsprechen. Starre Regel: 0,35 Prozent – was immer auch um uns herum geschieht.

Das wirft Fragen auf. Wer hat da 0,35 Prozent Nettoneuverschuldung bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt in die Verfassung reingeschrieben? Warum nicht 0,2 Prozent? Oder 0,95 Prozent? Völlig willkürliche Zahlen, aus dem Augenblick geboren, der wirtschaftlichen Situation oder den damals gerade herrschenden politischen Mehrheiten geschuldet – gerne ja. Aber es bleiben Zahlen, die nicht in ein Grundgesetz gehören.

Ich bin kein Jurist und erst recht kein Staatsrechtler. Aber warum darf ein Parlament so eine willkürlich gewählte Zahl in eine Verfassung hineinschreiben? Eine Verfassung, die den Bestand der Bundesrepublik Deutschland auf ewig garantieren soll! Ich glaube, in unser Grundgesetz gehören keine willkürlich ausgesuchten Zahlen oder Prozentsätze. Die in Artikel 109 und 115 genannten Regeln zur Schuldenaufnahme des Staates sind – völlig verrückt – in sich verfassungswidrig, weil sie dort nicht hingehören.

Übrigens: Erinnert sich noch jemand an die sogenannten Maastricht- oder auch Konvergenzkriterien, die seinerzeit jedes EU-Land erfüllen musste, um Mitglied der Europäischen Währungsunion werden zu können? Richtig, da ging es um Inflation, Wechselkurse, Zinsen und – Schulden. So soll die Gesamtverschuldung eines Euro-Landes möglichst nicht mehr als 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) betragen, und die jährliche Nettoneuverschuldung nicht höher sein als drei Prozent des BIP. Richtig gelesen: 3,0 Prozent und nicht 0,35 Prozent – fast zehn mal so viel wie wir uns ohne Not als Fessel ins Grundgesetz schreiben! Aber wir Deutschen sind halt besonders gründlich – besonders beim Kaputtsparen von Infrastruktur und beim Anlegen von idiotischen Fußfesseln.

 

 

Hört ruhig auf die Idioten

Grafik: Tim Reckmann / pixelio.de:

AfD-Adepten schießen sich am liebsten selbst ins Knie. Oder, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin in einer Kurzstudie formuliert: „Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen“. Denn die glauben ernsthaft, eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus und eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik böte ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen. Genau das Gegenteil würde ihnen blühen, sagt das DIW.

Zu diesem Ergebnis kommen die DIW-Forscher, nachdem sie die programmatischen Ziele dieser Partei mit den Anliegen, Einstellungen und der sozio- ökonomischen Situation von AfD-Unterstützern und Unterstützerinnen zueinander in Beziehung gesetzt haben. Dabei tritt ein bemerkenswertes Paradox auf: Menschen, die die AfD unterstützen, würden am stärksten unter deren Politik leiden, und zwar in Bezug auf fast jeden Politikbereich: Wirtschaft und Steuern ebenso wie Klimaschutz, soziale Absicherung, Demokratie und Globalisierung. „Dieses Paradox scheint mit einer falschen Selbsteinschätzung vieler AfD-Wähler*innen und mit einer Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität zusammenzuhängen“, schreiben die DIW-Forscher. (Sorry für die völlig absurden Gendersternchen, aber im Originalzitat darf ich sie natürlich nicht verändern).

Wer wählt überhaupt die AfD? Menschen, die mit dieser Partei sympathisieren, sind überwiegend männlich, häufig arbeitslos und leben oft  in strukturschwachen Regionen, ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage

https://www.n-tv.de/politik/Umfrage-zeigt-Eigenschaften-der-AfD-Waehler-article24203917.html.

Ältere Untersuchungen haben gezeigt, dass Einkommen und Bildung eher schwach sind. Die Unzufriedenheit über das eigene Leben und über den Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft ist unter der AfD-Klientel deutlich höher als im Durchschnitt aller Wahlberechtigten. Und oft haben oder hatten sie eine geringere soziale und auch politische Teilhabe.

Machen wir uns nichts vor: Die AfD schneidet besser in Wahlkreisen ab, in denen die Perspektivlosigkeit groß ist, die Chancen für junge Menschen gering sind und durch deren Abwanderung wichtige Infrastrukturen für Familien und Kinder – und damit auch für Unternehmen – schlechter werden oder verschwinden. Denn dort „kümmern“ sich die AfD-Vertreter um diese abgehängten Leute, blasen ihnen das Lied von denenen da Oben und wir da unten ein – was CDU-, SPD-, Grünen- und FDP-Politiker und Politikerinnen vor Ort oft nicht leisten wollen oder für nötig halten.

Das Ergebnis ist eine hohe Zustimmung vor Ort, die mit den tatsächlichen programmatischen Positionen der Partei praktisch nichts zu tun hat. Beispiele gefällig? Nehmen wir die Wirtschaftspolitik, sie ist in der Programmatik der AfD noch neoliberaler und marktradikaler als die der FDP. Steuersenkungen für Spitzenverdiener, niedrigere Löhne für Geringverdiener, und eine Beschneidung der Sozialsysteme würden AfD-Adepten viel stärker beuteln als alle anderen. Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, käme es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen von unten nach oben, die Deppen wären die AfD-Wähler.

Wie kann es sein, dass ein Fünftel der Menschen in Deutschland die Politik einer Partei unterstützt, die stark dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Interessen zuwiderläuft? Eine plausible Antwort ist laut DIW „die individuelle und kollektive Fehleinschätzung“ ihrer eigenen Situation. Sie liegt laut DIW darin, „dass viele AfD-Wähler*innen nicht realisieren, dass eine Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark negativ betreffen würde.“

Denn sie selbst gehören häufig zum unteren Rand der Einkommensverteilung, genießen seltener Privilegien und haben weniger Chancen als andere und sind stärker auf finanzielle Leistungen des Staates angewiesen. So wären vor allem AfD-Adepten von Arbeitsplatzverlusten, einer schlechteren Infrastruktur und weniger Leistungen, einer Schwächung der Europäischen Union oder Steuersenkungen für Spitzenverdiener betroffen.

Die kollektive Fehleinschätzung der AfD-Wähler besteht in dem, was der Zeit-Journalist Nils Markwardt „Verblendungszusammenhänge“ nennt. Da  geht es im besten Fall um eine verzerrte Wahrnehmung der Realität und im schlimmsten Fall um irre Verschwörungstheorien, bei denen sich AfD-Adepten als Opfer von Politik und Gesellschaft darstellen und sich selbst als Mehrheit beschreiben.

Das Fazit: AfD-Adepten glauben ernsthaft, eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik würde ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen. Genau das Gegenteil wird passieren.

Die ganze Studie hier:

Klicke, um auf diw_aktuell_88.pdf zuzugreifen

 

 

 

 

 

 

 

IW-Konjunkturprognose: Kein Aufschwung in Sicht

Ein totes Stahlwerk
Foto: R.Wenkel/pixelio

Die deutsche Wirtschaft hat das Krisenjahr 2022 besser überstanden als zunächst befürchtet. Doch Unsicherheit, Inflation und hohe Energiekosten belasten den Aufschwung: Für 2023 rechnet das arbeitgermernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln mit einem Wirtschaftswachstum von lediglich einem Viertelprozent.

 

 

Nach dem ersten Schock hat sich Deutschland 2022 an die Folgen des Ukrainekriegs angepasst, schreiben die Kölner Wissenschaftler. Doch die Folgen – hohe Preise, gestiegenes Zinsniveau, geopolitische Unsicherheit und jetzt auch noch Finanzmarktprobleme – bilden eine neue Normalität. Sie trüben das Investitionsklima und setzen den Wirtschaftsstandort Deutschland unter Druck. Für 2023 prognostiziert das IW daher ein schmales Wirtschaftswachstum von ¼ Prozent. „Die Wirtschaft hat die Krise besser bewältigt, als wir es im vergangenen Jahr hätten hoffen können“, sagt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. „Die große Erholung bleibt 2023 dennoch aus. Wir stehen vor einer neuen Zeit der Stagflation“. Das ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen Stagnation und Inflation.

Dieser unschöne Zustand ist nach Ansicht des IW vor allem den hohen Energiepreisen geschuldet. Die gewaltigen Schwankungen aus dem vergangenen Sommer seien zwar abgeebbt, allerdings lägen die Preise immer noch ein Vielfaches über denen der Vorkrisenzeit. Das treibe die Inflation an. Zweistellige Inflationsraten wie 2022 dürften sich zwar nicht wiederholen, die Zeiten der Niedriginflation seien allerdings auch vorbei und kämen soschnell nicht wieder. Für 2023 rechnet das IW mit einer Inflation von sechs Prozent. Damit ist auch eine Rückkehr zu einer Politik des günstigen Gelds unwahrscheinlicher. Gestiegene Finanzierungskosten verteuern deshalb Investitionen noch mehr.

Die Bauwirtschaft bekommt mehrere Probleme zu spüren: Die Finanzierungskosten steigen, Material ist knapp, entsprechend wenig bauen die Deutschen. Für 2023 prognostiziert das IW das dritte Rezessionsjahr in Folge. Die Bauinvestitionen geben um drei Prozent nach, beim Wohnungsbau geht das IW sogar von einem Rückgang von 3 ½ Prozent aus.

Energieintensive Industrien mussten ihre Produktion stark zurückfahren, in der Chemieindustrie brach sie 2022 um fast 30 Prozent ein. Anhaltend hohe Energiepreise belasten die Firmen noch immer. Dazu kommen über alle Branchen hinweg Lieferkettenprobleme. Für 2023 erwartet das IW deshalb nur einen leichten Aufschwung bei der Industrieproduktion.

2022 profitierte die Wirtschaft noch vom privaten Konsum. Gestützt durch private Ersparnisse aus den Corona-Jahren und staatliche Entlastungen gaben die Haushalte so viel wie lange nicht für Urlaub und Freizeit aus. In diesem Jahr dürfte der Staat deutlich weniger unterstützen, die privaten Ersparnisse sind aufgezehrt. Die realen Konsumausgaben werden 2023 deshalb ein halbes Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen, glaubt das IW.

Auch aus der Weltwirtschaft gibt es keinen Rückenwind. Geopolitische Spannungen und protektionistische Tendenzen belasten den Welthandel: Die IW-Auslandsprognose geht von einem Wachstum der globalen Handelsströme von gerade einmal einem Prozent aus. Auch die Weltwirtschaft wird nur um zwei Prozent wachsen.

Schon aus den Coronajahren haben die deutschen Unternehmen einen gewaltigen Investitionsstau vor sich hergeschoben. Energiepreise, Inflation und Unsicherheit dürften ihn weiter verlängern. „Wenn Investitionen zu lange ausbleiben, droht eine strukturelle Schädigung der ganzen Volkswirtschaft“, sagt IW-Ökonom Michael Grömling. „Steuerlast, Energiekosten und Fachkräftemangel sind schon heute Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft. Wir müssen zusehen, dass nicht noch Weitere dazukommen. Die Politik muss jetzt dringend die Investitionsbedingungen verbessern.“

Die gesamte IW-Frühjahrsprognoxe kann man hier als PDF herunterladen.

Gewinninflation und Inflationsgewinner

fotoART by Thommy Weiss / pixelio.de

Das Ifo-Institut bestätigt eine Vermutung, die ich im Dezember in meinem Post „Inflation wird durch Trittbrettfahrer angeheizt“ beschrieben habe:  Da draußen scheint es jede Menge Unternehmen zu geben, die die Inflation nutzen, um ihre Gewinne kräftig aufzublasen – obwohl sie selbst von einem Kostenschub überhaupt nicht betroffen sind. 

 

Manche Unternehmen haben auch im vierten Vierteljahr 2022 ihre Verkaufspreise stärker erhöht als es durch die Entwicklung der Einkaufspreise angelegt war“, schreibt das Ifo-Institut in einer Pressemitteilung. „Diese Firmen haben die Lage genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu steigern. Das gilt vor allem für Unternehmen im Handel, Gastgewerbe und Verkehr sowie im Baugewerbe“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung in Dresden. Insgesamt habe sich die Entwicklung im vierten Quartal jedoch verlangsamt. (Hier gibt’s die Studie als PDF)

Die hohen Preissteigerungsraten werden gemeinhin auf höhere Beschaffungskosten der Unternehmen zurückgeführt. Tatsächlich sind insbesondere die Einfuhrpreise stark gestiegen, getrieben vor allem durch die Verteuerung von Energierohstoffen. Es sei aber zur kurz gegriffen, dies allein auf den Ukraine-Krieg und die dadurch verursachten Kostensteigerungen zurückführen, schreibt Ragnitz. Denn der beschleunigte Preisanstieg bei importierten Gütern wie auch bei Energie habe bereits im Frühjahr 2021 eingesetzt. Die Exportpreise seien demgegenüber deutlich schwächer gestiegen. Teuer im Ausland einkaufen, gleichzeitig beim Export kaum Preiserhöhungen durchsetzen – das bedeutet unterm Strich: Deutschland ist ärmer geworden.

Einflüsse aus dem Ausland sind jedoch nicht der alleinige Grund für die gestiegene Inflation. Ein Großteil ist auch hausgemacht: Es ist ja auch sehr verführerisch, den Kostenschub  als Vorwand dafür zu nehmen, durch eine noch stärkere Erhöhung ihrer Absatzpreise auch ihre Gewinnsituation zu verbessern. Dies dürfte die Inflation auf der Verbraucherstufe verstärkt haben.

Dies sei aber kein Grund für staatliche Eingriffe in die Preisbildung, schreibt Ragnitz weiter. Auch Ideen wie die aktuell gerne geforderte Übergewinnsteuer erteilt Ragnitz eine Absage. Sie würde die Knappheitssignale des Marktes verzerren und ließe sich zudem nicht rechtssicher durchsetzen. Sie berge überdies die Gefahr, dass damit auch solche Gewinne einzelner Unternehmen abgeschöpft würden, die aufgrund von Innovationen oder aufgrund einer Steigerung der Absatzmengen erzielt werden können. Und da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass hinter den Preissteigerungen Absprachen der Unternehmen stehen könnten, seien auch kartellrechtliche Maßnahmen nicht hilfreich.

Stattdessen, so Ragnitz weiter, werde man auf herkömmliche Rezepte setzen müssen: So sei die Inflationsbekämpfung primär eine Sache der Geldpolitik der EZB, die freilich wegen ihres gesamteuropäischen Mandats Besonderheiten der Entwicklung in Deutschland nicht berücksichtigen könne, und auf Unternehmerebene helfe nur vermehrter Wettbewerb gegen weitere Preissteigerungen.

Auch die Finanzpolitik könne – wenngleich nur mit Einschränkungen – zur Senkung der Inflation beitragen, schreibt Ragnitz. Beispielsweise indem sie auf breit angelegte Entlastungsmaßnahmen zugunsten der privaten Nachfrager verzichte, die den realwirtschaftlichen Anpassungseffekt hoher Preise konterkarierten. Stattdessen sollten entsprechende Maßnahmen zielgerichtet auf einkommensschwache Haushalte konzentriert werden.

Schluss mit Facebook?

Foto: Alexander Klaus / pixelio.de

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Ulrich Kelber, hat die Bundesregierung aufgefordert, ihre Facebook-Fanseite abzuschalten. Zur Begründung wies Kelber darauf hin, dass der Betrieb einer Facebook-Fanpage „nicht datenschutzkonform möglich“ sei. Dies zeigten Untersuchungen seiner Behörde und auch ein Gutachten der Datenschutzkonferenz des Bundes und der Länder.

Kelber stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Danach sind sowohl der Betreiber der Fanseite, also das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, als auch Facebook gemeinsam für die Verarbeitung der Besucherdaten verantwortlich – also für die Daten von fast 1,1 Millionen Followern. Nach seiner Auffassung enthalten die Cookie-Banner, also die Popup-Fenster, die  den Nutzer über die Verarbeitung personenbezogener Daten informieren, nicht alle erforderlichen Informationen der Datenschutz-Grundverordnung (DSDVO). Zudem fände eine Verarbeitung der Nutzerdaten in den USA statt, was die Fanpage-Betreiber als Mitverantwortliche nicht kontrollieren könnten.

Alle Behörden stünden indes in der Verantwortung, sich „vorbildlich“ an Recht und Gesetz zu halten. „Dies ist nach dem Ergebnis meiner Prüfungen beim Betrieb einer Fanpage wegen der umfassenden Verarbeitung personenbezogener Daten der Nutzenden aktuell unmöglich.“ Es sei zwar wichtig, dass der Staat über soziale Medien erreichbar sei und Informationen teilen könne. „Das darf er aber nur, wenn die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gewahrt bleiben.“

Kelber hat das Bundespresseamt Anfang der Woche schriftlich angewiesen, den Betrieb der Regierungsseite bei Facebook einzustellen. Mit einem Abschalten dieser Seite verlöre die Bundesregierung erheblich an Reichweite. Die zentrale Seite der Bundesregierung hat auf Facebook etwa 920.000 Fans und über eine Million Abonnenten. Nun hat das BPA vier Wochen Zeit, diesen umzusetzen. Es kann aber auch innerhalb eines Monats gegen den Bescheid klagen.

Und das wird vermutlich auch passieren. Gibt es vergleichbare Fälle? Allerdings: Schon 2011 hatte die Datenschutzbehörde  des Landes Schleswig-Holstein eine landeseigene Wirtschaftsakademie angewiesen, ihre Fanpage aufzugeben. Es folgte ein Klagemarathon bis zum EuGH und wieder zurück, bis die Datenschützer nach zehn Jahren recht bekamen. Besagte Fanpage gibt es heute aber immer noch, weil sich in den zehn Jahren die Verhältnisse und die Rechtslage verändert haben und demnach alles neu geprüft werden müsste.

Genau das könnte sich jetzt wiederholen – und nach zehn Jahren hätte man dann ein Urteil, das vermutlich keinen mehr interessiert. Denn, so schreibt Rolf Schwartmann, Leiter der Forschungsstelle Medienrecht an der TH Köln im Kölner Stadtanzeiger, „ob Fanpages bis zu einer Entscheidung überhaupt noch relevante Kanäle der Kommunikation sind, weiß heute niemand.“

 

EZB ist nicht machtlos

Foto: JUREC / pixelio.de

 

Die Europäische Zentralbank hat eigentlich nur eine Aufgabe: Die Inflation in Euroland möglichst nicht über zwei Prozent pro Jahr steigen zu lassen. Dieses Ziel verfehlt sie momentan recht deutlich, unter anderem, weil der Schlächter im Kreml eine Preisexplosion bei fossilen Energieträgern ausgelöst hat. Gegen steigende Energiepreise aber ist die EZB machtlos. Oder doch nicht?

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin hat in einer Studie untersucht, ob Europäische Zentralbank generell etwas gegen steigende Energiepreise im Euroraum ausrichten kann oder nicht. Ergebnis: Leitzinserhöhungen dämpfen Energiepreise über verschiedene Kanäle – über Bande sozusagen. Allerdings verursachen sie auch wirtschaftliche Kosten, schreibt das DIW. Die Zinspolitik der EZB seit Sommer 2022 halten die Berliner Forscher dennoch für richtig.

Ausnahmsweise  muss ich micht mal selbst zitieren. Anfang Januar habe ich in einem Post über Inflationserwartungen geschrieben: „Momentan haben wir es (…) mit einer Inflation zu tun, die von gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten, gestörten Lieferketten und einer Verknappung des Angebots in vielen Branchen und auf vielen Märkten befeuert wird – nicht zu vergessen von einem machtbesessenen Psychopathen in Moskau. Eine solche Inflation mit hohen Leitzinsen zu bekämpfen, gehört zwar zum Standardprogramm der Notenbanker, beseitigt aber nicht unbedingt ihre spezifischen Ursachen. Man kann sich dagegen durchaus fragen, ob die Notenbanker mit global steigenden Leitzinsen nicht auch eine weltweite Rezession in Kauf nehmen. Lieferketten, Fachkräftemangel und Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern heilen sie damit jedenfalls nicht.“

Landläufig wurde angenommen, dass die EZB dagegen wenig ausrichten kann – „auch die EZB selbst ging davon noch im Februar 2022 aus“, schreibt das DIW. Eine aktuelle Studie der Berliner Forscher zeigt jedoch, dass die EZB mit Blick auf die Energiepreise offenbar alles andere als machtlos ist: Erhöht sie den Leitzins, fallen die Energiepreise. Dabei spielen drei Effekte eine Rolle, die sich gegenseitig beeinflussen, wie die DIW-Studie zeigt. Wichtig sind in dem Zusammenhang der Wechselkurs des Euro zum US-Dollar und der Ölpreis. „Unter dem Strich wird klar, dass die EZB die Energiepreise mit Leitzinserhöhungen tatsächlich dämpfen kann“, sagt Alexander Kriwoluzky, Leiter der Abteilung Makroökonomie im DIW Berlin.

DIW Berlin Grafik: DIW Berlin

Die Forscher haben nach eigenen Angaben die strukturellen Effekte von Zinserhöhungen der EZB im Euroraum für den Zeitraum 1999 bis 2020 abgeschätzt. Infolge einer Zinserhöhung sinkt demnach die gesamtwirtschaftliche Nachfrage: Unternehmen investieren weniger, private Haushalte halten sich beim Konsum zurück. Während die Verbraucherpreise daher um etwas weniger als 0,1 Prozent sinken, fallen die Energiepreise sogar um mehr als das Fünffache.

Die Autoren konnten im Zuge ihrer Modellrechnungen drei Effekte identifizieren, durch die dieses Ergebnis zustande kommt und die deutlich machen, dass die Energiepreise nach Leitzinserhöhungen der EZB tatsächlich fallen. Neben dem Nachfrageeffekt, der den in Dollar gehandelten Ölpreis auf dem Weltmarkt infolge einer geringeren Energienachfrage senkt, spielen zwei Preiseffekte des Wechselkurses von Euro zu US-Dollar eine Rolle: Da im Zuge einer Zinserhöhung der EZB der Euro gegenüber dem US-Dollar aufwertet, verbilligen sich die Ölimporte im Euroraum. Da der günstigere Ölpreis in Euro dann aber wiederum die Nachfrage befeuert, steigt die Ölnachfrage auf dem Weltmarkt und damit der globale Ölpreis in US-Dollar. Dieser globale Preiseffekt ist stärker als der lokale Preiseffekt im Euroraum, sodass der stärkere Euro letztlich für einen höheren Ölpreis sorgt.

Zusammengenommen ist der Preiseffekt des Wechselkurses mit seinem steigenden Ölpreis aber schwächer als der Nachfrageeffekt mit seinem sinkenden Ölpreis, sodass die Energiepreise unter dem Strich fallen. Dieser Analyse zufolge hat die EZB also richtig gehandelt, indem sie seit Sommer 2022 sukzessive den Leitzins erhöht hat. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass eine Zinserhöhung für sich genommen die Wirtschaftsleistung senkt und die Arbeitslosigkeit erhöht. „Die Geldpolitik der EZB verursacht also auch wirtschaftliche Kosten“, so Kriwoluzky. „In Zeiten mit hohen Inflationsraten ist es jedoch wichtig, die Inflationserwartungen im Blick zu haben und einzufangen, damit die Inflation mittelfristig nicht aus dem Ruder läuft. Diesbezüglich ist die EZB auf einem guten Weg.“

Das mag wohl sein. Es mag auch sein, dass steigende Leitzinsen indirekt preissenkende Effekte auf die Energiepreise haben. Für mich bleibt es aber dabei: Gestörte Lieferketten, Fachkräftemangel und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern kann keine Zentralbank heilen, das müssen die Märkte schon selbst lösen.

Wirtschaftsfaktor Karneval

Foto: Marco Barnebeck / pixelio.de

 

 

Gastronomie, Einzelhandel & Co. erwirtschaften an Karneval mindestens 1,65 Milliarden Euro. Das will das unternehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln herausgefunden haben. Andere Schätzungen kommen sogar auf 2,75 Milliarden.

Die Karnevalstage scheinen in den Hochburgen des organisierten Frohsinns regelrechte Völkerwanderungen auszulösen. In den Niederlanden zum Besispiel findet man an diesen ach so tollen Tagen kaum ein freies Gästezimmer. Denn die sind nahezu restlos ausgebucht – durch Karnevalsflüchtlinge aus Köln. Umgekehrt scheint es Feierwütige aus der ganzen Republik in diesen Tagen in die einschlägigen Karnevalshochburgen zu ziehen. Übernachtungen am Karnevalswochenende sind zum Beispiel in Köln anderthalbmal so teuer wie gewöhnlich, weiß das IW.

Unzählige Hoteliers, Bar- und Restaurantbesitzer sowie Veranstalter verbuchen zur Karnevalszeit Rekordumsätze. Doch Karneval, Fasching und Co. sind auch für ganz Deutschland von hoher Bedeutung. Nach drei entbehrungsreichen Jahren ist die Session 2022/23 die erste, in der ohne Einschränkungen gefeiert werden kann. Nach IW-Berechnungen dürfte sich in ganz Deutschland über die gesamte Session – also vom 11. November 2022 bis Aschermittwoch – ein Umsatz von mindestens 1,65 Milliarden Euro ergeben. Optimistische Schätzungen gehen sogar von bis zu 2,75 Milliarden aus.

Dabei entfällt der größte Posten auf die Gastronomie: Hier rechnen die IW-Wissenschaftler mit einem Umsatz von 796 Millionen Euro. Der Einzelhandel, vor allem der Kostümverkauf, erwirtschaftet 385 Millionen Euro. Für Transporte, also vor allem das Taxigewerbe, kalkulieren die Wissenschaftler knapp 287 Millionen Euro, Hotels erwirtschaften rund 187 Millionen.

Wer von außerhalb anreist und noch Übernachtungen in einer der Karnevalshochburgen sucht, kommt in Düsseldorf am günstigsten davon, zeigen IW-Berechnungen. Hier kosten zwei Übernachtungen – wären sie am 14. Februar gebucht worden – im Doppelzimmer von Karnevalssamstag bis Rosenmontag im Schnitt 190 Euro, das ist sogar günstiger als im vergleichsweise ereignislosen Vergleichszeitraum zwei Wochen später (200 Euro).

Mainzer Hoteliers veranschlagen im Schnitt über das Karnevalswochenende 197 Euro (zwei Wochen später: 186 Euro). In Kölner Hotels müssen Karnevalsfans dagegen besonders tief in die Tasche greifen: Hier kosten zwei Übernachtungen im Doppelzimmer von Samstag bis Montag im Schnitt 376 Euro, deutlich mehr als im Vergleichszeitraum (234 Euro).

 

Ressourcen in der Schublade

Foto: Peter Freitag/pixelio.de

Fast jeder hat eines Zuhause im Keller oder in der Schublade: Ein altes und ausrangiertes Smartphone. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die darin enthaltenen Materialien ausreichen würden, um den Rohstoffbedarf aller neuen Smartphones der kommenden zehn Jahre zu decken. Rückführungs- und Recyclingprozesse müssen allerdings noch effizienter werden, um das Potenzial auszuschöpfen.

In deutschen Haushalten lagen 2022 dem IT-Branchenverband Bitkom zufolge ungefähr 210 Millionen Schubladenhandys, 87 Prozent der Bürger haben mindestens ein ausrangiertes Handy. Seltene Rohstoffe wie Gold, Palladium oder Platin schlummern also nicht nur tief im Boden, sondern oft auch in der eigenen Wohnung – wertvolle Rohstoffe, die auf dem Weltmarkt in Zeiten von Lieferengpässen und Konflikten nicht einfach zu bekommen sind.

Werden Rohstoffe und Materialien aus Altgeräten oder das Gerät selbst aufbereitet und wiederverwendet, spricht man von Kreislaufwirtschaft. Eine neue IW-Berechnung macht nun das Potenzial deutlich: Würden alle Handys und Smartphones, die in Deutschland ungenutzt herumliegen, recycelt, würden die gewonnenen Materialien den Bedarf für alle neuen Smartphones der nächsten zehn Jahre decken.

„Dass die Kreislaufwirtschaft in Zukunft immer wichtiger wird, zeigen drei globale Trends“, heißt es in der IW-Pressemitteilung. „Erstens wächst der Bedarf nach Rohstoffen mit der Weltbevölkerung. Insbesondere der steigende Konsum von Elektrogeräten ist ein Problem. Ausrangierte Geräte liegen oft in Schubladen und Kellern herum, das führt dazu, dass Rohstoffe knapper und teurer werden. Ein drittes Problem: Mit dem höheren Konsum steigen auch die Abfallmengen. Urban Mining, also die Gewinnung und Nutzung der Rohstoffe aus Altgeräten, schützt daher langfristig nicht nur die Umwelt. Es macht die deutsche Wirtschaft und die Verbraucher auch unabhängiger von Exportländern wie China.“

Gleichzeitig seien viele Recyclingprozesse noch nicht effizient genug, die Wiederverwertung lohne sich betriebswirtschaftlich nicht, schreibt das IW. Der reine Metallwert eines alten Handys liege bei 1,15 Euro, die Kleinteiligkeit der Geräte erschwere das Recycling. „Das Recycling stellt nur eine Lösung dar. Besser wäre es, bereits bei der Produktentwicklung Abfälle zu vermeiden oder die Geräte und ihre Komponenten für eine Wiederverwendung professionell aufzubereiten“, sagt Adriana Neligan, eine der beiden Auorinnen der Studie. Ein erster wichtiger Schritt wäre, dass die Verbraucher ihre ungenutzten Altgeräte zurückbringen. Aber auch die Politik müsse hier unterstützen, Tempo machen und für bessere Anreize bei der Sammlung sorgen.

Auch die Europäische Union hat das Thema Nachhaltigkeit für Elektronikgeräte entdeckt. Smartphones und Tablets sollen in der EU bald neuen Öko-Standards genügen. So sollen Hersteller verpflichtet werden, mindestens sieben Jahre lang Ersatzteile sowie technische Informationen und mindestens fünf Jahre lang Software-Updates nach dem Ausscheiden eines Produkts vom Markt zur Verfügung zu stellen.

Generalüberholte Elektronikgeräte sind eine nachhaltige Alternative zur Neuware. Der Markt wächst, auch weil zunehmend professionelle Kreisläufe durch Netzbetreiber, Firmenkunden und Refurbisher etabliert werden. Die Journalistin Matilda Jordanova-Duda schildert in einem Online-Beitrag für die Deutsche Welle   eine vielversprechende Initiative aus Düren bei Aachen: Die gemeinnützige GmbH AfB (Arbeit für Menschen mit Behinderung)  sammelt ausrangierte Firmen-Elektronik ein, prüft und reinigt sie, löscht vorhandene die Daten, repariert und rüstet auf, um die Geräte wieder in Umlauf zu bringen.  AfB ist ein zertifizierter Refurbisher, das Unternehmen existiert seit 18 Jahren und hat ca. 650 Mitarbeitende, gut die Hälfte von ihnen mit Behinderung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wirtschaft erholt sich trotz Krise

Foto: Rolf Wenkel

„Einkommensverluste trotz BIP-Wachstum“, schreibt das Münchener Ifo-Institut, „Deutschland shoppt sich aus der Krise“, titelt die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Wirtschaftsseite. Beide beziehen sich auf den gleichen Sachverhalt: Die deutsche Wirtschaft ist im Krisenjahr 2022 um 1,9 Prozent gewachsen, meldet das Buddhistische Standesamt in Wiesbaden.

Auf den ersten Blick eine erfreuliche Nachricht, obwohl die Wirtschaftsforscher Anfang 2022 sogar mit einem Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent gerechnet haben. Denn das Jahr 2022 sollte das Jahr der raschen Erholung vom Corona-Crash des Vorjahres werden. Knapp vier Prozent Wachstum wären vermutlich auch drin gewesen, wenn nicht der Kriegsverbrecher im Kreml alles zunichte gemacht hätte.

Plötzlich bestand die Gefahr, dass den Deutschen das Gas ausgeht, die Bürger frieren, die energieintensiven Fabriken reihenweise dichtmachen und die deutsche Wirtschaft vor einem Kollaps steht. Insofern ist ein Wachstum von 1,9 Prozent noch ein überraschend guter Wert, das fünfthöchste der vergangenen zehn Jahre.

Wachstumsträger: Der private Konsum

Großen Anteil an diesem Wachstum hatten die Verbraucher. Zu befürchten war, dass die Haushalte wegen der hohen Preise für Lebensmittel und Energie weniger konsumieren. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Konsumausgaben stiegen inflationsbereinigt um 4,6 Prozent und waren damit fast so hoch wie vor der Corona-Krise. „Grund hierfür waren Nachholeffekte im Zuge der Aufhebung fast aller Corona-Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2022. Dies wird besonders deutlich bei den Ausgaben für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen. Auch im Bereich Freizeit, Unterhaltung und Kultur gaben die privaten Haushalte wieder mehr aus als noch vor einem Jahr“ schreibt das Statistische Bundesamt.

 

Aber jede Medaille hat zwei Seiten. So gibt Ifo-Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser in einer Pressemitteilung zu bedenken, dass in Zeiten wie diesen die mit dem BIP gemessene wirtschaftliche Leistung die Einkommens- und damit die Wohlstandsentwicklung einer Volkswirtschaft überzeichnet. Da ein Großteil der Energie und der Vorprodukte aus dem Ausland bezogen wird und da durch ihre Verknappung die Importpreise kräftig gestiegen sind, musste ein zunehmender Teil von dem in Deutschland erwirtschafteten Einkommen zur Begleichung der Importrechnung verwendet werden.

Grafik: Ifo-Institut

„Daher dürften die verbleibenden Realeinkommen der deutschen Haushalte und Unternehmen nach Schätzungen des ifo Instituts im vergangenen Jahr um 0,7 Prozent geschrumpft sein“ schreibt Wollmershäuser. Oder anders ausgedrückt: „Insgesamt ging Deutschland im vergangenen Jahr Realeinkommen und damit Wohlstand im Umfang von schätzungsweise knapp 110 Milliarden Euro verloren“.

 

 

Messenger-News statt Vierfarb-Flyer?

Foto: Rolf Wenkel

Geht Euch das auch so? Jede Woche flattern mir mindestens zehn aufwendig gedruckte Vierfarb-Flyer des Einzelhandels ins Haus: HIT, Aldi, Rewe, Penny, Lidl, dazu noch ein Baumarkt, ein Elektromarkt, ein Getränkegroßhandel, mindestens zwei Möbelhäuser und ein Küchenstudio. Allerdings: Rund sieben von zehn Prospekten wandern bei mir sofort in die Tonne. Ungelesen. Muss das sein?

Der Kölner Handelsriese REWE hat mal ausrechnen lassen, was die bunten Prospekte für seine bundesweit rund 3.700 Filialen an Ressourcen verschlingen: Über 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2 , 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr, schreibt RWE in einer Pressemitteilung.

Jedes Jahr landen im Schnitt 40 Kilo an Papierprospekten in den Briefkästen der Republik. Das geht auch anders: Ob REWE, Aldi, Obi, Toom oder Netto – sie alle planen, die gedruckten Handzettel langfristig durch digitale Kommunikation ganz oder teilweise zu ersetzen. Im Gespräch sind besonders Messenger-Dienste wie WhatsApp, weil die auf fast jedem werberelevanten Endgerät verfügbar sind.

Ganz offensichtlich wollen die großen Handelsketten mindestens zwei, wenn nicht gar drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Umstellung auf digitale Werbekanäle wie Newsletter oder Messenger-Dienste gilt als modern und zukunftsorientiert, ist also gut für’s Image, man kann sich als grün, umweltbewusst und nachhaltig darstellen, weil man Ressourcen einspart, was auch gut für’s Image ist, und man spart nebenbei noch die Kosten für Papier und Energie, die dank des Kriegsverbrechers in Moskau in schwindelnde Höhen steigen.

Besonders forsch preschte der Kölner Handelsriese RWE nach vorn – mit der Ankündigung, zum 1. Juli diesen Jahres den Druck und den Vertrieb der bunten Prospekte ganz einzustellen. Indes. „Nur eine Woche nach Bekanntgabe (…) ruderte man in Köln zurück. Die Händler können selbst entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht“, heißt es in einem Newsletter der EHI Retail Institute GmbH, dem Forschungsinstitut des deutschen Einzelhandels in Köln.

Überhaupt muss man sich die Frage stellen, ob man klima- und ressourcentechnisch so viel einspart, wenn die digitalen Prospekte demnächst im digitalen Messenger-Briefkasten und nicht in der Papiertonne landen. Es gibt Schätzungen, wonach der digitale Datenverkehr weltweit für etwa zwei Prozent der globalen CO2 –Emissionen verantwortlich und damit in etwa mit der Luftfahrtbranche vergleichbar ist. Und man kann ruhig davon ausgehen, dass gut die Hälfte der digital verursachten CO2 –Emissionen auf das Konto der digitalen Werbung und des Marketings geht. Das ist gewiss keine quantité négligeable.

Allerdings macht das EHI Retail Institute auch auf einen nicht zu unterschätzenden Vorteil aufmerksam: „Der Versand der Angebotsprospekte über Whatsapp hat den Charme, dass die Kund:innen aktiv zustimmen müssen. Durch das Opt-in trennen sich Spreu und Weizen. Außerdem bildet diese Variante der digitalen Kundenbindung die Grundlage für das Sammeln von Daten und Bilden von Nutzerprofilen – natürlich DSGVO-konform.“

Ja, ja, das wäre eine schöne Zukunftsvision: Null Werbung, es sei denn, ich habe ausdrücklich zugestimmt. Die Zukunft jedoch, so fürchte ich, wird eine andere sein: Ich werde digital mit Werbung zugeballert – und muss trotzdem 40 Kilo Papierprospekte pro Jahr entsorgen. Hybrid-Strategie nennt man das denn wohl unter den Marketingexperten.